Inflation - Eine feindselige Arroganz der Macht

Koalition der Wegseher und Beschwichtiger: die Preise für Lebensmittel, Energie und Wohnen steigen immer weiter. Doch ausgerechnet die sogenannten kleinen Leute, die von der Inflation am härtesten getroffen sind, haben in der Regierung keine Lobby.

Plattenbauviertel in Eisenhüttenstadt / dpa
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Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Gasversorger verdreifachen mal eben ihre Forderungen von Vorauszahlungen oder kündigen den Vertrag gleich ganz. Grundnahrungsmittel kosten doppelt so viel wie noch vor einem Jahr. Der Strompreis, ohnehin schon Weltspitze, zeigt weiter steigende Tendenz und die Versorger kommen mit Sperrungen wegen Zahlungsrückständen pünktlich zu den Feiertagen kaum noch hinterher. Pendler, die auf das Auto angewiesen sind, beten, dass jetzt nicht noch eine teure Reparatur dazukommt. Immer mehr Alleinstehende und Familien müssen sich entscheiden, ob sie ihr Geld ausgeben für eine warme Wohnung, für gesundes Essen oder für Weihnachtsgeschenke, um die Liebsten nicht zu enttäuschen.

Die Inflation schlägt in diesen Tagen so hart zu wie seit über 30 Jahren nicht. Die Erzeugerpreise befinden sich aktuell sogar auf einem 70-Jahres-Hoch, was bedeutet: Da ist, entgegen allen hilflosen Beteuerungen der Europäischen Zentralbank, noch allerhand Ungemach in der Pipeline. Und wie stets trifft es die sogenannten kleinen Leute am härtesten, weil sie einen viel größeren Anteil ihres verfügbaren Einkommens für Lebensmittel, Energie und Wohnen ausgeben müssen, also für Fixkostenblöcke, auf die sie gerade in Corona-Zeiten, wenn wieder alle zuhause hocken sollen, kaum Einfluss haben.

Die Lage nicht überbewerten"

Doch selbst diese Tatsache wird inzwischen beschwiegen oder bestritten, etwa wenn das Münchner ifo-Institut meint, eigentlich litten Wohlhabende ja viel stärker unter der Geldentwertung; die anziehenden Preise träfen gar „nicht ärmere Schichten besonders stark" („Der Spiegel"). Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, mahnt, man solle „die Lage nicht überbewerten"; die Inflation sei derzeit „seine geringste Sorge" - der Mann versteht sich als Vordenker und Belobiger der SPD. Auch er ignoriert, dass ein Haushalt mit einem Monatsbudget von 6.000 Euro seine Ausgaben natürlich viel leichter umdisponieren kann als einer mit 600 oder 1.600 Euro, der sich schon bisher fragen musste, warum am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig ist.

Egal: Wer sich beschwert, dem wird gesagt, die Geldentwertung habe „ziemlich banale Gründe". Es seien ja vor allem die Preise für Energie und Lebensmittel exorbitant gestiegen. Alle anderen Waren und Dienstleistungen seien nicht viel teurer geworden. Ach so. Na dann. Nur: banal oder sensationell, das Geld ist weg. Außerdem ist es nur eine Frage der Zeit, bis überall eine Preis-Lohn-Spirale in Gang kommt. Die Botschaft der Meinungsbildner lautet: Klappe halten, denn Energie-Inflation ist gute Inflation. Wer das in Frage zu stellen wagt, muss sich, wiederum vom „Spiegel", anblöken lassen für den „Unsinn von der teuren Klimarettung". Im Kleingedruckten steht dann: Ja, sicher, sie ist teuer, aber ohne Rettung käme uns alles in 30 Jahren noch viel teurer. Was sie billig und alternativlos mache. Das Sparbuch, immer noch klassische Anlageform der dafür verachteten kleinen Leute, ist in solchen Zeiten innerhalb von 20 Jahren nur noch ein Witz? Uns doch egal.

Koalition der Wegseher

Hier ist eine ganz große Koalition der Wegseher, Abwiegler und Beschwichtiger am Werk, deren Motive nicht wirklich seriös sind, weil sie der Rechtfertigung ihrer eigenen Ideologien dienen: Klima und seine Rettung, Euro und seine Rettung, Zuwanderer und ihre Rettung. Genau darauf läuft es stets hinaus.

