Energiewende - Die deutsche Klima-Mondlandung

Lange taten Politiker und Experten so, als könnten wir mit unseren Erneuerbaren alle anderen Energieträger ersetzen. Doch im Zuge der Dekarbonisierung wird der Strombedarf immer weiter steigen. Schaffen wir die Energiewende? Dieser Artikel hat im November viele Leser interessiert.

Bräuchten die Fläche ganzer Bundesländer, um bedarfsdeckend zu agieren: Windräder / dpa
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Stefan Dietrich leitete bis 2011 das Ressort Innenpolitik bei der FAZ und lebt heute als Publizist in Celle

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Das Jahr 1990 ist die Stunde null in allen Bilanzen zur Klimapolitik. Das Jahr 2050 das Zieldatum. Im Jahr eins hat Deutschland die Atmosphäre noch mit 1250 Millionen Tonnen CO2 belastet. 2050 wollen wir „klimaneutral“ wirtschaften. Genau jetzt haben wir also Halbzeit. Wo stehen wir? Das Erneuerbare-Energien-Gesetz liegt dem Bundestag zur Novellierung vor. Es ist die inzwischen siebte Änderung des erst 20 Jahre alten Regelwerks zur Förderung erneuerbarer Energien. Allein die Häufigkeit der Anpassungen lässt den Schluss zu, dass einiges nicht nach Plan gelaufen ist. 

Die gute Nachricht: Mit einem Anteil von 43 Prozent an der Stromproduktion hatten die Erneuerbaren das Klassenziel für 2020 bereits 2019 leicht übererfüllt. Die Gesamtbilanz fällt weniger erfreulich aus: Beim Vermeiden von Treibhausgas­emissionen waren wir vergangenes Jahr noch ein gutes Stück vom Etappenziel 2020, minus 40 Prozent, entfernt. Wegen Corona werden wir es dieses Jahr aber wohl doch noch einhalten – ein Erfolg, der sich hoffentlich so nicht wiederholen wird. Sehr viel bescheidener sieht die Erfolgsbilanz aus, wenn wir den Bruttoendenergieverbrauch betrachten – also nicht nur den Stromverbrauch, sondern den gesamten Energiebedarf unserer Volkswirtschaft: Da haben die Erneuerbaren in 30 Jahren gerade mal 18 Prozent Anteil erreicht. Schon in zehn Jahren sollen sie bei 30 Prozent ankommen. 

Noch viel weiter sind wir vom vorgegebenen Einsparziel entfernt: 2020 sollte Deutschland 20 Prozent weniger Energie verbrauchen als 2008. Geschafft haben wir ein Minus von lediglich 10,8 Prozent, also etwas mehr als die Hälfte. Wir müssten unsere Anstrengungen demnach fast vervierfachen, um, wie geplant, in den nächsten 30 Jahren auf minus 50 Prozent Energieverbrauch zu kommen. Warum das ohnehin eine große Illusion ist, davon später. Die Vorgaben zur Steigerung der Energieproduktivität – 2,1 Prozent pro Jahr – sind bisher nicht ein Mal eingehalten worden.

Windpark ist ein allzu freundliches Wort

Energiepolitik bewegt sich grundsätzlich in einem Zieldreieck von Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit. Unter Umweltverträglichkeit verstand man lange Zeit, dass etwas gegen die sichtbare Luftverschmutzung getan werden müsse (Stichwort: blauer Himmel über der Ruhr). Die Klimaforschung hat es an den Tag gebracht, dass die viel schlimmere Umweltverschmutzung die unsichtbaren Treibhausgase in der Atmosphäre sind. Milliarden Tonnen davon hat die Menschheit seit Beginn des Industriezeitalters in der Atmosphäre deponiert. Dem Argument, dass wir damit aufhören müssen, den uns umgebenden Lebensraum als Mülldeponie zu missbrauchen, kann sich kein vernünftiger Mensch mehr entziehen. Wir müssen weg von fossilen Energiequellen.

Im neuen Zieldreieck der Energiepolitik steht die Umweltverträglichkeit nun ganz vorn, allerdings verengt auf den Fokus Treibhausgase. Wir lassen das CO2 verschwinden und denken, damit hätten wir schon genug für die Umwelt getan. Das ist genauso einseitig wie die frühere Fixierung auf Rußpartikel in der Luft. Denn wir sehen dabei zu, wie unsere Kulturlandschaften in rasendem Tempo in Industriegebiete verwandelt werden, wie so auch der Artenschutz geopfert wird und Menschen in der Nähe von Windrädern gesundheitlich leiden. Wer glaubt, der Rückgang der Arten hätte nichts mit den Monokulturen für Biogasanlagen oder mit Fledermaus- und Vogelschlag an Windrädern zu tun, macht sich etwas vor. Politisch wird dies beiseitegeschoben. Im neuen EEG etwa durch die Verkürzung des Rechtswegs für Einsprüche gegen neue Windplantagen. „Windpark“ ist ein allzu freundliches Wort für das, was da entsteht.

