IG Metall - In der Klimafalle

Während sich die IG Metall auf ihrem Kongress in Nürnberg selbst feiert und verbale Stärke demonstriert, brodelt es an der Basis. Jobsicherung ist den Arbeitern wichtiger als Klimarettung. Doch die Gewerkschaft scheut den notwendigen Kurswechsel

IG-Metallmitglieder sehen sich derzeit vor der Frage: Job oder Klima retten? / picture alliance
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Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Die Einschläge kommen näher und werden gewaltiger: BMW kürzt Gehälter und Arbeitszeiten, Continental schließt im ostbayerischen Roding ein ganzes Werk – und im Saarland funkt die gewichtige Stahlbranche S.O.S und fordern – mal wieder – Milliardenhilfen vom Bund. Den Maschinenbauern brechen die Aufträge weg (August: minus 17 Prozent) und bei den Zulieferern der Automobilindustrie werden die Betriebsräte schon regelmäßig zu Krisengesprächen einbestellt.

Was werden diese Basis-Vertreter fühlen, wenn sie diese Woche im Messezentrum Nürnberg-Ost von ihrem obersten Funktionären verkündet bekommen, dass der Umbau zur Elektromobilität nicht schnell genug vorangeht? Werden sie sich zu Wort melden und darauf verweisen, dass der vermeintliche „Kampf gegen den Klimawandel“ bestimmt nicht zu gewinnen ist, wenn man energieintensive Industrien samt der Verbrennungstechnologie zu Grabe trägt ? Oder werden sie, wie üblich, brav abnicken, was eine Gewerkschaftsführung vorgibt, die sich neuerdings offenbar vor allem rot-grünen Umweltzielen verpflichtet fühlt?

Der Kern der Debatte

Jörg Hofmann, der sich als Erster Vorsitzender ungefährdet zur Wiederwahl stellt, wird es seinem Nachfolger in Stuttgart gleichtun und den schwarzen Peter den Unternehmern zuschieben. Denn die, so klagt Bezirksleiter Roman Zitzelsberger im Cicero-Interview, erdreisten sich, „Zukunftsinvestitionen in Sachen Mobilität ins Ausland zu verlagern“. Also aus der Krise auch noch Profit zu schöpfen, anstatt rechtzeitig die Weichen zu stellen.

Mit diesem Vorwurf dringt die Gewerkschaft – endlich! – zum Kern der Debatte vor, die bislang den CO₂-Ausstoß zum moralischen Maßstab erhebt: Die Wende zur Elektromobilität bedeutet ja nicht nur, dass zum Autobau nur noch ein Zehntel der Fachkräfte gebraucht werden, wie Bosch-Chef Volkmar Denner vorrechnet. Sie verlangt auch ganz andere Technologien und Fertigkeiten. Warum diese nicht gleich dort ansiedeln, wo sie günstiger sind? So gesehen ist die Prognose der Universität Duisburg-Essen, wonach der Umstieg auf batteriebetriebene Fahrzeuge bis 2030 in Deutschland voraussichtlich 100 000 Arbeitsplätze kostet, eher noch optimistisch gerechnet.

In Zukunft nur noch wirtschaftliche Magerkost?

Zugleich fällt der Vorwurf der IG Metall selbst auf die Füße. Denn sie muss sich nun von den gescholtenen Arbeitgebern vorhalten lassen, mit den bisherigen Tarifforderungen weit übers Ziel hinausgeschossen zu sein. Sie habe damit jene Wettbewerbsfähigkeit verspielt, die man jetzt dringend benötige. Der Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie (vbm) schickt nach Nürnberg folgende Rechnung: Die Tarifentgelte seien von 2008 bis 2018 um über 33 Prozent gestiegen, derweil sich die gesamtwirtschaftliche Produktivität lediglich um 11,3 Prozent, und die der M+E-Industrie sogar nur um 4,5 Prozent erhöht habe.

