Konjunktur-Abschwung - Am Verkehr entscheidet sich die Zukunft Deutschlands

Der Abschwung der Konjunktur bedroht den Wohlstand Deutschlands. Das liegt auch an der Handlungsschwäche der Regierung in der Verkehrspolitik. Es braucht mehr als Autogipfel im Kanzleramt. Es braucht endlich Taten und milliardenschwere Investitionen

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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Wir alle wissen es längst. Die Welt ist komplex. Nur werden solche Lagen nicht weniger komplex, wenn Politiker, Unternehmenschefs und Journalisten fortlaufend betonen, wie komplex alles geworden und wie wichtig es sei, „darauf Antworten zu finden“, die „Menschen mitzunehmen“ oder „den Wandel zu gestalten“. Ja, Sprache ist das Hauptwerkzeug von Politikern, Firmen-Pressestellen und auch von uns Journalisten. Nur können wir insbesondere Politiker nicht aus der Verantwortung entlassen, ihren Worten auch Taten folgen zu lassen. Man nennt es hinlänglich, zu handeln.

Und so soll uns der heute im Bundeskanzleramt stattfindende „Autogipfel“ zeigen: Wir haben verstanden. Wir handeln. In Wirklichkeit aber wurde bislang nur wenig verstanden und noch weniger wurde gehandelt. Dass sich die von der Bundesregierung mit Autoherstellern beschlossene höhere Prämie für Elektroautos nun noch um Wochen oder Monate verzögern könnte, ist nur eines dieser vielen Symptome, die zugleich Ursache dafür sind, dass unser Wirtschaftswachstum 2019 so deutlich eingebrochen ist. Das Bundesamt für Statistik vermeldete heute früh, dass es im vergangenen Jahr nur noch bei 0,6 Prozent lag. Dass damit eine der längsten Aufschwungphasen seit dem Zweiten Weltkrieg endet, liegt maßgeblich daran, dass wir auch vor der größten industriellen Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg stehen.

Längst hätte die Regierung agieren müssen

Im Interview mit Cicero bezeichnete Friedrich Merz dies von wenigen Monaten als „schöpferische Zerstörung“. Von Schöpfung allerdings war seither wenig zu sehen, obwohl zugleich mit selbiger in puncto Umwelt- und Klimaschutz argumentiert wird. Das Problem: Ein Land wie Deutschland, dessen Wirtschaftsleistung und Hunderttausende Arbeiteplätze in der Automobilindustrie liegen, kann es sich nicht leisten, einerseits dem Verbrennermotor das Leben immer schwerer zu machen und zugleich beim Thema Elektromobilität kaum einen Schritt voran zu kommen.

Das Kraftfahrtbundesamt meldete vor wenigen Tagen, wie sich die Neuzulassungen 2019 im Vergleich zu 2018 entwickelt haben:

„Fahrzeuge mit Hybridantrieb (239.250/+83,7 %) lagen bei einem Anteil von 6,6 Prozent, darunter die Plug-in-Hybride (45.348/+44,2 %) bei einem Anteil von 1,3 Prozent. Elektro-Pkw (63.281/+75,5 %) konnten einen Anteil von 1,8 Prozent ausweisen. Erdgasbetriebene Pkw (7.623/-29,4 %) und flüssiggasangetriebene Pkw (7.256/+55,6 %) waren mit einem Anteil von je (r) 0,2 Prozent vertreten.“

Der Zuwachs an E-Autos wirkt mit 75,5 Prozent beträchtlich. Gerechnet auf den deutschen Gesamtfahrzeugbestand von rund 65 Millionen zugelassenen Fahrzeugen aber ist das ein Witz.

Es kann längst nicht mehr darum gehen, das Leben des Verbrenners künstlich zu verlängern. Diesen Job hat die Autoindustrie mit ihrer Innovationsverzögerung schon selbst erledigt. So schnell wird der Verbrenner nicht aussterben. Doch mit jedem neu gebauten Elektroauto sinkt die Anzahl der Menschen, die es braucht, um diese viel weniger komplexen Antrieb zu bauen. Kurz: Mit der nach wie vor wichtigsten Cash-Cow der Autokonzerne sollte sich die Politik nicht mehr allzu intensiv befassen. Doch längst hätte die Bundesregierung agieren müssen, um den Rahmen zu setzen, wohin die Reise für das Industrieland Deutschland künftig gehen soll, wenn die weltweite Nachfrage sich immer weiter in Richtung Elektromobilität verlagert. Wenn selbst Tesla künftig in Brandenburg seine Modelle in Europa bauen soll, bleibt die Frage bislang trotzdem weitgehend unbeantwortet, was denn mit den deutschen Autobauern und ihren Arbeitsplätzen geschehen wird.

Der Fingerzeig auf den Diesel nützt niemandem

Die wichtige Frage dabei ist: Wie viel ist es uns wert, unsere Industrie zu retten? Dabei schadet es dem Wirtschaftsstandort und damit den Menschen, die billige Argumentation zu führen, die Autokonzerne sollten sich nach dem Dieselskandal doch gefälligst selbst aus dem Rezessions-Schlamm ziehen. Wer so argumentiert, vereinfach populistisch und vermengt Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Denn es waren nicht zuletzt auch die Versäumnisse von Politikern, die den Dieselskandal überhaupt erst möglich gemacht haben. Politiker, die mit der rechten Hand hoch ambitionierte Luftgrenzwerte beschlossen hatten und diese dann mit der linken Hand konterkarierten mit viel zu laxen Prüf- und Zulassungsverfahren, etwa vonseiten des Kraftfahrtbundesamtes, das wiederum dem CSU-geführten Verkehrsministerium untersteht.

