Fragen zum Wirecard-Skandal - „Das wird vor der Bundestagswahl noch eine Rolle spielen“

Es ist der wohl größte Betrugsfall der Nachkriegsgeschichte: die Bilanzmanipulationen bei Wirecard. Ein Gespräch mit Fabio De Masi, dem Finanzpolitiker und Obmann der Linken im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages, der in diesen Tagen neue Zeugen befragt.

Die Anklage lautet „Betrug in Milliardenhöhe“ / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Jens Nordalm leitete bis August 2020 die Ressorts Salon und Literaturen bei Cicero.

So erreichen Sie Jens Nordalm:

Anzeige

Der Wirtschaftspolitiker Fabio De Masi sitzt seit 2017 für die Linke im Bundestag. Kürzlich hat er in einem offenen Brief seinen Rückzug aus der Politik verkündet, in dem er seiner Partei elitäre Abgehobenheit vorwirft. 

Herr De Masi, zwei Tage vor der Wirecard-Insolvenz am 25. Juni 2020 hat das Bundesfinanzministerium in Gestalt von Staatssekretär Jörg Kukies versucht, die staatseigene Ipex-Bank, eine KfW-Tochter, am Telefon zu Verlängerung und Aufstockung ihres Kredits an den Finanzdienstleister zu drängen. Steuergelder immerhin. Und dies einen Tag nach der Mitteilung des Unternehmens, dass jene berühmten 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten wahrscheinlich gar nicht existieren. Wie bewerten Sie dieses Telefonat?

Das war keine gute Idee, weil Herr Kukies nicht nur Staatssekretär ist, sondern gleichzeitig im Aufsichtsrat bei der KfW sitzt. In seiner Rolle als Aufsichtsrat steht es ihm nicht zu, den Bank-Vorstand zur Verlängerung eines Kredits zu drängen, wenn das Unternehmen, um das es geht, eine Luftnummer ist, wenn da eine kriminelle Bande am Werk war und wenn die Bank schon selber kalte Füße bekommen hat wegen des Kredits. Herr Kukies darf sich als Staatssekretär Gedanken darüber machen, ob es irgendetwas gibt, was an dem Unternehmen zu schützen ist, seien es Jobs oder sei es Technologie, aber das macht man nicht über faule Kredite.

Ist dieser Vorgang, das Telefonat von Jörg Kukies mit der Ipex-Bank, lange „verschwiegen“ worden, wie es heißt?

Wir hatten die zuständigen Personen im Ausschuss, und die Commerzbank hatte eingeräumt, dass Kukies dort vorstellig war und die Bank um ein Konzept bat, wie man denn vermeintliche Spitzen-Technologie von Wirecard vor dem Zugriff der Chinesen retten könnte. Aber der KfW-Anruf war uns nicht offenbart worden. Wir müssen dem Finanzministerium immer wieder die Spaghetti aus der Nase ziehen. Dies zeigt, dass Wirecard für die Bundesregierung kein Unternehmen unter vielen sondern ein nationaler Champion war, den es zu schützen galt.

Haben die jüngsten Sitzungen des Ausschusses weitere Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Ministerium und Aufsichtsbehörden fahrlässig Warnsignale über Bilanzmanipulationen ignoriert haben?

Die Finanzaufsicht, die Bafin, hat immer wieder Hinweise gehabt, die an sie herangetragen wurden, von Hinweisgebern oder aus der Presse, und sie hat die Möglichkeiten, die sie gehabt hätte, auch im Rahmen ihrer Aufgabe als Wertpapieraufsicht, nicht genutzt. Sie hat die Wirecard-Bilanz der DPR, der Deutschen Prüfstelle Rechnungslegung, überlassen. Die DPR ist ein privatrechtlicher Verein.

Das ist ein bisschen, als wenn man dem ADAC die Alkoholkontrolle am Ortseingang überlässt. Die haben gar nicht das Personal, um dort eine forensische Bilanzprüfung zu machen, wie sie KPMG gemacht hat, die zwischenzeitlich von Wirecard selbst damit beauftragt war. Und die DPR hat dann nur gewartet und gesagt, es gibt ja eine Untersuchung von KPMG, und solange machen wir nichts. Und so wurde wertvolle Zeit vergeudet.

Welche Rolle hat das zweimonatige Leerverkaufsverbot der Bafin Anfang 2019 gespielt – also das behördliche Verbot, auf fallende Kurse des Unternehmens zu spekulieren?

Das Leerverkaufsverbot war einSignal, dass staatliche Behörden ein seriöses Unternehmen gegen finstere Attacken abschirmen wollen. Ich spreche als Linker der Finanzaufsicht nicht ab, Leerverkäufe zu regulieren. Aber sie hat hier für ein einzelnes Unternehmen ein solches Verbot erlassen, und zwar auf Grundlage eines Vermerks einer Staatsanwaltschaft, die von einer vermeintlichen Erpressung berichtet hat, einer Erpressung von Wirecard durch das Medienunternehmen Bloomberg und die Financial Times.

