Geldentwertung - Inflation und Repression

Der nimmersatte Staat greift der Mittelschicht immer stärker in die Tasche. Die drohende Geldentwertung kommt den Regierungen dabei nur zupass. Denn mit einer Inflation von vier Prozent könnte der deutsche Fiskus seine Schuldenlast in nur einem Jahr faktisch um mehr als 90 Milliarden Euro mildern.

Die EZB bläst fleißig weiter den Währungsballon auf / Christine Rösch
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Autoreninfo

Michael Eilfort ist Politikwissenschaftler und Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft.

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Was keinen Preis hat und im Übermaß vorhanden ist, verliert an Wert. Das gilt auch für eine Währung. Wenn Zinsen als Korrektiv entfallen, wenn eine Aufblähung (im Sinne des lateinischen „inflatio“) der Geldmenge erfolgt, rollt die Inflation – im Juli in Deutschland mit knapp 4 Prozent. Ob sie schon 2021 gar 5 Prozent erreichen wird, ob es sich um ein kurz erscheinendes Gespenst oder einen längeren Albtraum handelt, ist alles andere als unerheblich, soll hier aber nicht kaffeesatzlesend beleuchtet werden. Bereits bei 2 Prozent Inflation ist nach gut zehn Jahren ein Fünftel, nach 20 Jahren ein Drittel und nach 35 Jahren die Hälfte der Kaufkraft etwa von Erspartem oder einer nominal zugesagten Rente verloren. 

„Cui bono?“ Was oder wem nützt es, ist die Frage, die den klarsten Blick eröffnet. Inflation, die Sparer, Vorsorgende, Gläubiger bedrängt, hilft Schuldnern. Dies vor allem, wenn sie unkalkulierbar kommt und der Realzins sinkt. Staaten sind die größten Schuldner. Für Politiker, zumindest für Regierungen, ist die Geldentwertung ein heimlicher Verbündeter. Nimmt man die derzeit vom deutschen Staat aufgenommenen Kredite von über 2,3 Billionen Euro als Maßstab und eine Inflation von 4 Prozent an, könnte der deutsche Fiskus seine Schuldenlast in nur einem Jahr faktisch um über 90 Milliarden Euro mildern.

Kein generationengerechter Haushalt

Mehr Inflation könnte dem Staat noch mehr helfen: Auf Deutschland lasten im Sommer 2021 erdrückende 14,7 Billionen Euro an Staatsschulden und Verbindlichkeiten. Das sind 439 Prozent unserer Jahreswirtschaftsleistung und umfasst im Gegensatz zu den schöneren offiziellen Zahlen der Altschulden auch die versteckten Verbindlichkeiten. Sie resultieren aus zukünftigen, nicht durch laufende Einnahmen gedeckten Verpflichtungen. Für diese müsste ein ehrlicher beziehungsweise ehrbarer Staat, der langfristig tragfähige, generationengerechte Haushalte anstrebt, eigentlich Rückstellungen bilden – zum Beispiel für Beamtenpensionen. 

Der Flaschenhals ab 2020 für die öffentlichen Haushalte war ganz ohne Corona schon lange absehbar. Fröhlich ignorant haben Bundes- und Landesregierungen aber nicht vorgesorgt, sondern im Gegenteil seit 2013 immer neue Leistungen beschlossen. Schon vor der Pandemie und dem Einsatz einer fiskalisch fragwürdigen „Bazooka“ hatten es politisch Verantwortliche in guten Jahren fertiggebracht, gleichzeitig die Reformdividende der Agenda 2010 zu verfrühstücken sowie die fiskalischen Entlastungen durch die Niedrigzinspolitik und Steuermehreinnahmen mitzunehmen. Zum Jahresende 2021 sind nun auch noch die Rücklagen aller Sozialversicherungen aufgezehrt. 

Kassensturz

Die öffentlichen Haushalte kommen in Not, dabei stehen die Spitzen der Ausgaben bei Renten, Pensionen, Krankheit und Pflege erst noch bevor. Hinzu kommen europäische Transferlasten, Kosten für mehr Klimaschutz und wohl weiter die Bekämpfung immer neuer „Gerechtigkeitslücken“. Nicht zu vergessen notwendiges Klotzen statt Kleckern bei Bildung, Digitalisierung, Infrastruktur, Energieversorgung.

Nach der Bundestagswahl sollte indes erst einmal der Kassensturz anstehen. Wollte eine neue Bundesregierung auch im Sinne Jüngerer nachhaltig haushalten, müsste der Staat, bezogen auf die Haushalte 2021, entweder seine Einnahmen dauerhaft um 19,2 Prozent steigern oder die Ausgaben um 15 Prozent senken. Letzteres kommt gewiss nicht – Politiker meiden Ausgabenüberprüfungen selbst da, wo Missbrauch, Streuverluste und Fehlanreize offensichtlich sind. 

