Angriff auf die deutsche Bankkarte - Visa, Mastercard und Paypal: Zahlungssysteme sind Geopolitik

Im elektronischen Zahlungsverkehr droht Europa den Anschluss zu verlieren, warnt Bankenprofessor Jürgen Moormann. Große Kreditkartenfirmen und Onlinebezahldienste aus den USA bauen ihre Dominanz weiter aus. Was das für die in Deutschland beliebte EC-Karte bedeutet, erklärt er im Interview.

Kreditkartengiganten aus den USA wollen die deutsche EC-Karte verdrängen / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Jürgen Moormann ist Professor für Bank- und Prozessmanagement an der Frankfurt School of Finance & Management. 

Herr Professor Moormann, die deutsche Girocard, oft noch EC-Karte genannt, ist bei Bankkunden und Händlern beliebt. Dennoch droht ihr das Aus. Weshalb?

Das Aus droht der Girocard noch nicht. Zumindest nicht unmittelbar. Die Girocard basiert auf einem seit Jahrzehnten aufgebauten System der deutschen Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Privatbanken und ist hierzulande enorm weit verbreitet. Rund 100 Millionen Karten sind im Umlauf und fast 100.000 Terminals sind installiert. Beim bargeldlosen Zahlen ist das Girocard-System die absolute Nummer eins in Deutschland. Nur ist dieser Erfolg zugleich das Problem: Es ist ein rein deutsches System.

Im Ausland kommt man mit der deutschen Bankkarte nicht weit?

Doch. Sie können auch außerhalb Deutschlands mit Ihrer Girocard Geld abheben oder in Geschäften bezahlen. Aber die Abwicklung läuft nicht über das deutsche Zahlungssystem, sondern über eine Kooperation mit einem der US-Kreditkartenunternehmen Mastercard oder Visa. Bei Mastercard erkennen Sie das beispielsweise an dem „Maestro“-Symbol auf der Karte. Maestro ist der internationale Debitkartendienst von Mastercard. Nun hat Mastercard allerdings angekündigt, den Maestro-Dienst ab Mitte 2023 einzustellen. 

Und das ist für die deutschen Banken ein Problem?

Jürgen Moormann

Ja. Die müssen sich nun etwas ausdenken. Vielleicht finden sie einen anderen Kooperationspartner. Das zweite weltweit tätige Debitzahlsystem ist V-Pay von Visa. Es ist aber anzunehmen, dass auch V-Pay über kurz oder lang eingestellt wird. Der offizielle Hintergrund ist, dass beide Zahlsysteme nicht für das Einkaufen im eCommerce geeignet sind. Der eigentliche Grund dürfte jedoch darin liegen, dass Mastercard und Visa mehr eigene Debit- und Kreditkarten in Umlauf bringen und damit ihren Marktanteil erhöhen wollen.

Man muss sich klarmachen, dass es im Zahlungsverkehr um einen Milliardenmarkt geht. An jeder Transaktion wird verdient. Davon wollen die beide Unternehmen profitieren. Und die Girocard ist in Deutschland mit großem Abstand beim bargeldlosen Zahlen der Marktführer und den US-Unternehmen schon lange ein Dorn im Auge.

Viele Banken geben schon seit längerem zwei Karten an ihre Kunden aus: Neben der Girocard noch eine Kreditkarte.

Die Visa- oder Mastercard-Karten in solchen Duos sind meistens keine richtigen Kreditkarten. Sondern es sind Debitkarten, die im Prinzip so wie die Girocard funktionieren. Bei einer Zahlung wird der Betrag direkt oder mit kleiner Zeitverzögerung vom Girokonto abgebucht und nicht von einem gesonderten Kreditkartenkonto. Mit diesen Karten kann man jedoch auch online bezahlen.

Visa und Mastercard wollen ihre Debitkarten auch auf dem deutschen Markt durchsetzen und machen Banken und Sparkassen attraktive Angebote, um ihre Karten zur jeweiligen „Top of Wallet“ zu machen. Das heißt zu der Karte, die man als erstes beim Bezahlen zückt. Dies spielt im Zahlungsverkehr eine große Rolle – denken Sie an die millionenfachen Zahlungsvorgänge pro Tag. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob es ihnen gelingt.

Wäre das für Bankkunden denn ein Nachteil? Mir kann es doch egal sein, was auf der Karte steht, mit der ich bezahle.

So egal ist es nicht. Die Konsequenzen werden zuerst die Händler zu spüren bekommen, denn sie zahlen für die Akzeptanz von Debitkarten der Kreditkartenunternehmen meist deutlich höhere Gebühren als bei Girocard-Zahlungen. Das gilt insbesondere für Händler, Gastronomen und so weiter, die relativ geringe Umsätze haben. Studien zeigen, dass das deutsche Girocard-System sehr effizient und damit kostengünstig ist. Daher werden Händler etwaige Kostensteigerungen über Preiserhöhungen ausgleichen. Dann wird es auch für den Verbraucher spürbar. 

Müssen wir uns nicht auch fragen, ob es wirklich eine gute Idee ist, sich beim digitalen Bezahlen in die vollständige Abhängigkeit zweier US-Firmen zu begeben?

