Rentenpolitik - Wie Corona Generationen spaltet

Das Verhältnis zwischen Älteren und Jüngeren wird durch Corona noch ungleicher werden. Denn ausgerechnet die Rentner werden von den Folgen der Krise profitieren. Zugleich geraten die jüngeren Generationen immer mehr unter Druck. Dabei gäbe es Alternativen.

Nun rächen sich die einseitigen Regelungen in der Rentenpolitik / picture alliance
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Autoreninfo

Axel Börsch-Supan ist Professor am Münchner Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik und gilt als einer der führenden Rentenexperten. Er war Mitglied der Rentenkommission der Bundesregierung.

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Mitten in der Corona-Krise hat die Rentenkommission – offiziell: Kommission Verlässlicher Generationenvertrag – ihre Ergebnisse vorgestellt. Vielleicht war es gut, dass die Berichterstattung darüber wegen der Pandemie in den Hintergrund getreten ist. Denn die Ergebnisse sind enttäuschend mager ausgefallen. Ein verlässlicher Generationenvertrag ist in den Empfehlungen nicht erkennbar. Ganz im Gegenteil werden zentrale Fragen – wie hoch ist das Rentenniveau, wie viel müssen die Erwerbstätigen zahlen, wann darf man in Rente gehen – mit scheunentorweiten Korridoren beantwortet und an die nächste Kommission weitergegeben wie eine zu heiße Kartoffel.

Man mag nichts anderes erwartet haben. Eine Kommission mit satter Zwei­drittelmehrheit aus Berufspolitikern und Verbandsvertretern kann keine großen Sprünge machen, wenn die meisten Partei- und Verbandsinteressen verpflichtet sind. Der Status quo ist mächtig, denn die Älteren gehen eifrig wählen, die Jüngeren – das muss man zu ihrer Schande sagen – tun es nur mäßig. Die ganz Jungen aber, die der Generationenvertrag betrifft, dürfen noch gar nicht.

Schön, aber nur halb richtig

Man mag sagen, das ist doch alles nicht so schlimm, wir haben ja ein gutes Rentensystem. Das stimmt. Der Bundesarbeitsminister verkündete im März erneut eine überdurchschnittlich hohe Rentensteigerung. Die Rentenversicherung könne „damit in der aktuellen wirtschaftlichen Lage ein positives Signal setzen“. Schön, aber nur halb richtig. Denn die Rente reagiert auf Lohn- und Beschäftigungsentwicklungen mit ein- bis zweijähriger Verzögerung. Die Auswirkungen der aktuellen Corona-Krise werden die Rente also erst 2021/2022 erfassen. 

Erst dann wird man sehen, wie stark der Wirtschaftseinbruch die Rentenversicherung treffen wird. Schon heute lässt sich aus der bestehenden Rechtslage schließen, wie asymmetrisch die Folgen die jüngere Beitragszahlergeneration zu deren Ungunsten treffen wird. Denn das komplizierte Rentenrecht wurde in den letzten Jahren immer wieder in eine Richtung geändert: mehr Leistungen, die aber finanziert werden müssen. Geld war in den vergangenen Jahren dank des Wirtschaftsbooms genug da. Ein Alterssicherungssystem muss aber auch in schlechten Jahren funktionieren.

Die Rentner profitieren von der Krise

Nun rächen sich die einseitigen Regelungen: Da ist erstens die 2005 eingeführte Rentengarantie, die verhindert, dass ein Rentenzahlbetrag fallen kann. So sollen Rentner in einer Rezession geschützt werden. Um dauerhafte Belastungen für die Beitragszahler zu vermeiden, wurde der Nachholfaktor eingeführt. Er führt die Renten, wenn die Wirtschaft wieder floriert, auf das alte Gleichgewicht zwischen Beitragszahlern und Rentenempfängern zurück. Doch die Große Koalition hat als Teil des Rentenpakts 2018 eben diesen generationengerechten Nachholfaktor ausgesetzt.

Was bedeutet dies für die Corona-­Krise? Rezessionsbedingt sinken zunächst die Entgelte der Arbeitnehmer, die Renten werden durch die Rentengarantie geschützt. Die logische, aber aus Sicht der Generationengerechtigkeit schwer einsehbare Folge: Das Sicherungsniveau der Renten – also die Standardrente geteilt durch das Durchschnittsentgelt – wird im Jahr 2021 deutlich ansteigen. Und zwar umso mehr, je tiefer die Rezession 2020 ausfallen wird. Relativ zu den Beitragszahlern profitieren die Rentner von der Krise. Nach altem Recht hätte der Nachholfaktor dafür gesorgt, dass dieser Effekt sich nach einigen Jahren wieder ausgleicht. Jetzt aber bleibt das Sicherungsniveau dauerhaft höher als vor der Corona-Krise. Schön für die Rentner, aber es muss finanziert werden. In der Folge muss der Beitragssatz auf Dauer steigen – erst um die Garantie zu finanzieren, danach um das gestiegene Niveau zu sichern. 