Fröhliches Verschulden bei den Nachbarn

Einnahmeerhöhungen also! Wachstum wäre dazu der beste Weg, müsste aber chinesisches Ausmaß erreichen. Dies erscheint kaum machbar in der Realität einer alternden, innovationsscheuen Gesellschaft sowie eines mehrheitlich zu Staatswirtschaft und Stillstand neigenden Politikbetriebs. Steuererhöhungen, wo eigentlich Entlastungen überfällig wären, sind leider wahrscheinlicher. Der Schwerpunkt aber wird wohl auf dem bequemsten Weg liegen: neue Schulden. Die seien ja so günstig, wie es allenthalben heißt, und der Bedarf an Investitionen sei so groß. Die Schuldenbremse in ihrer soliden und bewährten Fassung von 2008 dürfte, wenn sie nach 2022 auch 2023 nicht wiederkommt, am Ende verloren sein.

In den meisten Ländern der Europäischen Währungsunion sehen die öffentlichen Haushalte noch schlechter aus, ist die Verschuldung noch höher – dafür aber in einigen das Wohlbefinden größer, weil Schulden und Inflation ganz entspannt gesehen werden. In Europa plagt sich nur Deutschland mit der kollektiven Erinnerung an eine Hyperinflation vor fast 100 Jahren. 

Leise schleichend

Die Verträge von Maastricht und Lissabon, Stabilitätspakt und „No Bailout“, waren, wie man heute weiß, kaum ihr Papier wert. Der nie eingehaltene, nun ausgesetzte Stabilitätspakt soll frühestens 2023 wieder gelten – wenn überhaupt. Faktisch ist der Euro eine verbesserte Lira 2.0 mit europaweiter Gültigkeit und für Wirtschaft, Handel und Reisen nach wie vor von großer praktischer Nützlichkeit.

Inzwischen dominiert inflationäres Laissez-faire den weichen Euro, weil alle Akteure weder die Disziplin zur Einhaltung selbst aufgestellter Regeln noch den Mut zu einem echten europäischen Schritt nach vorn besaßen. Nur ein Währungsschnitt bleibt zum Glück als Offenbarungseid unvorstellbar. Schleichende Prozesse wie Inflation werden von Regierenden bevorzugt, weil homöopathische Enteignungsschritte die Bürger nicht so leicht auf die Barrikaden bringen.

Inflation nachholen

Wo die Regierungen Anstrengungen und Konflikte scheuten sowie Regeln missachteten, sprang immer häufiger die Europäische Zentralbank (EZB) ein. 2012 war sie gar der „Retter“, als ihr Präsident Mario Draghi die Märkte beruhigte. Mit „whatever“ zu winken, wirkte – aber die Rechnungen kommen eben auch: „it takes“! Aus der unabhängigen Notenbank wurde eine servile Behörde – die zur Sicherung der Geldwertstabilität auch kaum mehr Handlungsspielräume hat. Zwangsläufig führt eine „Strategieüberprüfung“ der EZB wie 2021 trotz Detailverbesserungen etwa bei der Inflationsberechnung im Wesentlichen zum „Weiter so“ mit mehr vom Gleichen: Zinserhöhungen sind jetzt noch weniger denkbar, da sie hoch verschuldete EU-Staaten in den Ruin treiben würden. 

Lange ist es her: Das zentrale Ziel der EZB war einmal die Gewährleistung der Geldwertstabilität. Dies sollte bei einer soliden Währung eigentlich null Inflation bedeuten – würde jedenfalls eine schwäbische Hausfrau annehmen. Tatsächlich galt zu Beginn ein Zielkorridor von 0 bis 2 Prozent. Ab 2003 war dann plötzlich eine maßvolle Inflation das Ziel und verstand die EZB unter Preisstabilität eine Inflationsrate von bis zu knapp 2 Prozent. Ab 2021 ist man im Turm zu Frankfurt bereit, auch eine „symmetrische“ Inflation hinzunehmen, die „moderat“ über 2 Prozent liegt. Nun werden im mehrjährigen Durchschnitt 2 Prozent Inflation angestrebt. Wenn also eine Weile das Ziel „verfehlt“ wurde, holt man Inflation einfach „nach“.

Wie mit der Ketchup-Flasche

Offensichtlicher kann man kaum machen, dass das eigentliche EZB-Ziel weniger Geldwertstabilität oder Deflationsprävention, sondern eher regelmäßige Geld- und damit Schuldenentwertung ist. Es geht um eine Art „Mindestinflation“, die Schuldenstaaten maximale Handlungsfreiheit bei minimalen eigenen Anstrengungen erlaubt und schleichend mindestens teilweise das übernimmt, was man früher den Schuldendienst nannte.