Das ist ein wichtiger Aspekt und tatsächlich nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine, auch wenn es etwas überhöht klingen mag, geopolitische Frage. Mit PayPal haben wir es im eCommerce ja ebenfalls mit einem US-Giganten zu tun. Und selbst das Rückvergütungssystem Payback gehört zu American Express, ist also in amerikanischer Hand. Zudem liegt die Bezahlschnittstelle am Smartphone entweder bei Apple (Apple Pay), Samsung oder Google, sofern es sich um Android-Geräte handelt.  

Einige europäische Banken haben sich der „European Payments Initiative“ (EPI) angeschlossen und wollen ein neues europaweites Zahlungssystem schaffen. Was halten Sie von dieser Idee?

Die Idee ist nicht ganz neu, aber gut. Es wird höchste Zeit, denn die Marktmacht der US-Unternehmen im Zahlungsverkehr ist bereits enorm. Daher wird die EPI-Initiative sowohl von der Europäischen Zentralbank als auch von der Europäischen Kommission unterstützt. Ich hoffe daher sehr, dass die EPI bald startet und ein Erfolg wird. Denn es ist auf absehbare Zeit vermutlich der letzte Versuch, ein europäisches System für den Zahlungsverkehr zu etablieren. Wenn er scheitert, haben wir den Anschluss endgültig verloren.

Wie optimistisch sind Sie, dass es gelingt?

Technisch wäre es keine allzu große Herausforderung, ein solches System aufzubauen. Die Schwierigkeit liegt eher darin, dass sich die Banken einschließlich ihrer jeweiligen Interessenvertreter und Aufsichtsbehörden innerhalb Europas abstimmen und auf eine Lösung einigen müssen. Wir haben in Europa derzeit 13 unterschiedliche Kartenzahlungssysteme und jedes Land wird zunächst an seinem System festhalten wollen.

So wie sich Deutschland dafür einsetzen wird, die Girocard weiterzuentwickeln und zum europäischen Standard zu machen, werden es die Franzosen mit ihrer Carte Bancaire tun. Oder die Niederländer, die ein gut funktionierendes Zahlungssystem haben, das auf Online-Banking basiert, ähnlich das Swish-System in Schweden. Es ist eine große Herausforderung, die bestehenden nationalen Strukturen aufzubrechen.

Dass sie nicht fürs Online-Shopping genutzt werden kann, ist die große Schwachstelle der deutschen Girocard.

Genau, das ist das zweite große Problem der Girocard. Die deutsche Kreditwirtschaft hat es versäumt, ihr Zahlungssystem rechtzeitig weiterzuentwickeln. Im eCommerce sind daher die großen Kreditkartenorganisationen und reine Online-Zahlungsdienste wie PayPal führend. Und hier wird richtig Geld verdient. Schließlich wächst der eCommerce, während die Umsätze im stationären Handel eher zurückgehen. Die Anzahl der Transaktionen wird sich grob geschätzt bis 2025 verdoppeln. Das erklärt auch die enormen Börsenwerte von Zahlungsdienstleistern. 

Droht der Girocard also irgendwann doch das Aus? Gerade die jüngere Generation kauft doch zunehmend online ein.

Irgendwann wird das passieren. Aber zunächst werden die bis Mitte 2023 ausgegebenen Girocards noch bis zu ihrem Ablaufdatum im Ausland nutzbar sein; das hat Mastercard zumindest zugesagt. Und bis dahin haben wir ja hoffentlich die neue, europäische EPI-Karte. Die muss aber auf jeden Fall multifunktional sein, das heißt im Online-Geschäft einsetzbar sein und weitere Funktionen haben. So müssen Echtzeit-Geldüberweisungen zwischen Privatpersonen möglich sein, ebenso wie Ratenkauf-Optionen, wie es sie heute bereits im Internet gibt. Auch der digitale Euro, wenn er denn kommt, müsste in das neue Zahlungssystem integriert werden.

Für die Banken ist die Entwicklung eines solchen neuen Systems sehr teuer. Meinen Sie nicht, die werden eher auf bereits vorhandene von Visa und Mastercard umstellen?

Die Banken fahren bereits doppelgleisig. Einerseits unterstützen alle drei Bankengruppen in Deutschland die EPI. Andererseits läuft bei einigen Banken bereits der Squeeze-out der Girocard. Das kann man gut bei den Direktbanken beobachten. Die DKB gibt nur noch die Visa-Debitkarte an ihre Kunden aus, ähnlich die N26 mit Mastercard. Die ING-DiBa verlangt ab März für die Girocard eine monatliche Gebühr, während die Visa-Karte kostenlos bleibt. Auch die Comdirect will Visa als Hauptkarte durchsetzen und hat klammheimlich das V-Pay-Logo von der Girocard verschwinden lassen.

Ich vermute, dass diese Banken mit sehr guten Konditionen gelockt wurden. Aber die traditionellen Kreditinstitute werden meiner Einschätzung nach noch eine ganze Weile an der Girocard festhalten. Schließlich sind sie die Träger des Girocard-Systems. Zudem ist die Girocard, aus guten Gründen, einfach zu weit verbreitet und zu beliebt.

Die Fragen stellte Daniel Gräber.

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