 

Hinzu kommt eine dritte Richtungsänderung in der Rentenpolitik: Sollte die Rezession sehr tief ausfallen, wird der Anstieg des Beitragssatzes durch die doppelte Haltelinie, die als Teil des Rentenpakts 2018 eingeführt wurde, bei 20 Prozent gedeckelt. Was sich wie ausgleichende Gerechtigkeit anhört, ist nicht der Fall. Denn der Bund muss einspringen und das entstehende Finanzloch füllen. Der Bund aber wird nach der Corona-Krise hoch verschuldet sein. Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen dürften also die Folge sein und werden tendenziell die Jüngeren treffen.

Die Corona-Krise legt erst recht offen, wie asymmetrisch das Rentensystem die jüngere und die ältere Generation in den vergangenen Jahren behandelt hat. Ältere werden tendenziell bevorzugt, Jüngere zahlen den Hauptteil der Zeche.

Doppelte Bestrafung für die Jüngeren

Viele Jüngere glauben, wenn Rentner gut behandelt werden, werden auch sie selbst später gut behandelt, etwa hohe Rentensteigerung erhalten und früh in Rente gehen dürfen. Das ist unwahrscheinlich. Eher werden sie doppelt bestraft. Denn die eigentliche Herausforderung der Rentenversicherung ist nicht der Konjunktureinbruch wegen der Corona-Pandemie, sondern die demografische Entwicklung.

Deutschland steht unmittelbar vor einem Alterungsprozess. Wenn es künftig wegen des demografischen Wandels deutlich weniger Beitragszahler pro Rentner geben wird, wird man gar nicht umhinkommen, sparsamer mit Rentenerhöhungen umzugehen. Wenn wir immer länger leben, wird es gar nicht anders gehen, als das Rentenalter heraufzusetzen.

Die Rentenkommission hat die Chance vertan, diese doppelte Bestrafung durch einen verlässlichen Generationenvertrag zu verhindern, indem man jetzt schon sparsamer mit Rentenerhöhungen umgeht. Diese Kommission hat es nicht gewagt, die Asymmetrien im Rentenrecht zu beseitigen. Der viel geschmähte Nachhaltigkeitsfaktor hat seit 2005 die demografischen Lasten proportional gleichmäßig auf Alt und Jung verteilt. Auch in der Finanzkrise 2008 hatte das gut funktioniert. Nicht zuletzt aus großkoalitionärer Wahltaktik, die eifrigsten Wähler am meisten zu belohnen, wurde die Symmetrie abgebaut.

Wir müssen uns mehr um die Jüngeren kümmern

Die Jüngeren aber leben in einer schwierigeren Welt als wir Älteren: Wirtschaftlich geht es langsamer bergauf als im Wirtschaftswunder. Auf die Jungen kommen der demografische und auch der klimatische Wandel ebenso finanziell bedrohlich hinzu. Kein Wunder nimmt die Skepsis gegenüber der sozialen Marktwirtschaft und unserer demokratischen Grundordnung gerade unter ihnen zu.

Wir müssen uns mehr um die Jüngeren kümmern. Ihnen gehören prioritär die Mittel des Staates: für eine bessere Ausbildung und mehr Chancengleichheit. Die Rentenpolitik darf keine Milliarden in eine Grundrente stecken, die den wirklich von Altersarmut Bedrohten gar nicht helfen kann; keine Milliarden Steuermittel in Haltelinien stecken, die doch nur ab 2025 zu einem desaströsen Anstieg des Beitragssatzes führen werden; keine durch die Rente mit 63 noch verstärkten Versprechungen machen, dass das Rentenalter nicht weiter steigen wird. 

Vorbild Österreich?

Maßvolle und der demografischen Herausforderung gemäße Alternativen zu den mageren Vorschlägen der Kommission gibt es genug. Der 2005 eingeführte Nachhaltigkeitsfaktor sollte als „Generationengerechtigkeitsfaktor“ so vereinfacht werden, dass, wenn die demografische Belastung der Rentenversicherung steigt, die Mehrbelastung der Aktiven durch höhere Beiträge zu einem anteilig gerechten Absinken des Sicherungsniveaus der Renten führt. Sie werden dadurch weniger stark steigen wie die Löhne; werden aber auch in Zukunft weiter steigen und Abstand halten zu den Leistungen der Grundsicherung.

