Klopapier aus Stroh - „In Deutschland fallen jedes Jahr 15 Millionen Tonnen an Strohresten an“

Für Papier braucht es Bäume? Nicht im neuen Werk des schwedischen Unternehmens Essity am Standort Mannheim. Dort entsteht Toilettenpapier und bald auch Küchenpapier aus Stroh. Im Interview erklärt Manager Martin Wiens, wie die Gewinnung von Zellstoff aus Stroh funktioniert und was die drastisch steigenden Energiepreise für sein Unternehmen bedeuten.

Wird in Krisenzeiten gerne gehamstert: Toilettenpapier / dpa
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Susanne Donner ist freie Journalistin und schreibt zu Themen aus Medizin, Gesellschaft und Ökonomie.

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Martin Wiens ist Factory Manager bei der Essity Operations Mannheim GmbH.

Herr Wiens, Ihr Unternehmen produziert an verschiedenen Standorten in Europa Holzzellstoff für die Papierproduktion. Wieso verarbeitet die neue Fabrik in Mannheim, die Sie leiten, jetzt Stroh?

Die neue Anlage gibt uns eine bessere Position auf dem Weltmarkt. Dort ist der Preis für Zellstoff in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Wir haben uns nun mit der Erzeugung von Zellstoff aus Stroh eine dritte Rohstoffquelle neben Holz und Altpapier erschlossen. Das ist europaweit einmalig. Es gibt keine zweite Fabrik, die aus Stroh Zellstoff gewinnt. Dadurch sind wir bei der Rohstoffversorgung unabhängiger und flexibler. Außerdem ist die neue Anlage ein klares Bekenntnis zu den Nachhaltigkeitszielen des Essity-Konzerns.

Wie funktioniert die Gewinnung von Zellstoff aus Stroh? Was ist daran nachhaltiger als bei der Erzeugung aus Holz?

Wir gewinnen in Mannheim im Jahr 35.000 Tonnen Zellstoff aus 70.000 Tonnen Stroh. Das Verfahren hat das US-Unternehmen Sustainable Fibre Technology entwickelt. Die Essity wendet es in Lizenz an. Wir lösen die Fasern aus dem Stroh mit einer Chemikalienmischung unter wenigen Bar Druck und bei Temperaturen von weniger als 100 Grad Celsius. Das sind sehr moderate Bedingungen, verglichen mit der klassischen Zellstoffproduktion aus Holz. Das Verfahren spart deshalb Kohlendioxidemissionen und Energie ein. Der ökologische Fußabdruck ist um 20 Prozent besser. 

Vor kurzem hat der Toilettenpapierhersteller Hakle Insolvenz angemeldet. Wie kann Ihr Unternehmen in Zeiten drastisch steigender Energiepreise bestehen?

Die enorm gestiegenen Strom-, Erdgas-, Rohstoff- und Transportkosten belasten auch uns sehr, weil die Herstellung von Hygienepapieren sehr viel Energie benötigt. Essity ist aber solide aufgestellt. Deswegen können wir einen Teil des Kostenanstiegs intern bewältigen, müssen aber auch unsere Preise nach oben anpassen, um weiterhin wirtschaftlich arbeiten zu können. 
Wir treffen im Moment auch Vorkehrungen, um unsere Produktion mit Ersatzbrennstoffen sicherzustellen. Da wir globales tätig sind und Fabriken in ganz Europa haben, können wir mit der Herstellung bestimmter Produkte auch auf andere Standorte ausweichen.


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Woher kommt das Stroh, dass Sie verarbeiten? Sind Sie auf Importe aus Russland angewiesen?

Nein, wir brauchen keine Importe aus dem Osten. In Deutschland fallen schätzungsweise jedes Jahr 15 Millionen Tonnen an Strohresten an, für die es bisher kaum sinnvolle Verwendungsmöglichkeiten gab. Deshalb können wir sogar regional einkaufen und bauen hierfür aktuell ein Netzwerk mit landwirtschaftlichen Betrieben auf. Diese sind an einer sicheren und stetigen Einnahmequelle interessiert. 

In welche Produkte gelangt der Zellstoff aus Stroh? Und wie können die Kunden diese erkennen?

Wir arbeiten den Zellstoff aktuell in unsere ZEWA-Toilettenpapiere ein und planen auch Küchenpapiere damit herzustellen. Es war uns wichtig, dass die Produkte genau dieselben Eigenschaften haben, wie wenn sie aus Holzzellstoff gefertigt werden. Verbraucher*innen sollten keinen Unterschied bemerken. Die Produkte sehen genauso aus und fühlen sich genauso an wie bisher. 

Ließe sich auch Papier fürs Büro aus Stroh erzeugen?

Ja, das wäre möglich. Aber das ist nicht unser Geschäftsfeld. Unser Verfahren stößt aber auf großes Interesse in der Papier- und Zellstoffbranche. Allein hierzulande gibt es 93 Zellstoffprozenten.

Planen Sie weitere Stroh-Zellstofffabriken in Europa?

Ganz klar. Es war eine größere unternehmerische Entscheidung, diese Pilotanlage im Industriemaßstab zu errichten. Wir haben mehr als 40 Millionen Euro investiert. Wir wollen das Verfahren weiter optimieren, um es dann auszurollen. Die Produktion von Zellstoff aus Holz und Altpapier werden wir natürlich trotzdem weiterführen. Aber für eine neue Holzzellstofffabrik sind Investitionen im Milliardenbereich nötig. Diese produziert dann 1 bis 1,5 Millionen Tonnen Zellstoff, also viel mehr als unsere Fabrik in Mannheim. Die Vorteile der neuen Technologie sind dem gegenüber, dass die Anlagen klein und kompakt sind und mit überschaubarem Investment auch schnell an verschiedenen Standorten aufgebaut werden können 

Die Fragen stellte Susanne Donner. 

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