Neustart nach dem Corona-Shutdown - Wie wir die Insolvenz des Staates verhindern

Die Rettung der Wirtschaft vor dem totalen Corona-Crash darf unter keinen Umständen zur Staatsinsolvenz mit all ihren schrecklichen Auswirkungen etwa für den Sozialstaat führen. In seinem Gastbeitrag schlägt Christian Baldauf (CDU) einen „Sanierungspakt“ vor.

Die Wirtschaft muss wieder angekurbelt werden / dpa
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Christian Baldauf gehört dem CDU-Bundesvorstand an und ist Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz.

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Seit fast fünf Wochen nun stehen große Teile des öffentlichen Lebens in Deutschland in Folge der dringend notwendigen und unvermeidbaren Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie weitgehend still. Klar ist heute schon: Die Shutdown-Strategie wird tiefgreifende strukturelle wirtschaftliche Folgen haben, die in ihrer Tragweite noch nicht absehbar sind.

Trotz aller staatlichen Hilfsmaßnahmen sind weitere Insolvenzen und damit der Verlust von Arbeitsplätzen zu befürchten. Eine deutliche Rezession wird die vor der Krise erlebte zehnjährige Hochkonjunkturphase in noch hellerem Licht und die Verluste dagegen noch düsterer erscheinen lassen. Es geht hier um Existenzen, Auskommen und Wohlstand.

Ein Neustart für das Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsleben

Jeder Arbeitsplatz, der verloren geht, steht für das Auskommen einer Arbeitnehmerin, eines Arbeitnehmers – für Familien mit Kindern. Es muss deshalb jetzt über die nach der Beendigung des COVID-19 bedingten Ausnahmezustands notwendigen Weichenstellungen nachgedacht werden - und diese müssen vorbereitet werden. Dabei ist klar: Nach dem Ausnahmezustand ist nicht vor dem Ausnahmezustand.

Wir haben die Verhältnisse nicht einfach eingefroren, so als brauchten wir sie jetzt nur wieder aufzutauen. COVID-19 hat die Welt grundlegend verändert. Deshalb können wir nicht einfach da weitermachen, wo wir vor der Krise aufgehört haben. Wir brauchen einen Neustart für unser Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsleben. Bestandsaufnahme nach der Krise Voraussetzung für jede Überlegung zur Ankurbelung der Wirtschaft ist, dass die administrativen Bremsen für die Angebots- wie die Nachfrageseite, also die Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz, beseitigt sind, das normale Leben also wieder begonnen hat.

Wir müssen für diesen Zeitpunkt beachtliche Einkommens- und Kapitalverluste eines hohen Anteils der wirtschaftlichen Akteure voraussetzen, die durch die jetzt beschlossenen Notmaßnahmen nur abgemildert werden konnten. Deshalb muss kurzfristig eine wirtschaftliche Krisenbilanz vorgelegt werden, die folgende Punkte enthält: Zahl der Arbeitsplatzverluste, Zahl Unternehmensinsolvenzen und Unternehmensaufgaben, Erreichtes und für das Folgejahr zu erwartendes positives oder negatives Wirtschaftswachstum,  Feststellung der vorrangig betroffenen Branchen, Lage der Haushalte, Höhe der Neuverschuldung, Inanspruchnahme der Kreditermächtigungen, Vorbelastung durch erhöhte Zinsleistungen, Entwicklung der Steuereinnahmen 

Notwendige Richtungsentscheidungen

Beim Ausklingen der COVID-19-Krise stehen wir vor einer doppelten Aufgabe: Die Wirtschaft muss wieder in den Aufschwung kommen, die Einbrüche bei Angebot und Nachfrage gleichzeitig müssen wieder ausgeglichen werden. Und es gilt, die gewaltige Neuverschuldung des Staates wieder zurückzuführen, Schulden zu tilgen. Beides zugleich erscheint auf den ersten Blick wie die Quadratur des Kreises.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma erfordert eine klare und konsequente Richtungsentscheidung. Die Entscheidung muss lauten, zuerst alles zu tun, um die Wirtschaft wieder zu beleben, um dann mit der wieder wachsenden Steuerkraft die Staatsfinanzen zu sanieren. Das kann nicht gelingen, wenn die ohnehin finanziell geschwächten Firmen und Privathaushalte auch noch mit Steuererhöhungen belastet werden.

