Gendern bei der Lufthansa - Hauptsache hip

Kaum hat die Lufthansa das Problem des Genderns bei der Begrüßung ihrer Gäste gelöst, erwächst ihr daraus ein neues. Denn wie will es der Konzern in Zukunft mit seiner Kultursensibilität halten? Viele Länder haben recht traditionelle Vorstellungen von der Anzahl der Geschlechter.

An Bord gelten neue Begrüßungsformeln: Lufthansa-Jet am Frankfurter Flughafen / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Anzeige

Darauf haben wir wahrscheinlich alle gewartet: Am vergangenen Dienstag meldete die Bild-Zeitung, dass die Lufthansa bei der Begrüßung ihrer Fluggäste in Zukunft auf die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ verzichten wird. Und auf das kosmopolitische „Ladies und Gentlemen“ selbstverständlich auch. Aus Gendergründen.

„Die Crews sind gehalten, eine Ansprache zu wählen, die alle Passagiere anspricht“, sagte ein Sprecher des Unternehmens. Eine mögliche alternative Anrede sei daher „Liebe Gäste“. Ein verblüffender Vorschlag. Zwar scheint der Wille zum Opportunismus auf den Chefetagen der Kranich-Linie groß zu sein, doch mit der Genderkompetenz hapert es noch ein wenig. Denn „Gäste“ sind auch nur ein generisches Maskulinum, nämlich der Plural von „der Gast“. Besser wäre es daher, von „Gäst:innen“ zu sprechen. Wenn schon, denn schon.

Was ist aber mit der Kultursensibilität?

Doch kaum hat man das eine Problem gelöst, taucht ein anderes auf. Denn wie will es die Lufthansa in Zukunft mit ihrer Kultursensibilität halten? In Deutschland ist man gendertechnisch selbstverständlich auf der Höhe der Zeit. Aber das gilt leider noch nicht für alle Länder und Kulturen auf unserem schönen Globus. Einige, vermutlich sogar die Mehrzahl, haben recht traditionelle Vorstellungen von der Anzahl der Geschlechter. Das mag reaktionär sein. Aber zeugt es nicht von Kulturimperialismus oder gar Rassismus, zumindest aber von Unhöflichkeit, Angehörigen anderer Kulturen den Respekt durch eine persönliche Ansprache zu verweigern? Die Lufthansa versteht sich doch als Weltunternehmen, oder? Bitte noch einmal nachdenken.

Und auch an der Dringlichkeit des Problems kann man zweifeln. Seit Dezember 2018 besteht in Deutschland die Möglichkeit, in das Personenstandsregister den Geschlechtereintrag „divers“ zu wählen. Bis zum September vorigen Jahres, also nach knapp zwei Jahren, hatten nach einer Umfrage des Bundesinnenministeriums deutschlandweit 394 Menschen davon Gebrauch gemacht. Das sind 0,0005 Prozent. Gut möglich, dass tagelang kein einziger Fluggast der Lufthansa sich als „divers“ bezeichnet. Aber allen anderen wird die höfliche Anrede verweigert. Auch über den Begriff Gerechtigkeit sollte man bei der Lufthansa noch mal neu nachdenken.

Politmoralischer Ablasshandel

Vor allem aber kann man sich mit Blick auf die größte deutsche Fluggesellschaft nicht vollständig des Eindrucks erwehren, dass hier eine Art politmoralischer Ablasshandel erfolgt. Denn die Flugbranche steht seit Jahren in der Kritik. Immer wieder wird von Umweltverbänden oder Politikern der Grünen vorgeschlagen, das Fliegen in irgendeiner Form zu begrenzen. Und wie es der Zufall so will, ist die Klientel der Umweltengagierten nahezu deckungsgleich mit den Befürwortern des Genderns. Ein Schelm, wer Böses denkt.

Wo aber der Zeitgeist weht, dürfen die Opportunisten der staatseigenen Unternehmen nicht nachstehen. Nur einen Tag nach der Lufthansa verkündete also auch ein Sprecher der Bahn gegenüber Bild: „Vielfalt und Toleranz sind Teil der Unternehmensidentität der Deutschen Bahn.“ Man empfehle daher den „Zugbegleiter:innen (!) die Verwendung einer genderneutralen Ansprache“. Spätestens hier stellt sich – wie auch bei der Vorstellung des Regenbogen-ICEs einige Tage zuvor – eine ganz grundsätzliche Frage: Ist es wirklich im Sinne einer demokratischen Gesellschaft, wenn der öffentliche Raum durch Wirtschaftsakteure politisiert wird? Politparolen als Teil der PR-Kampagne?

Die Logik dahinter ist offensichtlich. Unternehmen rennen dem Zeitgeist hinterher. Sie wollen hip sein. Und politische Einstellungen, insbesondere linke politische Einstellungen, sind heutzutage Bestandteil des Lifestyles. Was ist also für ein Unternehmen naheliegender, als einschlägige Parolen in die Corporate Identity zu übernehmen?

Doch was aus Sicht der PR-Abteilungen naheliegend sein mag, ist für eine demokratische Gesellschaft verhängnisvoll. Konzerne sind in einer kapitalistischen Gesellschaft mächtige, teilweise übermächtige Akteure. Wenn diese beginnen, ihre geballte PR-Macht im Dienst politischer Überzeugungen zu stellen, kann von einer ausgewogenen politischen Willensbildung nicht mehr die Rede sein. Zudem beschäftigen diese Konzerne Hundertausende von Mitarbeitern, die sich der internen Hauskommunikation beugen müssen. Doch Mitarbeiter sind nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Bürger. Was, wenn ein Mitarbeiter etwa konservativer Christ ist und sich mit der neuen Progressivität seines Arbeitgebers nicht gemein machen will?

Politische Neutralität von Wirtschaftskonzernen ist ein hohes Gut zur Wahrung des gesellschaftlichen Friedens. Der billige Trend, Politparolen für Marketingzwecke zu nutzen, sollte dringend noch einmal überdacht werden. In unser aller Sinne.

Anzeige