Es gibt Alternativen. Man könnte auch – wie etwa in Österreich – das Rentenniveau beim Rentenzugang relativ hoch ansetzen, dann aber die Bestandsrenten deutlich langsamer als die Löhne steigen lassen. Der Vorteil: Das Einkommen beim Übergang in die Rente fällt nicht so stark. Die erste Rentenzahlung wäre deutlich höher als bislang. Das wird beim Vergleich mit Österreich oft lobend betont. Allerdings erkauft man sich dies mit einem während der Rentenbezugszeit immer weiter fallenden Sicherungsniveau: Während die Löhne steigen, stagnieren die Renten. Zwar wird die Kaufkraft gesichert, aber der Lebensstandard sinkt relativ zu den Löhnen. Ob man das viel gerühmte österreichische System übernehmen will, muss man sich also gut überlegen.

Beamte integrieren und Betriebsrenten ausbauen

Alternativlos ist es, die durch die wachsende Lebenserwartung gewonnenen Jahre zwischen Erwerbstätigkeit und Ruhestand aufzuteilen. Nur so lässt sich der Druck auf Beitragssatz und Rentenniveau zugleich verringern. Es wäre unvernünftig, hier in Extremen zu denken, etwa die zusätzlichen Lebensjahre komplett in einer längeren Rentenlaufzeit oder vollständig in einer längeren Erwerbsphase zu verbringen. Gegenwärtig besteht ein Durchschnittsleben aus etwa 40 Jahren Arbeit und 20 Jahren Rentenbezug. Diese Proportionen gilt es auch nach dem Jahr 2030 zu wahren. Dies ist nicht die gefürchtete „Rente mit 70“. Gemäß dieser Regel müsste erst 2043 das Rentenalter auf 68 Jahre angehoben werden. Den Rentnern würde nichts weggenommen, und die längere Lebenserwartung ginge nicht ausschließlich zulasten der Jüngeren. Im Alter von 68 Jahren haben 73 Prozent der Deutschen keine arbeitsrelevanten Einschränkungen ihrer physischen und psychischen Gesundheit. 27 Prozent allerdings schon. Ein steigendes Renteneintrittsalter macht also eine weitere Anpassung der Erwerbsminderungsrenten notwendig.

Beamte sollten in die gesetzliche Rentenversicherung integriert werden; Bund und Länder müssten ihnen zusätzlich eine Betriebsrente zahlen. Selbstständige sollten nach einer Karenzzeit der Versicherungspflicht unterliegen. Beide Maßnahmen können die finanzielle Situation der gesetzlichen Rentenversicherung nicht verbessern, dienen aber dem Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung und verhindern im Fall der Soloselbstständigen Altersarmut.

Auf Gedeih und Verderb

Schließlich sollte die private und betriebliche Altersvorsorge gestärkt werden. Von Kapitaldeckung sind zwar keine Wunder zu erwarten. Finanzkrisen wie 2008 und jetzt die Corona-Krise zeigen dies. Aber die kapitalgedeckte zusätzliche Altersvorsorge entlastet die jüngere Generation, weil sie von jenen aufgebaut wird, die später davon profitieren. Wer die Kindergeneration der Babyboomer erreichen will, muss jetzt handeln. Jeder Arbeitgeber muss verpflichtend eine Betriebsrente anbieten. Dazu soll der Staat ein Standardprodukt zur Verfügung stellen, das kleine Unternehmen nicht mit Bürokratie und Zusatzkosten belastet. Solche Optionen nur zu prüfen, wie die Kommission empfiehlt, die Politik aber nicht entscheidet, heißt, sich einmal mehr vor der Verantwortung zu drücken.

Der demografische Wandel wirkt sich nicht nur auf die Finanzierung der Altersvorsorge aus. Die Alterung der Gesellschaft bedeutet, dass wir mehr in die Jugend investieren müssen, weil die Alten auf Gedeih und Verderb auf die Jungen angewiesen sind. Junge Menschen müssen also besser ausgebildet werden, um angemessen hohe Löhne zu erreichen. Bessere Bildung ist das Fundament für höherwertigere Arbeitsplätze in Zeiten von demografischem Wandel und Digitalisierung. Damit der Staat mehr in Bildung investieren kann, muss er die Ausgaben in Balance halten, auch bei den Rentenausgaben. Wir können nur hoffen, dass die nächste Rentenkommission die Chance ergreift, einen auch in diesem Sinne umfassenden verlässlichen Generationenvertrag zu schaffen.

Dieser Text ist in der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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