Varianten des Wiederaufschwungs

Wie gut und wie schnell diese doppelte Aufgabe gelöst wird, hängt davon ab, wie lange der Shutdownaufrechterhalten wird. In seinem Sondergutachten beschreibt der Sachverständigenrat dazu drei alternative Szenarien. Die beiden ersten Szenarien sind zwei Varianten eines Wiederaufschwungs der Wirtschaft im Sommer 2020 oder im Herbst/Winter 2020/2021 („Basisszenario“ und „ausgeprägtes V“).

Beide setzen voraus, dass der Shut Down vor dem Sommer beendet wird. Das dritte Szenario („Risikoszenario langes U“) beschreibt eine sehr viel kritischere Lage, wenn der Shut Down über den Sommer in Herbst und Winter anhält. Für diesen Fall gehen die Befürchtungen der Sachverständigen bis hin zu „negativen Rückkoppelungen über die Finanzmärkte oder das Bankensystem.“

Keine Kosten scheuen

Das ist seine sehr zurückhaltende Beschreibung für eine neue Finanzkrise, die direkt an die COVID-19-Krise anschließt. Die zwar zwischen den Zeilen ausgesprochene aber dennoch glasklare Botschaft ist: Im Sommer dieses Jahres muss das Leben im Land wieder normalisiert sein, wenn wir die ökonomische Lage im Griff behalten wollen. Um das zu erreichen, sollten Bund und Länder keine Kosten scheuen, um valide Kenntnisse über Covid-19 zu erhalten und die Kapazitäten des Gesundheitswesens hochzufahren.

Alles andere würde weit teurer werden. Investitionen verstetigen und Investitionsstau auflösen. Die Erfahrungen mit den Konjunkturprogrammen nach der Finanzkrise 2008 haben gezeigt, dass die staatlichen Investitionsprogramme zu langsam anlaufen und viel Geld erst dann wirklich abfließt, wenn die Krise schon überwunden ist.

Staatliche Finanzhilfen müssen fortgesetzt werden

Deshalb sollten die staatlichen Investitionspläne so, wie sie jetzt beschlossen sind, kontinuierlich fortgesetzt werden. Wir müssen aber versuchen, den Stau beim Abfluss der Mittel durch administrative und rechtliche Hindernisse abzubauen. Zur Beschleunigung kommunaler Investitionen und zur Förderung der regionalen Wirtschaft sind (zeitlich begrenzt) vereinfachte, freihändige Vergaben und beschränkte Ausschreibungen verstärkt zuzulassen.

Um der Wirtschaft die notwendige Luft zum Atmen zu verschaffen, sollte darüber hinaus ein zeitlich befristetes grundsätzliches Moratorium für zusätzliche Belastungen z.B. bei den Energiepreisen, bei direkten Kosten oder zusätzlichem Verwaltungsauf-wand beschlossen werden. Vor der Krise wurde in vielen Bereichen ein Investitionsstau diagnostiziert - Rheinland-Pfalz ist dabei ein Musterbeispiel.

Der Neustart als Chance zur Modernisierung

Der notwendige Neustart nach der Krise kann deshalb ideal als Chance genutzt werden, unsere öffentliche Infrastruktur über Konjunkturprogramme zu modernisieren und damit einen wichtigen Impuls für die Ankurbelung der Wirtschaft zu geben. Das gilt z.B. für den Brücken- und Straßenbau, die Digitalisierung, das Gesundheitswesen (kleine Krankenhäuser), Schul- und andere öffentliche Gebäude. Hierzu zählt z.B. auch ihre energetische Ertüchtigung.