Und der Kronzeuge dafür war ein britischer Drogenhändler, den man hätte googeln können. Die Bafin sagt heute, sie habe dieses Verbot wegen dieser Erpressungsgeschichte erlassen, und die Staatsanwaltschaft sagt, sie hätten gar nicht wegen Erpressung ermittelt, sondern wegen Marktmanipulationen unter anderem durch einen Journalisten der Financial Times. Das ist eine Farce.

Das Ganze wird als eine Art Rettungsaktion der Regierung für Wirecard interpretiert. Gab es eine Einflussnahme des BMF auf diese ungewöhnliche Bafin-Entscheidung? Die Bundesbank war ja dagegen, wie man hört.

Ja, die Bundesbank war dagegen. Und die Bafin hat auf eine Stellungnahme der Bundesbank verzichtet, was extrem unüblich ist. Wie es dazu kam, konnten wir bisher nicht erhellen, weil der entsprechende SMS-Verkehr zwischen der Bundesbankvorständin Frau Buch und der Bafin-Exekutivdirektorin Frau Roegele nicht mehr auffindbar ist, wie in so vielen Untersuchungsausschüssen. Das Handy von Frau Buch wurde angeblich geschreddert, und ob Frau Roegele die SMS abliefert, wissen wir noch nicht.

Wir wissen, dass das Leerverkaufsverbot auf dem Tisch von Herrn Kukies gelandet ist. Wir wissen bisher aber nicht, ob Herr Kukies Einfluss genommen hat. Aber das BMF hat zunächst dementiert, dass diese Information auch an Herrn Kukies und Herrn Scholz gegangen sei. Als dann die Wahrheit drohte ans Licht zu kommen, hat Staatssekretär Wolfgang Schmidt das auf Twitter richtig gestellt. Man wollte uns das also zunächst verheimlichen.

Rundet sich für Sie also das Bild, warum es dieses Engagement und die Fahrlässigkeiten gegeben hat? Stichwort „Nationaler Finanzdienstleister-Champion“?

Bisher ist die Erzählung, die Bundeskanzlerin sei zum mächtigsten Mann Chinas gefahren, nachdem Karl Theodor zu Guttenberg bei ihr vorbeispaziert ist, und habe neben vielen anderen Punkten auch Wirecard angesprochen. Das ist ungewöhnlich, weil man beim mächtigsten Mann Chinas vielleicht zwei oder drei Wünsche, aber nicht zehn hat, und die Verhandlungsziele der Kanzlerin monatelang vorbereitet werden. Wir wissen aus den Akten mittlerweile, dass Wirecard als großer diplomatischer Jackpot der Bundesregierung gefeiert wurde. Denn Wirecard war das erste ausländische Unternehmen, das eine landesweite Payment-Lizenz im geschützten chinesischen Finanzmarkt bekommen sollte.

Das ist der wichtigste Finanzmarkt der Zukunft. Und man hat auch lange davor nachgefragt, ob es denn etwas Unterschriftsreifes für die Kanzlerin zu Wirecard gebe. Das ist ja erstmal nicht verwerflich, dass sich die Bundesregierung für deutsche Unternehmen in China engagiert, aber wenn es von der führenden Wirtschaftspresse so heftige Vorwürfe gegen dieses Unternehmen gibt, dann hätte die Bundesregierung vorsichtiger sein müssen.

Apropos „Nationaler Champion“: Ihr Kollege von der FDP im Ausschuss, Florian Toncar, hat die unglaubliche Geschichte erzählt, wie still nach der Insolvenz die Telefone bei Wirecard blieben.

Eine zentrale Story von Wirecard war ja, wir wickeln Zahlungen im Internet ab, und weil immer mehr Leute im Internet bezahlen, sind wir so ein bombastisches Unternehmen und machen immer mehr Geschäft. Und da sie das Geschäft nicht unmittelbar belegen konnten, haben sie gesagt: Das sehen Sie nicht, weil wir all die Drittpartnerfirmen immer aufkaufen, und die Drittpartnerfirmen brauchen wir, weil wir sonst keine Lizenzen für diese Länder haben.

Als dann Wirecard zusammenbrach – das hat der Compliance-Beauftragte des Unternehmens, der dann auch für den Insolvenzverwalter arbeitete, bestätigt –, da gab es nicht eine einzige Beschwerde von Kunden, dass jetzt ihre Zahlungen nicht mehr abgewickelt würden. Es gab offenbar nichts. Es gab kein Drittpartnergeschäft. Diese ganzen Kundenbeziehungen waren alle Fake. Und wir reden hier über einen Dax-Konzern.

Wie intensiv war der Einsatz von Olaf Scholz für Wirecard in diesen Jahren vor der Insolvenz?

Scholz hat am 18. Januar 2019 seinen chinesischen Counterpart getroffen und das Abschlussdokument des deutsch-chinesischen Finanzdialogs eingetütet. Laut der Deutschen Botschaft wurde Wirecard am 18. Januar auf hochrangiger politischer Ebene thematisiert. Die chinesischen Behörden würden die Erteilung der Payment-Lizenzen daher als eine politische Anweisung verstehen. Daraus lese ich, dass Herr Scholz selber das Thema angesprochen hat. Das wird von Staatssekretär Wolfgang Schmidt dementiert. Aber da steht seine Aussage gegen die Akten und die Botschaft.

