Gescheiterte CSU - Bayerische Mauthelden

Seit zehn Jahren waltet die bayerische Regionalpartei im Verkehrsministerium. Sie ist grandios gescheitert. Das Maut-Desaster ist ein CSU-Desaster und kostet den Steuerzahler Milliarden. Am Pranger steht nun Verkehrsminister Andreas Scheuer. Dabei ist er nur der letzte in der Reihe. An Rücktritt sollte ein anderer denken

Mindestens einer müsste gehen: Alexander Dobrindt, Andreas Scheuer und Horst Seehofer / picture alliance
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Als Maulhelden werden üblicherweise Menschen beschrieben, die gerne mit ihren angeblichen Fähigkeiten und Taten prahlen, die damit Erwartungen wecken, die aber in Wahrheit gar nicht eingelöst werden. Es wäre nicht fair, dem Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer zu unterstellen, nichts getan zu haben. Im Gegenteil, er hat eine Menge getan. Aber leider, trotz besserem Wissen das Falsche. Einen Beweis dafür hatte er selbst vor zweieinhalb Jahren in diesem Tweet angeführt.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte kurz zuvor für die Mautpläne des Ministers eine „mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit“ festgestellt. Seine Reaktion war nicht nur peinlich anmaßend, sie war auch töricht und vor allem teuer. Obwohl klar war, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die Pläne erst noch entscheiden wird, vergab Andreas Scheuer bereits Aufträge an Unternehmen in hundertfacher Millionenhöhe. Ausgerechnet das Ansinnen der CSU, die deutschen Autofahrer mit einer „Ausländermaut nicht zu belasten, bezahlen jetzt alle Bürger, die hierzulande Steuern entrichten.

Millionen- und Milliardenkosten wegen der Maut

Der verkehrspolitische Sprecher der FDP, Oliver Luksic sagte Cicero: „Minister Scheuer hätte das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages besser ernst nehmen sollen. Es stelle sich die Frage, ob dieser sich für seine Fehleinschätzung und rabiate Rausschmissforderung des Gutachters nun wenigstens entschuldige. „Legt Minister Scheuer bei sich andere Maßstäbe an, als bei sonstigen Bundesbeschäftigten? Er hat sich nicht nur inhaltlich geirrt, sondern auch einen Millionenschaden verursacht.

Die Kosten bislang:

  • In den Haushalten 2014 bis 2019 waren für den Aufbau des Mautsystem 128,42 Millionen Euro angesetzt worden.
  • Die Ausgaben des Verkehrsministerium (BMVI) beliefen sich bis zum 18. Juni 2019 auf 53,6 Millionen Euro.
  • Entschädigungszahlen an die beauftragen Unternehmen in Höhe von 300 bis 500 Millionen Euro könnten hinzukommen.
  • Noch nicht beziffern lassen sich außerdem Rechtsanwaltskosten oder sogar Gerichtskosten, die tatkräftig vom Minister eingesetzte Taskforce gibt es auch nicht umsonst und das Verwaltungspersonal, das sich nun mit der Abwicklung beschäftigen muss, fehlt natürlich auf anderen thematischen Baustellen, von denen es im BMVI derzeit viele gibt.

Mindestens ebenso gravierend sind die fehlenden Einnahmen, mit denen man im Bundeshaushalt gerechnet hatte. Laut BMVI werden deshalb 1 Milliarde Euro fehlen. Das Handelsblatt spricht von vermutlich sogar 1,5 Milliarden. Aber ist das nun alles die Schuld von Andreas Scheuer? Muss er zurücktreten, wie Teile der Opposition fordern?

Maut wäre möglich, aber keine Ausländermaut

Wieso darf Deutschland keine Maut erheben? Ich verstehe es nicht“, schrieb uns ein Leser vor einigen Tagen. Er empfand das Urteil des EuGH als ungerecht: „Benutze ich als Ausländer das Straßennetz eines anderen Landes, muss ich dafür zahlen. Völlig logisch. Benutze ich als Bahnfahrer das Schienennetz eines anderen Landes, muss ich dafür zahlen. Völlig logisch. Fahre ich mit dem Auto von Berlin nach Warschau, zahle ich circa 20 Euro Maut. Fährt aber ein Pole quer durch Deutschland zahlt er nichts. Völlig unlogisch. Fährt ein Pole mit der Bahn quer durch Deutschland, muss er zahlen. Völlig logisch.“

In der Tat, das mag ungerecht wirken. Tatsächlich könnte Deutschland aber jederzeit eine Maut auf seinen Straßen einführen, wie es viele unserer Nachbarstaaten auch getan haben (Frankreich, Österreich, Polen, ...). Aber dort muss eben jeder, der die Straßen nutzt, eine Gebühr entrichten – Inländer und Ausländer. Niemand wird dort also wegen seiner Staatsangehörigkeit diskriminiert. Der Plan der CSU, eine Maut für alle einzuführen und die Deutschen über eine Anrechnung auf die bereits zu zahlende KfZ-Steuer wieder zu entlasten, war nicht nur furchtbar bürokratisch, sondern eben auch: diskriminierend.