Immer spannender wird damit die Frage, ob die Zentralbank – die inzwischen faktisch als Staatsfinanzierer agiert, sich zudem als Wirtschafts-, Sozial- und Klimaingenieur versteht und ohne demokratische Legitimation von Nord nach Süd, von Sparern zu Aktionären, von Gläubigern zu Schuldnern umverteilt – in ihrem Kernaufgabengebiet überhaupt das Steuerrad in der Hand halten kann. Man wird wohl neu zu der alten Erkenntnis gelangen, dass „Inflationssteuerung“ so wenig aussichtsreich ist wie das Bemühen, genau die gewünschte Menge Ketchup aus der Flasche und auf den Teller zu bekommen: Oft kommt lange nichts, aber dann zu viel. 

Mittelschicht ist das leichteste Ziel

Über den passiven Schuldenabbau und den leider sehr aktiven Schuldenaufbau hinaus braucht der Staat frisches Geld. Und da Steuererhöhungen in ihren Aufkommenswirkungen überschaubar bleiben, kommen auf diejenigen Bürger, die mit ihren Leistungen auch das Gemeinwesen und dessen Finanzierung tragen, neue Belastungen zu – vor allem, Masse macht immer noch Kasse, in der Mittelschicht. 

Um wenigstens offene Enteignung geht es bei einer möglichen Verschärfung der Erbschaftsbesteuerung und der Wiedereinführung der Vermögensteuer, einer angeblich einmaligen Vermögensabgabe oder gar einem Lastenausgleich nach dem Muster von 1952. Von den übermäßig hohen Verwaltungskosten, der schwierigen Erfassung, erwartbarer Gestaltung und möglichen negativen Folgen vor allem für mittelständische Familienunternehmen und eigenverantwortliche Altersversorgung lassen sich die Befürworter nicht abschrecken.

Sparen verboten

Ebenso wie eine Aufgabe des Äquivalenzprinzips in der Rentenversicherung oder eine Verrechnung von Altersversorgungsansprüchen bedeutete all dies eine nach Kassenlage erfolgende, willkürliche Schwächung des zentralen sozial-marktwirtschaftlichen Anreizes zu Leistung, Eigenverantwortung, Innovation: dem Eigentum. Was passiert, wenn Eigentum nichts mehr gilt und Initiative nichts verspricht, konnte man im real existierenden Sozialismus sehen. 

Obendrein könnte jederzeit die bereits laufende „finanzielle Repression“ ausgeweitet werden. Der in den 1970er Jahren entstandene Begriff umschreibt vornehm das staatliche Bemühen, die Staatsschuldenquote zu senken, indem niedrig gehaltene Zinsen unter dem Niveau des Wirtschaftswachstums bleiben. Amerikanische Ökonomen schlagen etwa vor, minus 10 Prozent Negativzinsen einzubehalten und eine Art Notstand oder Zwang für Banksparer zu schaffen, ihr Geld sofort auszugeben: ein Konjunktur- und in der Folge Steuereinnahmen-Vermehrungsprogramm auf Knopfdruck. 

Die eigenen Papiere verpflichtend machen

Eine andere, weniger sichtbare Form der finanziellen Repression hat der Fiskalstaat über Jahrzehnte bereits mit nahezu perfider Perfektion entwickelt: Er schafft sich die Nachfrage nach den von ihm ausgegebenen Schuldentiteln, zum Beispiel Staatsanleihen, selbst. Nämlich indem er sie allein als „mündelsicher“ schöndefiniert, bei ihren Haltern auf den sonst üblichen Anspruch der Unterlegung mit Eigenkapital verzichtet und dann per Gesetz unter anderem dafür sorgt, dass Versicherungen, die ja im Sinne ihrer Kunden sicher anlegen sollen, dies zu einem immer größeren Teil in Staatspapieren tun müssen – derzeit wohlgemerkt ohne jede Rendite.

Alle benannten Szenarien, von der Vermögensabgabe über den Lastenausgleich bis zu drastischen Negativzinsen, funktionieren nur dann ertragreicher oder überhaupt, wenn sämtliche Vermögensgegenstände und Guthaben lückenlos erfasst sind und ein Ausweichen in Bargeld und unter die Matratze nicht mehr möglich ist. Bargeld stellt den Feind aller Substanzsteuern, Sonderabgaben und finanzieller Repression dar. Es ist wahr: Bargeld ist geprägte Freiheit sowie ein Schutz gegen konfiskatorische Übergriffe des Staates. Genau deswegen nervt es Regierungen und Notenbanker.