Noch einmal zurück zu dem Kredit der KfW-Tochter Ipex. Wollte die Bank sich schon früher aus dem Kredit zurückziehen, wie man las?

Die Banken, die in dem Kredit-Konsortium waren, auch die Commerzbank, sagen, sie hätten vor dem Ende der Laufzeit nicht herausgekonnt aus diesen Krediten. Das konnten wir widerlegen. Es gibt Sonderkündigungsrechte bei außergewöhnlichen Ereignissen. Und diese Kreditverträge enthielten entsprechende Klauseln. Die KfW IPEX hatte massive Zweifel an Wirecard, hat den Kredit aber sogar verlängert. Die KfW musste 90 Prozent ihrer Kreditforderung von 100 Millionen Euro abschreiben, beziehungsweise den Kredit verkaufen zum Wert von 10 Prozent.

Stimmt es, dass Jörg Kukies am Tag der fatalen Mitteilung von Wirecard über die Nichtexistenz der Milliarden Scholz vorgeschlagen hat, Corona-Hilfsgelder für die Rettung von Wirecard einzusetzen?

Darüber wurde tatsächlich nachgedacht. Es gab ja dieses White-Paper der Commerzbank, wo über verschiedene Optionen nachgedacht wurde, und es wurde offenbar auch erwogen, den Wirtschaftshilfe-Fonds für Wirecard anzuzapfen. Der ist für die Härten der Coronakrise gedacht und nicht für die Buchhaltungstricks der Wirecard-Vorstände Jan Marsalek und Markus Braun. Allein darüber überhaupt nachzudenken, ist unanständig.

Im April werden Scholz und die Kanzlerin im Ausschuss befragt werden. Was erwarten Sie davon? Was werden Sie wissen wollen?

Herr Scholz hat immer wieder betont, wie gut und regelmäßig er sich hat informieren lassen. Dann wollen wir natürlich auch wissen, wann er sich zum Beispiel zum Leerverkaufsverbot und zu anderen Maßnahmen hat informieren lassen. Ausgerechnet an diesem Punkt hatte sein Staatssekretär Wolfgang Schmidt, der sich sonst immer erinnern konnte, wann er mit Herrn Kukies einen Bus bestiegen oder einen Kaffee getrunken hat, fatale Erinnerungslücken. Und wir wollen uns über Scholz‘ Rolle beim deutsch-chinesischen Finanzdialog austauschen.

Wir wollen von der Kanzlerin wissen, wie es dazu kam, dass sie so heftig für Wirecard in China geworben hat. Und wir wollen die Rolle der Nachrichtendienste beleuchten. Zwei ehemalige deutsche Nachrichtendienst-Koordinatoren haben Jan Marsalek getroffen und hatten auch enge Verbindungen zu dem mutmaßlichen Fluchthelfer von Herrn Marsalek, Martin W., dem ehemaligen österreichischen Topagenten. Ich finde es befremdlich, dass die Bundesregierung bisher offiziell keinerlei Anstrengungen unternimmt, aufzuklären, was die Österreicher dort auf deutschem Hoheitsgebiet veranstaltet haben.

Es gibt einen weiteren Fall, der Olaf Scholz gerade zu schaffen macht: Der Fall der Hamburger Warburg Bank, ihre Verwicklung in den Cum-Ex-Steuerskandal – und die Treffen des damaligen Regierenden Bürgermeisters Scholz 2016 und 2017 mit dem Warburg-Miteigentümer Christian Olearius, gegen den damals Ermittlungen wegen des Verdachts auf schwere Steuerhinterziehung liefen. Später ließ Hamburg mögliche Steuernachforderungen von 47 Millionen Euro verjähren. Eine weitere Nachforderung über 43 Millionen Euro wurde erst nach Einschreiten des Bundesfinanzministeriums unter Wolfgang Schäuble gestellt. Wie bewerten Sie diesen Fall, der gerade ebenfalls in einem Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft verhandelt wird?

Herr Scholz hat in der Vergangenheit mehrfach Treffen mit Herrn Olearius verschwiegen und sie dann einräumen müssen. Im Untersuchungsausschuss in Hamburg wird es darum gehen, ob es politische Einflussnahme auf das Finanzamt gab. Bisher war die Geschichte immer, über die Steuerforderungen gegen die Warburg Bank habe eine Finanzbeamtin alleine entschieden.

Es gibt jetzt wohl Belege, dass ein Argumentationspapier von Warburg, warum die Bank nicht steuerpflichtig sei – wonach ihre wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel stehe und so weiter –, von Peter Tschentscher abgezeichnet an das Finanzamt durchgereicht wurde. Vorher hatte Olearius das Papier Scholz gegeben, und der wiederum hatte Olearius gesagt, er solle es Tschentscher geben. Kürzlich ist gar bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft das Finanzamt und die Finanzbehörde des Hamburger Finanzsenators durchsuchen will. Das alles wird deshalb sicher noch eine Rolle vor der Bundestagswahl spielen.

Die Fragen stellte Jens Nordalm.  

Anzeige