Kaufhaus-Pleite - Ist Karstadt noch zu retten?

In vielen deutschen Städten wird derzeit gegen die drohende Schließung von bis zu 62 Karstadt-Filialen protestiert. Doch angesichts der strukturellen Umbrüche im Handel braucht es vor allem neue Konzepte für diese Standorte. 

Die Coronakrise trifft Karstadt doppelt – bei 62 Filialen soll jetzt Schuss(verkauf) sein / dpa
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Kommunalpolitiker, Gewerkschaften und Anwohnerinitiativen haben ein neues gemeinsames Steckenpferd entdeckt: Karstadt retten. Denn der Eigentümer, die österreichische Signa-Holding, plant die Schließung von bis zu 62 der 172 Warenhäuser sowie von 20 Filialen der Tochter Karstadt Sports. Bis zu 6.000 Beschäftigte könnten dadurch ihren Job verlieren, an vielen Standorten wird die Verödung innerstädtischer Einkaufszonen befürchtet.

Zwar hat der Konzern inzwischen signalisiert, dass einige Standorte – die Rede ist derzeit von sechs – nach Zugeständnissen der Vermieter möglicherweise doch bestehen bleiben könnten, doch am offensichtlichen Siechtum der nach mehreren Übernahmen und Fusionen letzten verbliebenen deutschen Kaufhauskette wird das wenig ändern.

Ist das Konzept Kaufhaus überholt?

Das Konzept Kaufhaus mit seinem umfassenden spartenübergreifenden Warenangebot hat sich offensichtlich überlebt und entspricht nicht mehr den radikal veränderten Konsumgewohnheiten der Verbraucher. Zerrieben zwischen Spartenketten – etwa in den Bereichen Bekleidung und Elektronik –, Billiganbietern und Online-Handel lassen sich die im Betrieb sehr teuren Häuser an vielen Standorten nicht mehr wirtschaftlich betreiben.

Auch die vor einigen Jahren als Lösung der Misere angepriesenen Shop-in-Shop-Konzepte, also die Untervermietung einzelner Verkaufsflächen an externe Anbieter, haben den Niedergang nicht aufhalten können. Zumal sie in direkter Konkurrenz zu den großen Shopping Malls stehen, die zeitweilig wie Pilze aus dem Boden schossen und mittlerweile an vielen Standorten selbst mit massiven Umsatzeinbrüchen und Leerständen zu kämpfen haben.

Immobilienverkauf als Befreiungsschlag

Und es gehört zur bitteren Ironie der ganzen Geschichte, dass viele von denjenigen, die die drohenden Schließungen jetzt lauthals beklagen, in den vergangenen Jahren nie oder fast nie ein Kaufhaus betreten, geschweige denn dort einen relevanten Teil ihrer Einkäufe getätigt haben.

Doch der Niedergang der 1881 gegründeten Handelskette ist auch das Ergebnis von desaströsen unternehmerischen Entscheidungen. 2005 übernahm der Bertelsmann-Manager Thomas Middelhoff den Vorstandsvorsitz des damals als KarstadtQuelle operierenden Unternehmens und gliederte es 2007 als Geschäftsbereich in den Handels- und Touristikkonzern Arcandor ein. Schon damals befand sich das Unternehmen in beträchtlicher Schieflage und baute massiv Personal und Standorte ab. Um die scheinbar unausweichliche Pleite abzuwenden, entschloss sich Middelhoff, die Kaufhausimmobilien in zwei Tranchen an Finanzinvestoren zu verkaufen.

Die wirtschaftliche Schieflage ist nicht mehr zu kitten 

Das spülte zwar kurzfristig Geld in die Kasse, aber die teilweise horrenden, langfristig vereinbarten Mieten, die nunmehr zu Buche schlugen, sind bis zum heutigen Tage ein riesiger Klotz am Bein und eine der Ursachen für die wirtschaftliche Schieflage vieler Standorte. Und viel mehr als flammenden Appelle an die Einsicht der Vermieter haben Politiker, Gewerkschaften und der derzeitige Besitzer der inzwischen im Insolvenzverfahren befindlichen Galeria Karstadt Kaufhof GmbH nicht im Köcher.

In einigen Fällen scheinen diese Appelle auch gehört zu werden. Vor allem, weil es an einigen Standorten für die Vermieter äußerst schwierig wäre, die monofunktionalen Zweckbauten nach einer Schließung der Karstadt-, beziehungsweise Kaufhof-Filialen überhaupt noch einigermaßen vermarkten zu können.

Kieznostalgie hilft nicht weiter

Den Niedergang der traditionellen Kaufhauskultur wird das aber bestenfalls geringfügig verzögern können. Für die betroffenen, oftmals langjährig bei Karstadt Beschäftigten ist das ein herber Schlag, ihnen muss umfassend und verlässlich geholfen werden, sowohl, was die soziale Absicherung als auch die Berufsperspektiven betrifft. Die Kieznostalgiker, die jetzt „ihr“ Kaufhaus beweinen, kann man dagegen getrost ignorieren.

Für die Standorte braucht es neue Ideen und Konzepte, die nicht nur den Handel betreffen, sondern auch die Verzahnung mit den umliegenden Stadtteilen, mit Wohnquartieren und Freizeitangeboten. Vielversprechende Ansätze gibt es, etwa in Mainz oder auch am Berliner Hermannplatz, wo Signa die in diesem Fall in ihrem Eigentum befindliche Kaufhausimmobilie umfassend entwickeln will. Wer aber jetzt unverdrossen für den Erhalt aller Karstadt-Filialen in ihrer bisherigen Form trommelt, hat erstens  nichts begriffen und streut zweitens den Beschäftigten und den Anwohnern Sand in die Augen.

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