Die Möglichkeit der Beschleunigung durch vereinfachte Genehmigungs- und Bewilligungs-verfahren muss dabei genutzt werden. Bestandteil eines Konjunkturprogramms zur Ankurbelung der Wirtschaft könnte ein umfangreiches Wohnungsbauprogramm sein. Hierunter fällt der Neubau wie auch die Renovierung von Wohnungen mit Sozialbindung (sozialer Wohnungsbau). Der Staat sollte auch wieder stärker in die Förderung des Eigenheimbaus und des selbst-genutzten Wohnraums sowie dessen Renovierung und Sanierung einsteigen

Steuern senken

Für den Neustart müssen Kräfte mobilisiert und freigesetzt werden. Die Forderung nach höheren Belastungen (Vermögensabgabe), wie sie jetzt schon wieder von der SPD ins Spiel gebracht werden, wirkt kontraproduktiv und ist zurückzuweisen. Mit Neidkomplexen kann der Neustart nicht gelingen!

Unternehmen müssen entlastet, die Kaufkraft der Verbraucher gestärkt werden. Als unmittelbar erfolgreich haben sich die in den Konjunkturpaketen nach 2008 enthaltenen Steuererleichterungen mit Erhöhung des Grundfreibetrages der Einkommensteuer, der noch vorsichtigen Abflachung des progressiven Steuertarifs und höhere Freibeträge für die Familien erwiesen.

Maßnahmen für private Haushalte und Unternehmen

Auch der Sachverständigenrat plädiert in seinem Sondergutachten dafür, Unternehmen und Haushalten mit Steuererleichterungen größere Nachfrage möglich zu machen (Langfassung S. 87, Punkt 173). Nach den finanziellen Einbußen müssen Unternehmen und private Haushalte liquide Mittel haben, um die Nachfrage anzuregen. Deshalb sollte Folgendes getan werden:

- Eine Reform der Unternehmenssteuer, wie von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorgeschlagen.

- Eine dreistufige Reform der Einkommensteuer, wie vom letzten CDU-Bundes-parteitag beschlossen. Dabei ist zu überlegen, ob nicht schon im ersten Schritt der Einkommensteuertarif gestreckt wird und die anderen Schritte folgen. 

- Eine Reform der Abgeltungssteuer mit Erhöhung der Sparerfreibeträge auf 2.000 bzw. 4.000 Euro und der Verrechnung der realen Kapitalverluste infolge extremer Niedrigzinsen mit der Steuerschuld. Selbständige,  Unternehmer und Beschäftigte dürften in der Krise auf private Geldreserven zurückgreifen. Diese private Vorsorge wirkt sich stabilisierend aus. Diese privaten Geldreserven müssen wieder aufgestockt werden. Das muss steuerlich erleichtert werden.

- Eine vollständige Abschaffung des Solidarzuschlags.

Alle diese steuerlichen Maßnahmen bedürfen der Zustimmung von Bund und Ländern. Die Bundesländer sind deshalb gefordert! Die Erfahrung hat gezeigt, dass Nettosteuer-entlastungen mit etwa einjähriger Verzögerung durch Wirtschaftsbelebung zu erhöhten Steuereinnahmen führen (z.B. Reform der 80er Jahre). Die Länder haben durch die gute Konjunktur der zurückliegenden Jahre und die damit verbundenen hohen Steuereinnahmen zum Teil beachtliche Haushaltsreserven anlegen können. In Rheinland-Pfalz sind das mindestens 700 Mio. Euro. Diese können jetzt eingesetzt werden.

Staatsfinanzen unter Kontrolle halten – Rückkehr zur schwarzen Null

Die Rettung der Wirtschaft vor dem totalen COVID-19-Crash darf unter keinen Umständen zur Staatsinsolvenz mit all ihren schrecklichen Auswirkungen etwa für den Sozialstaat führen. Im Vergleich dazu wäre die Finanzkrise 2008/2009 nur ein laues Lüftchen gewesen. Zunächst ist festzustellen: Die Finanzverfassungen des Bundes und der Länder haben sich als krisenfest erwiesen. Die vorangegangene konsequente Politik der schwarzen Null - zumindest beim Bund - machte den Staat in der Krise stark und handlungsfähig.

