Merck-CEO Stefan Oschmann - Elektronische Medizin

Der Chemie- und Pharmakonzern Merck hat bekannt gegeben, dass er künftig Lizenzen der sogenannten Genschere CRISPR an Universitäten vergeben wird. Das Familienunternehmen aus Darmstadt muss sich derzeit schnell verändern. Der Plan von CEO Stefan Oschmann könnte aufgehen

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Stefan Oschmanns Leidenschaft ist die Wissenschaft / picture alliance
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Brigitte Scholtes arbeitet als freie Wirtschaftsjournalistin in Frankfurt.

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Er leitet das älteste Pharmaunternehmen der Welt. Und unter der Führung von Stefan Oschmann scheint sich die Darmstädter Merck KGaA noch schneller zu wandeln, als sie das in ihrer gut 350-jährigen Geschichte ohnehin tun musste, um überlebensfähig zu bleiben. Dazu gehört auch die Übernahme des amerikanischen Halbleiterunternehmens Versum. Man sehe „eindeutig den Trend, dass sich Medizin und Elektronik immer stärker vermischen“, begründet der Manager diesen Plan.

Versum wollte eigentlich nicht zu Merck, Oschmann aber pokerte, stockte seine Offerte auf 5,8 Milliarden Euro auf – und setzte sich durch. Die drei Sparten von Merck sollen besser untereinander austariert werden – sowohl Health­care (Arzneimittel) und Life Science mit Biotechnologie und Laborausrüstung als auch Spezialchemie mit beispielsweise Elektronikmaterialien.

Solche Deals machen Oschmann Spaß. „Oh ja“, ist die leidenschaftliche Antwort des sonst sehr nachdenklich wirkenden Managers. „Seit 2007 haben wir knapp 46 Milliarden Euro bewegt in unseren Geschäften“, sagt er. Um sich neu zu positionieren, wurde etwa das Geschäft mit Generika, mit Nachahmerprodukten, verkauft, im vergangenen Jahr auch die nicht rezeptpflichtigen Medikamente. Stattdessen kaufte Merck das Schweizer Biotechnologieunternehmen Serono und die amerikanische Sigma-Aldrich im Life-Science-Bereich und verstärkte sein Elektronikgeschäft mit der amerikanischen AZ Electronics.

Neuer Markenkern

„Wir sind ein Traditionsunternehmen, das sich fast neu erfunden hat“, beschreibt Oschmann die Veränderung, die bei Merck in den letzten Jahren stattgefunden hat. Merck nennt sich folgerichtig auch nicht mehr „Chemie- und Pharmakonzern“, sondern „Wissenschafts- und Technologieunternehmen“. Sinnbild dafür ist das Innovationszentrum, das erst im Jubiläumsjahr 2018 am Hauptsitz in Darmstadt entstanden ist – direkt am Haupteingang an der Frank­furter Straße. Hier entwickeln Start-ups und Wissenschaftler aus den verschiedenen Bereichen des Unternehmens gemeinsame Projekte. Die Flüssigkristalle, die bisher für Displays eingesetzt werden, könnte man auch für medizinische Zwecke nutzen, so die Idee eines Merck-Wissenschaftlers. So könnte nach einer Grauer-Star-Operation bei implantierten Linsen die Sehkraft mithilfe eines Lasers angepasst werden. „Wir sehen eindeutig den Trend, dass sich Medizin und Elektronik immer stärker vermischen“, sagt Oschmann. Ihn begeistert es, vorhandene Produkte mit neuer Technologie zu verbinden.

Die Wissenschaft sei seine Leidenschaft, sagt der studierte Veterinärmediziner. Dann wandte er sich der Molekularbiologie zu und wechselte nach einer wissenschaftlichen Karriere bei verschiedenen Unternehmen ins Management. Seit 2011 ist er bei Merck. Erst war er für die Pharmasparte und die Strategie zuständig, vor drei Jahren übernahm er die Geschäftsleitung.

Mit der Akquisition von Versum beschäftigt Merck nun mehr Mitarbeiter in den USA als in Deutschland, gut 50 000 Beschäftigte zählt der Konzern weltweit. Die Integration amerikanischer Unternehmen mit einer etwas anderen Firmenkultur schreckt den Firmenchef nicht. Er hat selbst 20 Jahre in den USA gearbeitet. Der Handelskonflikt zwischen China und den Vereinigten Staaten aber macht ihm Sorgen. Merck ist stark auch in China und wäre von Verschärfungen direkt betroffen. „Wir setzen auf einen offenen Welthandel.“ Aber man bereite sich natürlich auf verschiedene Szenarien vor.

Die Skepsis ist verflogen

Die Umbrüche in der Wissenschaft, die zunehmende Bedeutung der künstlichen Intelligenz erfordern Beweglichkeit. Gerade Familienunternehmen aber sind oft vorsichtig, sind konservativ ausgerichtet. Auch Merck ist noch zu gut 70 Prozent im Besitz der Familie Merck. Auch sie sei an Risikoausgleich interessiert. „Da sind einige Krisen des Unternehmens im kollektiven Gedächtnis“, sagt Oschmann. In ein Familienunternehmen zu wechseln, war für den gern aufs Tempo drückenden Manager keine leichte Entscheidung. Auch deshalb nicht, weil die inzwischen fünf Mitglieder der Geschäftsleitung persönlich haftende Gesellschafter sind, sie stehen also mit ihrem Vermögen für ihre Entscheidungen ein. So verlangt es die Familie, die schließlich ihr Vermögen einbringt.

Inzwischen aber ist die Skepsis verflogen: „Mir macht das einen Riesenspaß, mit einer Familie zu arbeiten, mit Menschen, die eine so große Verantwortung spüren“, sagt Oschmann nun. Im Sommer wird er 62 Jahre alt, und man gewinnt den Eindruck, dass er diesen Spaß noch gerne länger auskosten will. Die Altersgrenze für den Vorsitzenden der Geschäftsleitung bei Merck liegt bei 70 Jahren.

Dieser Text erschien in der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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