Neuer EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis - Lettlands Mr. Excel

Nach den Verfehlungen des irischen EU-Handelskommissars Phil Hogan kommt mit dem Letten Valdis Dombrovskis ein gänzlich anderer Charakter. Er gilt als ausgesprochen langweilig – und detailversessen. Es könnte sein großer Vorteil sein.

Soll die Leute durch Gelassenheit, Logik und Überzeugungskraft dazu bringen, zuzustimmen: Valdis Dombrovskis / dpa
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Sanita Jemberga ist Chefredakteurin der lettischen Ivestigativplattform re:baltica.

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Wer sich langweilen möchte, kann entweder Farbe beim Trocknen zusehen. Oder er kann den politischen Vorträgen von Valdis Dombrovskis lauschen. Der Lette wird zum neuen Verhandlungsführer der Europäischen Union in Handelsfragen; im September gab EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bekannt, dass Dombrovskis dem irischen Handelskommissar Phil Hogan nachfolgen wird, weil dieser dabei erwischt worden war, wie er unter anderem bei einer Golfpartie die Corona-Regeln missachtete.

Derlei Verhalten dürfte von Dombrovskis nicht zu erwarten sein. Ein in der Brüsseler Blase beliebtes Meme zeigt den Letten in unterschiedlichen emotionalen Zuständen – sein Gesicht bleibt dabei immer unverändert. Aber eben jene Trockenheit, sein Pragmatismus und die Fähigkeit, Folgen von Entscheidungen klar kommunizieren zu können, haben den stillen Letten zu einem der beliebtesten Politiker seines Landes gemacht. 

Zwar wird er aufgrund harter Sparmaßnahmen, die er 2009 als Premierminister durchsetzte, um den Bankrott des Landes zu verhindern, noch immer Mr. Excel genannt. Bei den jüngsten Kommunalwahlen aber sah man sein Gesicht auf vielen Plakaten der Mitte-Rechts-Partei, obwohl er gar nicht zur Wahl stand.

„Ich erinnere mich noch an das Treffen der Koalition, bei dem Haushaltskürzungen vereinbart werden mussten. Die Atmosphäre war emotional geladen, im Grunde haben alle geschrien“, sagt der heutige lettische Premierminister, Krišjanis Karinš, gegenüber Cicero. „Valdis hörte zu, gab allen Partnern Gelegenheit, sich auszulassen, und sagte dann: ‚Okay, Kollegen, kommen wir zur Sache.‘“ Er lese die Schriftsätze und sei in der Lage, sie intellektuell zu durchdringen. Er bringe die Leute durch Gelassenheit, Logik und Überzeugungskraft dazu, zuzustimmen.

Denkt nicht an Protektionismus

Diese Fähigkeiten wird er brauchen, um in seinem neuen Ressort zu reüssieren: Das Investitionsabkommen der EU mit China, die Handelsgespräche mit den USA, die Reform der WTO und das nicht enden wollende Drama des Brexit, um nur einige zu nennen. „Es sieht nicht allzu vielversprechend aus, aber die Haltung der EU ist klar. Großbritannien hat das Rückzugsabkommen unterzeichnet, es ist ein internationaler Vertrag und muss eingehalten werden. Die EU hat nicht vor, die Gespräche wieder aufzunehmen. Die Einhaltung dieses Abkommens ist die Voraussetzung, um an einem Freihandelsabkommen zu arbeiten“, so Dombrovskis auf Anfrage von Cicero.

Kritik, er besitze zu wenig Erfahrung mit großen Handelsabkommen, kontert er. Als Vize-Kommissionschef der EU sei er schon für wichtige Dialoge mit China verantwortlich. Zu seiner neuen Rolle als Handelskommissar sagt er: „Dies ist ein neuer, sehr großer Verantwortungsbereich, auch wenn ich nicht klassifizieren möchte, was wichtiger ist – das Bankenwesen oder der Handel.“ Für Banken war er zuvor als Kommissar für Wirtschaft und Kapitaldienstleistungen zuständig. „Wenn die EU-Präsidentin mir dieses neue Ressort anvertraut, fühle ich mich geehrt und bin bereit, es zu übernehmen.“

Doch die Probleme, die zwischen der EU und China gelöst werden müssen, sind vielfältig. Die unterschiedliche Offenheit der Märkte für ausländische Investoren, Industriesubventionen, Wahrung geistigen Eigentums oder erzwungener Technologietransfer: „Eigentlich stimmen wir mit den USA überein. Nur die Rezepte sind anders – die USA sind zum Protektionismus übergegangen, wir glauben an eine multilaterale Lösung und an eine Reform der WTO“, sagt Dombrovskis.

Der beste unter vielen seines Kalibers

Dreimal schon war er Premierminister eines Landes, das wegen seiner häufigen Regierungswechsel schon den Spitznamen „Italien des Nordens“ bekam. Liebe zum Detail ist seine Stärke. Selbst über kleinste Haushaltsposten weiß er ebenso Bescheid wie die Beamten, die den Haushalt vorbereiten. Dombrovskis arbeitete als Wirtschaftswissenschaftler in der lettischen Zentralbank, studiert hat er Physik. 1995 war er Laborant an der Universität Mainz, wo er Deutsch lernte.

„Dombrovskis hat sich als jemand erwiesen, der kompetent und fleißig ist und auf den man sich zu 100 Prozent verlassen kann“, sagt Lettlands Premier Krišjanis Karinš. Es gebe einige in Europa seines politischen Kalibers mit solchen Fähigkeiten, aber kaum einen besseren.

„Und er hat Sinn für Humor, auch wenn der vielleicht zu schwarz ist, um von allen geliebt zu werden“, sagt Karinš und erzählt von einer unangenehmen Gesprächsrunde, bei der ein Vertreter des IWF immer mit Rucksack gekommen sei. In einer Pause habe Dombrovskis gesagt: „Wenn das vorbei ist, werde ich das Ding ins Museum stellen.“ In welches, habe Karinš gefragt. Dombrovskis habe geantwortet, dass er sich noch nicht entschieden habe – ob ins Historische oder in jenes in Riga, das an die Besatzungszeit durch die Sowjetunion erinnert.

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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