Nur weil in Zeiten der Hochkonjunktur keine Schulden gemacht wurden, konnte der Bund jetzt einen finanziellen Schutzschirm aufspannen, den es in dieser Dimension noch nicht gegeben hat. Hierfür geht der Staat in ungekanntem Ausmaß in die Verschuldung. Das steht durch-aus im Einklang mit der Schuldenregel des Grundgesetzes und der Verfassungen der Länder.

Immer neue Gründe, mehr Geld auszugeben

So sehen das Grundgesetz und z.B. auch die rheinland-pfälzische Landesverfassung in „außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen“ (Art. 109, Abs. 3 GG und Art. 117, Abs. 1 LV) die Aufnahme von Krediten ausdrücklich vor. Weder für den Schutzschirm während der Krise noch für schulden-finanzierte Maßnahmen zum Neustart nach der Krise müssen die Schuldenregel oder das Grundgesetz bzw. die Verfassungen außer Kraft gesetzt bzw. geändert werden.

Die Neuverschuldung wird jedenfalls drastisch, gegegbenenfalls in ungeahnte Höhen steigen. Und es wird immer neue Gründe geben, immer noch mehr Geld auszugeben. Dabei darf aber eines auf keinen Fall vergessen werden: Auch der Staat kann insolvent gehen, auch ihm sind Grenzen gesetzt und alles staatliche Geld, das wir in dieser Ausnahmesituation aus noch so gutem Grund in großem Umfang ausgeben, muss von den Einkommen der Bürger durch Steuern und Abgaben jetzt und in der Zukunft finanziert werden.

Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Deshalb ist verfassungsrechtlich explizit vorgeschrieben, dass für diese Schulden eine „entsprechende Tilgungsregelung“ vorzusehen ist. Hiervon soll bewusst eine disziplinierende Wirkung ausgehen. Es muss deshalb bei aller Unterstützung sinnvoller schuldenfinanzierter Maßnahmen zum wirtschaftlichen Neustart immer wieder auch die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben angemahnt werden.

Die Sanierung der Haushalte ist Pflicht, sobald die Wirtschaft wieder Wachstumsergebnisse erzielt und spätestens, wenn das Niveau der Steuereinnahmen von 2019 wieder erreicht ist. Dann muss die schwarze Null wieder eingehalten werden. Von diesem Zeitpunkt an dürfen die Haushaltspläne keine Neuverschuldung mehr ausweisen und sollen/müssen ggf. Nettotilgungen von Schulden veranschlagen (Tilgungsregelung).

Haushaltsüberschüsse und Vermögensabgaben

Haushaltsüberschüsse im Ist sollten zur Hälfte zur Schuldentilgung und zur Bildung einer Haushaltsrücklage verwendet werden. Dies entbindet nicht von der Notwendigkeit, verzichtbare Haushaltsausgaben zu kürzen oder zu streichen. Sollte zum Beispiel wegen steigender Zinssätze oder infolge einer noch höheren Belastung der Staatshaushalte durch die COVID-19-Krise eine schnellere Entschuldung notwendig sein, dann kann/muss nach Einsatz des wirtschaftlichen Aufschwungs über zeitlich sehr begrenzte Einmalabgaben nachgedacht werden.

Eine Vermögensabgabe oder Vergleichbares als Abgabe auf die Substanz ist abzulehnen. Die Maßnahme sollte auf die Ertragssteuern gerichtet sein. Die Ergänzungsabgabe gibt es nur für den Bund. Bund und Länder könnten aber z.B. einen auf ein bis drei Jahre von vornherein begrenzten „Sanierungspakt“ schließen. Der kann für den Bund eine befristete Ergänzungsabgabe vorsehen.

Im Gegenzug werden die Anteile von Ländern und Gemeinden an der Mehrwertsteuer befristet erhöht. Beides geht ohne Grundgesetzänderungen. So würde die Sanierungsleistung der Bürger zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufgeteilt. Entscheidend ist, dass eine solche Maßnahme auf die oben geforderten und vollzogenen Steuersenkungen aufsetzt.

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