Was im Umkehrschluss bedeutet: Erheben die Gewerkschaften neben Inflation (gering) und Umverteilungskomponente (verloren gegangen) den Produktivitätsfortschritt weiterhin zum Maßstab ihrer Lohnforderungen, ist künftig Magerkost angesagt. Schon droht der Chef von Gesamtmetall, Rainer Dugler, mit dem Ende des Flächentarifvertrags, sollten Löhne und Freizeit nicht zurückgefahren werden. 

Chinas Vormachtstellung

Dass sie die Verbrennungstechnologie nicht verteidigt, wie dies selbst der Gesamtbetriebsrat des VW-Konzerns mit Verweis auf den neuen, fast abgasfreien Passat fordert, rechtfertig die IG-Metall-Spitze mit den vorgegebenen Klimazielen und der gewandelten Nachfrage auf den Weltmärkten. Doch zum einen ist es kein Naturgesetz, dass Deutschland, das gerade mal 2,2 Prozent zum CO₂-Ausstoß beiträgt, diese bis 2050 um bis zu 95 Prozent gegenüber 1990 senken muss. Dies läuft auf eine De-Industrialisierung hinaus, wie sie die Grünen letztlich anstreben. Anstatt aber in der Politik, insbesondere bei ihrem Bündnispartner SPD, auf realistische Ziele zu drängen, biedert sich die IG Metall der Friday-for-Futures-Bewegung an. Die Kosten für notwendige Qualifizierungen und ein auf 24 Monate verdoppeltes Kurzarbeitergeld sollen dagegen die Steuer- und Beitragszahler aufbringen.

Ebenso wenig stimmig ist der Verweis auf den rasant wachsenden E-Auto-Markt in China. Würde es der chinesischen KP-Führung tatsächlich um mehr Umweltschutz gehen, würden sie zu den bestehenden 1032 Kohlekraftwerken nicht 126 neu bauen und 76 weitere planen. Die in Deutschland verteufelte Kohle liefert im Reich der Mitte neben viel Atomkraft den Strom für die E-Autos. China geht es vor allem darum, mit dem Batterieantrieb eine neue Technologiestufe zu erreichen, um klassische Autoländer wie Deutschland auf ihren angestammten Märkten zu schlagen. Die Hoheit bei der Produktion der Großbatterien, die ein Drittel der Wertschöpfung betragen, haben sie bereits. Und die Rohstoffe dafür, wie etwa das knappe Kobalt aus dem Kongo, haben sie sich in Afrika gesichert.

Keine Kraft mehr für Realismus

Doch so tief geht keiner der 793 Anträge und Entschließungen, die auf dem Nürnberger Gewerkschaftstag beraten werden sollen. „Hochkochen wird die Stimmung bei der Frage, ob wir AfD-Leuten den Eintritt in unsere Gewerkschaft verbieten können“, wie NRW-Bezirksleiter Knut Giesler befürchtet. Dabei geht es nicht nur um den opportunen „Kampf gegen Rechts“, sondern um den Umgang mit frustrierten Mitgliedern. Betriebsräte, die aus Furcht vor einer Abwahl namentlich nicht genannt werden wollen, berichten von „viel Wut“ in den Werkshallen der Auto- und Metallindustrie. Die Angst um den Job sei wesentlich verbreiteter als die um das Weltklima. Einzig die AfD, die sich als Diesel-Retter-Partei geriere, greife diese Sorgen auf und bekomme damit Zulauf.

So läuft die IG Metall gleich mehrfach Gefahr, in die Klimafalle zu tappen, in der sich bereits ihr Bündnispartner SPD verheddert hat: Ihr Bekenntnis zur Mobilitätswende kostet weit mehr Jobs als neue in Deutschland zu schaffen sind. Die enttäuschten Erwartungen der hiesigen Solar- und Windbranche sollten Mahnung genug sein. Damit steigt die Unzufriedenheit ihrer noch 2,2 Millionen Mitglieder, die eigentlich auf magere Jahre eingeschworenen werden müssten. Schließlich sind Tarifforderungen keine Einbahnstraße. Wer wettbewerbsfähig bleiben will, muss flexibel sein. Aber zu so viel Realismus fehlt den Funktionären um Jörg Hofmann wohl die Kraft – allen verbalen Kraftmeiereien zum Trotz.

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