Langsame Abwicklung des Bargelds

Sie sprechen es nicht ehrlich aus, aber gehen trickreiche Umwege, kriminalisieren Bargeld oder erschweren ganz einfach dessen Nutzung. Erst wird die Lagerung durch die angekündigte Abschaffung der 500-Euro-Scheine erschwert, dann die Einzahlung von Bargeld, regelmäßig auch dessen Nutzung im Kleinen – etwa bei Fahrkartenautomaten – oder im Großen durch Bargeldobergrenzen. 

Und nein: Es gibt keine große Verschwörung zwischen deutschen Finanzministern sowie der EU-Kommission oder der EZB. Es gibt nur einen überaus großen Gleichklang fiskalischer Interessen und einen immensen Antrieb beziehungsweise selbst verschuldeten Druck, zusätzliche Geldquellen zu erschließen und legale Fluchten zu verschließen. So entstand eine augenzwinkernde Komplizität: Das Schweizer Bankgeheimnis ist keines mehr, Steueroasen sind bekämpft, Steuersparen verunglimpft, Staatskriminalität in der Hehlerrolle beim Kauf von Steuer-CDs gutgeheißen, Datentransfers von Banken und Versicherungen an Behörden automatisiert, Bargeld nach und nach kriminalisiert.

Der Staat ist kurz davor, sich seine Bürger so zurechtgelegt zu haben wie der FC Bayern seine hoffnungslos unterlegenen Bundesliga-Gegner nach dem einlullend-freundlichen Geplänkel erster Spielminuten. Das meiste, was als Kampf gegen Kriminalität, Terrorismus, Geldwäsche verkauft wird, dient am Ende ganz zufällig dazu, Steuer- und Beitragszahler, Sparer und Anleger einzukreisen. 

Inflation erzeugt Druck

Inflation ist der Feind des Bargelds, und schon damit der Freund der Staatskassen. Bereits eine Inflation von 4 Prozent lässt viele angesichts des Wertverlusts des Bargelds unter ihrer Matratze auf derselbigen schlechter schlafen. Wer will dem Verfall schon tatenlos zusehen? Es wird dazu kommen, dass doch neu und auch zu ungünstigen Einstiegszeitpunkten über Betongold und über Aktien nachgedacht wird.

Grundsätzlich immer richtig und hier auch für den Staat gut: So kommen die Mittel von der völlig legalen, aber unerwünschten, weil unsichtbaren Verwahrung in die staatliche Erfassung – und generieren ihrerseits weitere Erträge über Abgeltungsteuer, Grunderwerb- und Grundsteuer.
Oder das zu Hause gelagerte Bargeld wird ausgegeben, nach dem Motto: „Was weg ist, kann einem der Staat nicht mehr nehmen.“ Dieser Rat auch von Ökonomen ist zwar nicht falsch. Eigenverantwortung und vor allem Vorsorge sind damit aber nicht geleistet – und wieder profitiert der Fiskus.

Umverteiler Inflation

In dem politischen Spektrum, nach dessen Auffassung dem Staat eigentlich sowieso alles gehört und zusteht, werden der Inflation inzwischen auch schöne Umverteilungsseiten abgewonnen. Galt die Geldentwertung einst als „Taschendieb des kleinen Mannes“, wirkt sie heute eher als eine Art Sondersteuer in der mittleren bis gehobenen Mittelschicht. Viele bleiben verschont: Hartz-IV-Empfänger sind von ihren Folgen sozusagen befreit, weil regelmäßig eine Anpassung der Regelsätze an die Inflationsentwicklung erfolgt.

Mindestens eine Prüfung, im Regelfall mit folgender Erhöhung, findet in festen Abständen auch bei Leistungen für Asylbewerber, bei Leistungen der sozialen Pflegeversicherung und des Bundesausbildungsförderungsgesetzes statt. Auch Rentner sind ein Stück weit inflationsgeschützt: Ihre Bezüge folgen der Lohnentwicklung des Vorjahrs nur noch dann, wenn es nach oben geht – und in Zeiten merklicher Inflationsraten erfreuen sich über kurz oder mittel auch die Löhne ausgleichender Anpassungen. 

Nur wer spart, ist der Dumme. Was also rät man den Bürgern, die gleichzeitig Steuern und Beiträge zahlen sowie privat vorsorgen, nicht ständig vom Staat neu oder zusätzlich belastet und um die Früchte ihrer Anstrengungen gebracht werden wollen? Eigentlich ganz einfach: Bargeld wertschätzen, diversifiziert anlegen, legal diskret zurücklegen und fiskalisch nachhaltig wählen.

 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

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