Die exorbitant steigenden Energiepreise sind staatlich getrieben und politisch gewollt. Mit Genugtuung sehen die Grünen, wie sich ihre Forderung von fünf Mark für den Liter Benzin (Magdeburg 1998) mit leichter Verspätung verwirklicht. Schon der Gedanke an eine Dämpfung der Entwicklung lässt sie aufschreien und den künftigen FDP-Verkehrsminister zur Hölle wünschen, der eine Entlastung von Diesel-Fahrern in den Raum gestellt hat. Das Wort „Inflation" kommt im Koalitionsvertrag mit Müh' und Not ein einziges Mal vor: Man nehme die Sorgen der Menschen angesichts einer steigenden Inflation „sehr ernst".

Und? Nichts und. Jedes EU-Land solle am besten sehen, wie es damit umgeht. Mehr steht da nicht. Im Gegenteil: Viele Lebensmittelpreise sind der künftigen Regierung sogar noch deutlich zu niedrig. Sie müsse deshalb „prüfen, ob der Verkauf von Lebensmitteln unter Produktionskosten unterbunden werden kann".

Ferner als der Mars

Wir haben es mit Politikern zu tun, denen eine Welt, in der Bürger mit geringem Einkommen Woche für Woche die Prospekte mit Sonderangeboten durchforsten und anstreichen, um ganz gezielt danach einzukaufen und irgendwie über die Runden zu kommen, ferner ist als der Mars. Überhaupt: Was geht die Regierung an, wie die Lebensmittelhändler ihre Preise kalkulieren?

Wenn die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, nun davor warnt, dass Familien mit kleinen Einkommen „in diesem Jahr das Frieren unter dem Weihnachtsbaum" drohe, kann sie genausogut einem Ochsen ins Horn petzen: Es ist Bibbern für einen guten, höheren Zweck; irgendwelche Zwischenrufe haben da zu unterbleiben. Ein einmaliger Heizkostenzuschuss soll es nun richten; Auszahlung wahrscheinlich im Sommer, wenn überhaupt. Man könnte fast meinen, die Scholz-Regierung habe sich zum Ziel gesetzt, die Kritik einer Sahra Wagenknecht bestmöglich zu untermauern - an einer abgehobenen, der Lebensrealität der Arbeiter, Kleinverdiener und Rentner entrückten Linken, die sich in ihrer Blase mit ihrem Gender-Gaga und der dringend notwendigen „Sichtbarmachung" noch der winzigsten Minderheit einem feindseligen Bessermenschentum widmet.

In der Regierung ohne Lobby

Nun ist der Umgang mit der galoppierenden Geldentwertung zwar der aktuell härteste, aber keineswegs einzige Beleg für die Behauptung, dass die kleinen Leute im 20. Deutschen Bundestag und der am Mittwoch aus ihr voraussichtlich hervorgehenden Bundesregierung ohne Lobby sind. Ihre faktische Verachtung zieht ich wie ein Roter Faden durch die nunmehr angesagte Programmatik. Das kleine Häuschen der Oma wird bereits in naher Zukunft mit immer extremeren Umweltauflagen im Wert halbiert, wenn nicht gänzlich unverkäuflich gemacht. Die ganze stümperhafte Anti-Pandemie-Politik ist zentral auf Büroangestellte, Beamte und Akademiker ausgerichtet. Wer den Viren weder im ÖPNV noch am Arbeitsplatz ausweichen kann, weil ihm weder Home Office noch eigenes Auto als Alternative zur Verfügung stehen, hat Pech gehabt.

Die gigantische Förderindustrie zur sogenannten Energiewende ist nicht weniger als eine beispiellose und hocheffiziente Umverteilungsmaschine von Unten nach Oben. Windkraftanlagen und Anteile an ihnen sowie Solardächer mit Garantieabnahme ohne Rücksicht auf den tatsächlichen jeweiligen Strombedarf kommen bestimmt nicht der Verkäuferin zugute oder dem Arbeiter im Metallbetrieb. Und der Kleinverdiener, der die E-Auto-Prämie von 9000 Euro einstreichen kann, muss wohl ebenfalls erst noch erfunden werden - zumal er ohnehin eher selten in einer Vorort-Siedlung mit eigenem Carport wohnen wird, um sich eine - ebenfalls staatlich geförderte - Ladesäule setzen zu lassen. Bezahlen darf er sie aber, und nicht zu knapp. Kein Wunder, dass die Mittelschicht, wie soeben wieder von der Bertelsmann-Stiftung festgestellt, besonders am unteren Ende bröckelt - beginnend mit der Ära Merkel. Corona-Effekte kommen demnächst noch hinzu.

