Tarifstreit - Der Bahnstreik trifft uns alle

Die Lokführergewerkschaft GDL legt von Mittwochfrüh an den Bahnverkehr lahm. Nach Monaten des Corona-Lockdowns kommt dieser Streik zur Unzeit. Auf Verständnis der Fahrgäste werden die Gewerkschafter kaum hoffen können.

Reisende im Berliner Hauptbahnhof / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Claus Weselsky macht Ernst. Dass mit dem Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) nicht zu spaßen ist, hat er bereits in vergangenen Tarifstreitigkeiten gezeigt. Nun zettelt er erneut einen erbitterten Arbeitskampf an, um höhere Löhne für seine Gewerkschaftsmitglieder durchzusetzen und im Wettbewerb gegen die größere Eisenbahnergewerkschaft EVG zu punkten.

Im Güterverkehr ruft die GDL schon an diesem Dienstagabend, 19 Uhr, zum Streik auf. Der Personenverkehr soll dann von Mittwoch, 2 Uhr, an bestreikt werden. Das hat Weselsky erst am Dienstagvormittag bekanntgegeben. So kurzfristig, dass der Deutschen Bahn kaum Zeit bleiben wird, einen Notfahrplan vorzubereiten. Das Chaos im Bahnverkehr ist für den Rest der Woche programmiert.

Stillstand gab es schon genug

Für die Bahn und deren Kunden kommt der GDL-Streik zur Unzeit. Im für den staatseigenen Konzern wirtschaftlich wichtigen Fernverkehr hat sich die Lage nach dem Corona-Lockdown gerade wieder etwas normalisiert. Monatelang fuhren die ICEs wie Geisterzüge durch das Land. Für die (wenigen) Fahrgäste war die spärliche Auslastung der Waggons angenehm, für das Unternehmen ein Desaster. Inzwischen sind die Züge wieder voller und werden in der Urlaubszeit nicht nur von Geschäftsreisenden oder Berufspendlern genutzt, sondern auch von Familien und Touristen.

Auf deren Verständnis werden Weselsky und seine Mitstreiter kaum hoffen können. Stillstand gab es infolge der Pandemie genug. Nun ist wieder Bewegung angesagt, die aufgestaute Reiselust enorm. Und ausgerechnet jetzt sollen die Fahrgäste die gescheiterten Tarifgespräche zwischen der Lokführer-Gewerkschaft und dem Bahn-Konzern zu spüren bekommen. Auch für die Industrie, die ohnehin gerade mit Rohstoff-Engpässen und auseinandergebrochenen Lieferketten zu kämpfen hat, sind Einschränkungen im Güterverkehr mehr als nur ein Ärgernis.

Machtbewusste Gewerkschaft lässt Muskeln spielen

Das wissen die GDL-Leute natürlich ganz genau. Sie spielen mit ihren Muskeln und wollen dann der Deutschen Bahn die Schuld an der Eskalation zuschieben. Der Arbeitgeber, so die Botschaft der kleinen, aber machtbewussten Gewerkschaft, kann das von Mittwoch an drohende Schienenchaos jederzeit beenden, wenn er unseren Forderungen nachgibt.

Es ist das gute Recht jeder Gewerkschaft, mit wirkungsvollen Streiks für die eigenen Ziele zu kämpfen. Im Falle der GDL kommt jedoch hinzu, dass der bestreikte Arbeitgeber kein Privatunternehmen im freien Wettbewerb ist, sondern ein 100-prozentiger Staatsbetrieb, dessen wirtschaftliche Probleme letztendlich der Steuerzahler ausgleichen muss.

Im Fernverkehr gibt es zudem kaum Wettbewerber. Wer innerhalb Deutschlands nicht Auto fahren oder fliegen will solange das noch erlaubt ist –, kommt an der Deutschen Bahn kaum vorbei. Mit dem Bahnstreik wird also eine Schlüsselinfrastruktur lahmgelegt. Die Folgen für die Allgemeinheit sind enorm, die Risiken für die Streikenden hingegen gering.

Der Bahn fehlt der Nachwuchs

Wer bei der Bahn arbeitet, hat einen sicheren Job. Das gilt ganz besonders für Lokführer. Denn die werden derzeit händeringend gesucht. Es fehlt an Nachwuchs. Die Bahn wirbt daher bereits gezielt um Quereinsteiger. Die einzige drohende Jobgefahr besteht darin, dass eines Tages Züge von Computerprogrammen gesteuert werden und der Lokführer durch einen Roboter ersetzt wird. Aber das wird, falls es je dazu kommt, noch eine ganze Weile dauern.

Die Deutsche Bahn, die nach dem gescheiterten Privatisierungsversuch eine merkwürdige Zwitterrolle zwischen gewinnorientiertem Unternehmen und politiknahem Monopolisten einnimmt, hat in den kommenden Jahren enorme Herausforderungen zu bewältigen. Die Infrastruktur ist vielerorts sanierungsbedürftig und stößt von der Kapazität her an ihre Grenzen. 

Ausbau des Schienennetzes verläuft schleppend

Politiker fordern den Ausbau des Schienennetzes, um die „Verkehrswende“ voranzutreiben. Aber gleichzeitig sind die bürokratischen Hürden bei der Planung von Schienenstrecken so gewaltig, dass sich Projekte wie der dringend benötigte Ausbau der Rheintalbahnstrecke in die Läge ziehen. Während die Schweizer ihren Teil zur Aufweitung dieses Nadelöhrs des europäischen Bahnnetzes längst beigetragen haben, streitet man sich auf deutscher Seite immer noch um Schallschutzgutachten und Kurvenradien.

Ob Weselskys Bahnstreik dazu beitragen wird, Autofahrer zum Umsteigen auf die Schiene zu bewegen? Wohl kaum. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, saubere Züge und guter Service sind die entscheidenden Argumente. Das nun drohende Chaos auf den Bahnhöfen der Republik wirkt abschreckend.

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