Was also ist zu tun? Im Bundeskanzleramt soll es heute unter anderem darum gehen, inwiefern wir Steuerzahler uns etwa an der sogenannten Ladeinfrastruktur für Elektroautos beteiligen sollen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk forderte Stefan Wolf vom Verband der Automobilindustrie am Morgen dafür 10 bis 20 Milliarden Euro an Subventionen, die außerdem in die Forschung im Wasserstoffbereich und in Brennstoffzellenfahrzeuge gesteckt werden sollten.

Diese Forderung wirkt fast wie ein Klacks angesichts des gestern erst vermeldeten Überschusses, den der Bund auch 2019 in unerwarteter Höhe gemacht hat – immerhin ein Plus von 13,5 Milliarden Euro zuzüglich 5,5 Milliarden aus Rücklagen. Es wäre eine echte soziale Wohltat, dieses Geld eben nicht in die nächste Umverteilung zu stecken, sondern in den Erhalt und in die Neuschaffung von Arbeitsplätzen.

Die Forderung des VDA ist außerdem insofern korrekt, weil wir ohne ausreichende Ladesäulen kaum aus dem Teufelskreis kommen, dass sich nach wie vor ein erheblicher Teil der Menschen noch gegen ein E-Auto entscheidet, weil für sie das „Strom-Tanken“ noch zu wenig praktikabel ist.

Kreatives Denken und unbürokratisches Handeln

Doch in der Frage nach Investitionen in die Ladeinfrastruktur kommt eben jene Komplexität ins Spiel, von der Politiker, Firmenchefs und Journalisten so gerne schreiben. Es darf dabei nicht nur um die Frage gehen, wer solche Tankstellen der Zukunft bezahlt. Es muss auch darum gehen, wer daran künfitg verdienen könnte. Nun mag man es zwar als populistischen Versuch der SPD abtun, aus Wutbürgern mal eben Windbürger zu machen. Doch tatsächlich liegt die Lösung des Großen im Kleinen. Um den großen Wandel zu schaffen, müssen individuelle, kommunale, kreative Ideen entwickelt, müssen mithilfe finanzieller Unterstützung des Bundes Lösungen schnell umgesetzt werden.

Es muss also darum gehen, die großen Themen Strukturwandel in der Automobilindustrie, Energiewende, kommunale Verschuldung, Landflucht und Mobilität zusammenzudenken. Wie sieht die öffentliche Daseinsvorsorge der Zukunft aus? Kann eine lokale, dezentrale Stromerzeugung aus Erneuerbaren Ernergien gelingen, indem Gemeinden ihren selbsterzeugten Strom etwa über Stromtankstellen direkt selbst weiterverkaufen oder nutzen? Wie könnten staatlich-privatwirtschaftliche Kooperationen entstehen, um Anreize für beide Seiten zu schaffen, um endlich loszulegen? Darauf konkrete Antworten zu geben, ist Aufgabe von Politik und Wirtschaft.

Am Verkehr entscheidet sich die wirtschaftliche Zukunft

Nicht nur dem Wirtschafts-, auch dem Verkehrsministerium kommt bei all diesen Fragen eine Schlüsselrolle zu. Angesichts der industriellen Bedeutung von Mobilität für Deutschland müsste das BMJV das Zukunftsministerium für Innovation werden. Es mag überraschend für die CSU sein, dass dieses ihr über fast zwei Jahrzehnte lang zur eigentlichen Heimat gewordene Haus mehr sein muss als ein bayerisches Infrastrukturversorgungswerk. Womöglich wird Andreas Scheuer trotz verschleuderter Maut-Millionen aber auch noch bis 2021 Verkehrsminister bleiben.

Dass SPD und CDU in den vergangenen Jahren stets bereit waren, dieses Ministerium ohne Gegenwehr in immer gleicher Weise dauerbesetzen zu lassen, war ein Fehler. Verstanden haben das inzwischen immerhin die FDP und auch die Grünen, die mit dem Thema motorisierter Verkehr lange fremdelten. Beide Parteien bemühen sich seit Monaten durchaus verdienstvoll mit ihrer Arbeit im Maut-Untersuchungsausschuss um Aufklärung. Wahrscheinlich aber werden sie sich dennoch auch weiterhin die Zähne ausbeißen am Mia-san-mia-Minister. „Andy Scheuer macht eine sehr gute Arbeit“, sagt derweil die Kanzlerin.

Egal, wer nach Angela Merkels Ära die nächste Koalition bilden wird, eines sollte klar sein: Die CSU kann dieses Haus nicht mehr bestellen. Zu groß ist die Erfordernis, endlich über den eigenen Horizont hinaus zu denken und vor allem zu handeln. Dass Deutschland gesamtwirtschaftlich nach wie vor in keiner Rezession steckt, liegt maßgeblich am gestiegenen Konsum und auch an der Bauwirtschaft. Doch der Strukturwandel in der Automobilindustrie hat gerade erst begonnen. Schon sehr bald wird die tiefe Rezession der Industrie auf diese Weise nicht mehr kompensiert werden können. Und dann trifft es alle. Und das wird dann alles andere als komplex, sondern für viele eine ganz einfache Rechnung sein – vor allem für jene, die einfache Antworten lieben.

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