Es bräuchte eine Mobilitätssteuer

Was jederzeit möglich gewesen wäre und was auch dringend nötig ist: eine umfassende Reform der der KfZ-Steuer hin zu einer Mobilitätssteuer nach dem Prinzip Wer fährt, viel verbraucht, viel nutzt, der zahlt". Der Staat muss ohnehin handeln, ihm drohen durch den Zuwachs der E-Mobilität mittelfristig Steuerausfälle bei der Mineralölsteuer. Auch bei einer Mobilitätssteuer könnten Berufspendler oder Menschen mit weniger Einkommen entlastet werden. Dazu eine Straßenmaut in Form einer unbürokratischen Plakette zur Finanzierung unserer Infrastruktur für alle, auch für Ausländer, die Deutschland als beliebtes Transitland nutzen.

Tatsächlich ist vieles insbesondere vor dem Hintergrund der Diskussionen um eine CO2-Abgabe offen. Auch deshalb schloss die Bundeskanzlerin in der Fragestunde eine Maut generell nicht aus. Mit Hinweis auf all die anstehenden CO2-Veränderungen sagte sie: „Jetzt sind wir insgesamt an einer Stelle, wo wir die Bepreisung in dem gesamten Bereich von Klima-Ausstoß (sic!) nochmal uns anschauen.“ Was die Ergebnisse dabei sein werden, könne sie heute nicht sagen. „Deshalb schließe ich nichts ein und nichts aus.“ So weit, so gewohnt, so unkonkret.

Zehn Jahre Zeit gehabt und trotzdem gescheitert

Wer aber trägt nun für die Millionen und Milliarden, die nun verloren sind, die Verantwortung. Seit 2009 wird das Verkehrsministerium durchgängig von CSU-Politikern geführt. Die Geschichte der Mauthelden begann mit Peter Ramsauer. Der legte 2012 seine Mautpläne zuerst vor. In der Koalition mit der FDP aber wurden diese aber nie Realität. Danach wurde die Maut wie ein Wanderpokal von Wahlkampf zu Wahlkampf, von Minister zu Minister weitergereicht:

Im Wahljahr 2013 machte Seehofer beim CSU-Neujahrsempfang als bayerischer Ministerpräsident unmissverständlich und Maut-willig klar: „Ich werde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben nach der Bundestagswahl, wo diese Antwort auf die Finanzierung der Verkehrsfrage nicht gegeben wird.“ Die Maut sei „sicher wie das Amen in der Kirche. Im sogenannten Bayernplan, dem CSU-Wahlprogramm war die Rede von der „PKW-Maut für Reisende aus dem Ausland“. Der ADAC sprach damals von „blankem Populismus“.

Verkehrsminister Alexander Dobrindt wusste bereits 2014 von einer drohenden Klage vor dem EuGH aus Österreich, gemeinsam mit anderen Nachbarstaaten. Der Grund: Ein Verstoß gegen das EU-Antidiskriminierungsgebot der EU. Dobrindts Kommentar dazu: „Wir machen das, was seit vielen Jahren in den meisten unserer Nachbarstaaten gang und gäbe ist, und das wollen wir auch in Anspruch nehmen.“ Das war mindestens unpräzise. Im Grunde aber war das gelogen, wider besseren Wissens.

Gehen sollte ein anderer

Kommissarisch führte dann 2017/2018 für wenige Monate Christian Schmidt das BMVI. Ihn trifft wohl am wenigsten Schuld. Und nun musste Andreas Scheuer schließlich umsetzen, was sein oberster Parteichef Horst Seehofer etwa in einem Jahrzehnt von bayerischen Bierzeltreden, über „berlin direkt“ ins ZDF bis in die Koalitionsverhandlungen und durch den Bundestag peitschte. Im Wahlkampf 2013 noch hatte Seehofer zur Maut gesagt: „Ein Alexander Dobrindt scheitert nicht“.

Gescheitert ist nun aber nicht Alexander Dobrindt, der heutige Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Der hätte ein mögliches Verfahren beim EuGH bis zur Entscheidung sogar abwarten wollen. Gescheitert und von Rücktrittsforderungen bedroht, ist nun ausgerechnet jener Verkehrsminister, dem manche zwar unterstellen, mitunter schaumschlägerisch, fahrlässig und stets bemüht zu agieren, der aber vor kurzem immerhin endlich E-Scooter in Deutschland ermöglicht hat.

Nach dem von ihm als „überraschend“ bezeichneten Urteil des EuGH sagte Scheuer: „Die Pkw-Maut in dieser Form ist leider vom Tisch. Das ist überraschend und bedauerlich.“ Angesichts solcher Worte sollte man Andreas Scheuer nicht schonen, auch mutwilligen Handlangern muss irgendwann das Handwerk gelegt werden. Aus Kreisen von FDP und Grünen ist zu hören, dass ein Untersuchungsausschuss tatsächlich kommen soll.

Doch der Hauptverantwortliche und Urvater eines „Ausländermaut“-Versprechens sitzt heute im Bundesinnenministerium und heißt Horst Seehofer. Die von ihm auferlegte Aufgabe war von Beginn an eine unmögliche und damit unmöglich teure. Tatsächlich ist er es, der zurücktreten müsste. Auch das wäre überraschend, wenngleich nicht bedauerlich.

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