Der Weg des geringsten Widerstands

In Berlin geht, nächster Fall, Rot-Grün-Rot wie überall den Weg des geringsten Widerstands und setzt neue Wohnblocks in die bisherigen schmalen Grünflächen vorhandener Siedlungen, was eine erheblicher Verminderung der ohnehin nicht berauschenden Lebensqualität jener bedeutet, die schon länger dort wohnen - aber wir haben ja Platz. Mit den kampferprobten Bürgerinitiativen der besser gestellten Randbezirke legt sich der Senat nach bösen Erfahrungen möglichst nicht an. Deutet man den Koalitionsvertrag korrekt, will die Bundesregierung dieses Konzept ungeachtet heftiger asozialer Schieflage flächendeckend übernehmen. Betroffen sind dann übrigens dieselben Einkommensschichten, die unter den Folgen ungeregelter Einwanderung am stärksten leiden und es schon früher schwer hatten, auf diesem Wohnungsmarkt eine bezahlbare Bleibe zu finden.

Schließlich: Die überproportionale Belegung der Intensivstationen mit Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Die Realität ist der Ampel-Koalition ebenso unangenehm wie allen Landesregierungen und Qualitätsmedien; man blendet sie aus. Grundlegende Daten werden gar nicht erst erhoben mit der Folge, dass ganze Bevölkerungsschichten von den Impfkampagnen des Bundes seit einem Jahr schlicht nicht erreicht werden. Lieber überlässt man Migranten ihrem Schicksal. Hauptsache, niemand kommt mit der „Rassismus"-Keule. Dabei ist diese vorsätzliche Ignoranz genau das, rassistisch - und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Interessen der kleinen Gewerbetreibenden

Vollends ins Leere schaut sogar, wer der Frage nachgeht, wer eigentlich noch die Interessen der kleinen Gewerbetreibenden vertritt. Etwa die des Kiosk-Betreibers, der nach einer 70-Stunden-Woche mit 1.800 netto im Monat nach Hause geht und sich dann noch mit paranoiden Rechenschaftspflichten herumzuschlagen hat, ein Aufwand, den ihm kein Mensch bezahlt. Selbst das kleine Unternehmertum hat, ausgehend von der Partei Die Linke, längst auch in weiten Teilen von SPD und Grünen die Anmutung des Verbrecherischen.

Mittelstand und Kleinunternehmer, unter ihnen Einzelhändler oder - extremes Beispiel - die Betreiber eines Standes auf einem Weihnachtsmarkt, werden hin- und hergeschubst in einer Weise, die nicht einmal - aus durchaus egoistischen Motiven - die Kommunistische Partei Chinas sich herausnehmen würde. Läden auf, Läden zu, mit neuen Regeln alle paar Tage - es sind nur noch Planlosigkeit und Willkür zu erkennen.

Wirtschaft wird systematisch kaputtgemacht

Umsatz ist Gewinn und Gewinn ist Kapitalismus, also möglichst zurückzudrängen und zu behindern, jedenfalls das Gegenteil eines berechtigten Interesses - diese Ideologie schimmert gerade in diesen Tagen nur zu deutlich durch. Bayerns Ministerpräsident lobt sich selbst für eine Stütze von 1.500 Euro für die in letzter Minute verhinderten Betreiber eines Stands auf einem Weihnachtsmarkt - und wundert sich, dass er dafür ausgepfiffen wird. Die alte SPD-Parole von der Belastbarkeit der Wirtschaft, die zu testen sei, ist nicht länger gültig: Mittlerweile wird die deutsche Wirtschaft systematisch und vorsätzlich kaputtgemacht. Kleinunternehmer, die heute noch SPD wählen, dürften längst Seltenheitswert haben. Sie sind, glaubt man den Wahlanalysen, massenhaft zur AfD übergelaufen.

Am Ende läuft alles auf dieselbe Erklärung hinaus für diesen verstörenden Befund: Klima-Rettung, Euro-Rettung und Migranten-Rettung sind drei durch und durch links-grüne „Projekte". Wer und was ihnen im Weg steht, wird zur Seite geräumt. Die kleinen Leute haben ausgerechnet in der neuen links-grün dominierten Bundesregierung keine Lobby.

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