Der Staat als Retter der Wirtschaft - Im richtigen Spiel der Kräfte

Auch schon vor der Krise stand die globale Wirtschaft unter Druck. Jetzt droht ein Super-GAU. Der Staat muss eingreifen und die Wirtschaft wiederbeleben. Dabei läuft er Gefahr, sich zu übernehmen.

DIe Wirtschaft wird ausgebremst / picture alliance
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Autoreninfo

Markus Karp ist an der Technischen Hochschule Wildau Professor für Public Management und Staatssekretär a.D.

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Eine Lockdown-Folge, die mit Covid-19 Einhalt verbunden ist, sind astronomische Kosten durch eine teilweise Stilllegung der Wirtschaft. Dazu kommen weitere Kollateralschäden. Insolvente Unternehmen, denen staatliche Subventionen und Kredite nicht helfen konnten, steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Kaufkraft gehören dazu.

Es ist mit sekundären Pleitewelle zu rechnen. Selbst mit einer zweiten oder dritten Infektionswelle muss man rechnen. Über deren Resultate möchte man gar nicht erst nachdenken.

Die große Depression

In der Wirtschaftsgeschichte gab es in Friedenszeiten bisher nur ein Ereignis, das dem aktuellen weltweiten Schock ähnlich war: Die große Depression, die auf den Börsencrash von 1929 folgte. Das war der Endpunkt einer wirtschaftsliberalen Epoche.

Politiker reagierten zunächst grundfalsch: Mit einer Untätigkeit, die allein auf das freie Spiel der Kräfte vertraute, mit Zinserhöhungen, welche Kredite platzen und Banken kollabieren ließ sowie mit einer prozyklischen Sparpolitik, die auf die schwindende Nachfrage wie ein Brandbeschleuniger wirkte.

Das Globalisierungsmodell unter Druck

In den USA führte das zu einer harten politischen Abkehr von der Marktgläubigkeit, in anderen Ländern aber markierte dies den Aufstieg antidemokratischer Extremisten, am schlimmsten unzweifelhaft in Deutschland. Heute stellt sich die Situation etwas anders dar, weil der wirtschaftliche Kollaps Resultat staatlichen Handelns und nicht fehlgeleiteter Spekulation ist.

Für das schon seit einiger Zeit und nicht ohne Grund unter Druck stehende liberale Globalisierungsmodell werden die staatlichen Maßnahmen im Zuge der Corona-Krise zum Super-GAU. Die Ursachen unterschieden sich, aber die Schwere der Krise könnte ähnlich groß ausfallen.

Ein staatlicher Eingriff verlangt den nächsten

Motor für alles ist jetzt die Exekutive: Alle Räder stehen still, wenn ihr starker Arm es will, so könnte die Abwandlung einer altbekannten und erfolgreichen Parole der Arbeiterbewegung lauten. Im Gefolge dieses beispiellosen Vorgehens wird eine Kaskade staatlicher Maßnahmen notwendig werden, um die entstehenden Verwerfungen in den Griff zu kriegen.

Ein staatlicher Eingriff verlangt den nächsten. Zunächst scheint das zu funktionieren: Selbst die Wall Street schaut nicht mehr auf den Markt, sondern auf die staatlichen Maßnahmen der Krisenbekämpfung. Billionensummen werden versprochen.

Es verbreitet sich ein neuer Glauben an den Staat

Sogar in den Vereinigten Staaten gibt es plötzlich seit hundert Jahren nicht durchsetzbare Bestimmungen wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, und das erste Helikoptergeld wurde schon abgeworfen. In Europa ist binnen kurzem die Bevölkerungsmehrheit auf staatliche Leistungen in irgendeiner Form angewiesen.

Es verbreitet sich ein neuer Glauben an den Staat. Als der „New Deal“ im Zuge der Großen Depression eine Epoche des starken Staates und der hohen Staatsquote einleitete, war John Maynard Keynes der Ökonom der Stunde. Die Marktorthodoxen waren abgemeldet.

Der richtige Zeitpunkt

Jetzt wird es wohl ähnlich kommen. Politisch ist es die Gelegenheit, auf die Ära einer marktkonformen Demokratie das Zeitalter des demokratiekonformen Marktes einzuläuten. Dem Souverän schmecken die Vorstellungen, Wünsche zulasten des globalisierten Wirtschaftens durchzusetzen.

Jetzt ist der Zeitpunkt, lokale Wertschöpfungsketten und regionale Versorgungssicherheit zu ermöglichen und bei Produktion, Zulieferung und Absatz mehr europäische Akzente zu setzen. Jene Teile Europas, die schon vorher wirtschaftliche Probleme hatten und von der Pandemie besonders schwer getroffen worden sind, werden das dringend benötigen, weil die Eurozone anderenfalls nur durch transnationale Umverteilung beatmet werden kann.

Der Zyklus von Regulierung und Deregulierung

Doch droht dies auch, die Geberländer politisch und fiskalisch zu zerreißen. In allem ist Augenmaß geboten. Läuft der interventionistische Staat Gefahr, sich zu übernehmen, beginnt der Zyklus von Regulierung und Deregulierung von vorn.

So wie die Politik aus den Fehlern von 1929 lernen musste, waren auch Irrwege in den 1970er Jahren ein Erfahrungsprozess. Auf keinen Fall darf der starke Staat sklerotisch werden oder sich für omnipotent halten. Solche Tendenzen haben erst dazu geführt, dass das Jahrzehnt vor der Kanzlerschaft Angela Merkels von einem schmerzhaften Ringen um den Rückzug des Staates und den Abbau seiner bürokratischen Adipositas geprägt war.

Im Idealfall ein Gleichgewicht

Im Idealfall entsteht ein Gleichgewicht zwischen einem starken und durchsetzungsfähigen Staat und einer lebendigen Wirtschaft, die nicht am Gängelband der Politik geführt wird. Wenn es jetzt auch der staatlichen Intervention bedarf – so wie es offenkundig von demokratischen Mehrheiten getragen wird – muss dieser Staat verantwortlich mit seinen vorhandenen Ressourcen und den tatsächlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten umgehen.

Eine notwendige Prosperität wächst nur auf dem wettbewerbsorientierten Markt, der Innovation und Kreativität hervorbringt. Diese Kraft und ein starker Staat sind kein Widerspruch. Sie schließen einander nicht aus. Sie bedingen einander. Dahinter steht die Idee der sozialen Marktwirtschaft. Sie hält für die Bewältigung der Post-Corona-Zeit die richtigen Antworten bereit.

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