Jetzt gilt: Vorfahrt für Klimaschutz. Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit müssen daran angepasst werden. Das ist leichter gesagt als getan. Wie geht Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien? Ihr größtes Manko ist bekanntlich ihre schwankende Verfügbarkeit. Woher den Strom nehmen während einer Dunkelflaute, die im Winter auch Wochen dauern kann? Darauf gab es bis vor kurzem viele verschiedene, aber keine klaren Antworten. Erst in diesem Jahr hat sich die Bundesregierung dazu durchgerungen, auf Wasserstoff als Speichermedium und Ersatz für fossile Energieträger zu setzen. 

Von Utopien und Zauberwörtern

Wasserstoff ist ein vielseitig verwendbares Synthesegas, das praktisch unbegrenzt zur Verfügung steht, in Kraftstoffe aller Art umgewandelt, in Kavernen gespeichert und durch Gasleitungen transportiert werden kann. Der ideale Ersatz für Kohle. Allerdings ist seine Herstellung sehr energieaufwendig, um nicht zu sagen: verschwen­derisch. Bei Wasserstoff kommen nur rund 40 Prozent der für die Herstellung eingesetzten Energie beim Endverbraucher an. Das heißt, 60 Prozent gehen verloren. Es sollte nicht verschwiegen werden, dass der Straßenverkehr bei der Nutzung fossiler Kraftstoffe noch deutlich schlechtere Wirkungsgrade erzielt. Und die werden auch dann nicht besser, wenn unsere Verbrenner eines Tages synthetische Kraftstoffe auf Wasserstoffbasis tanken werden. E-Fuels sind gegenwärtig das Zauberwort, das alle Bedürfnisse erfüllen soll, die nicht mit Steckdosenstrom befriedigt werden können.

Zwei Beispiele zur Illustration: Die Chemieindustrie sagt, sie könnte bis 2050 ihre Produktion auf Wasserstoff umstellen. Dafür bräuchte sie sieben Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr. Für die Herstellung dieser Menge werden 600 Terawattstunden Strom benötigt, wohlgemerkt grüner Strom. 600 Terawattstunden – das ist ziemlich genau die gesamte jährliche Stromproduktion Deutschlands von heute. Nur für die Chemieindustrie müsste man sie also verdoppeln. Zweites Beispiel: Auch Kerosin soll mittelfristig CO2-frei und nicht mehr aus Öl hergestellt werden. Aber: Um nur die Flugzeuge, die letztes Jahr in Deutschland betankt wurden, mit CO2-freiem Kerosin zu versorgen, hätte man mehr grünen Strom gebraucht, als alle Erneuerbaren im Jahr 2019 produziert haben. 

Und da haben wir noch gar nicht über die ganz großen Sektoren geredet, die ebenfalls dekarbonisiert, das heißt, auf umweltfreundliche Energien umgestellt werden müssen: der Straßen- und Schiffsverkehr, die Schwerindustrie, die Wärmeversorgung der Haushalte und auch die exponentiell wachsenden Datenströme der IT-Industrie. Das „heute-journal“ des ZDF erschreckte seine Zuschauer im Juli mit einem Kurzbeitrag, in dem es hieß: „Um den künftigen deutschen Bedarf an grünem Wasserstoff zu decken, müsste man Wind­räder auf einer Fläche bauen, die größer ist als Rheinland-Pfalz und das Saarland zusammen.“ Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) geht dennoch unbeirrt davon aus, der künftige Bedarf könnte problemlos auf heimischem Boden gedeckt werden, wenn man Agrarflächen mit Fotovoltaikmodulen überdachen würde.

Klientelinteressen und Politikillusionen

Die Klimaziele werden immer ehrgeiziger. Gleichzeitig schrauben Politiker und Heerscharen von Experten die Erwartungen an die Verfügbarkeit klimaneutraler Energiequellen immer höher. Das eine folgt aus dem andern. Die Erneuerbaren scheinen als Lastesel über grenzenlose Kapazitäten zu verfügen. Die Bundesregierung selbst blieb sehr lange Aussagen darüber schuldig, wie und wo diese unvorstellbaren Mengen an CO2-freier Energie erzeugt werden sollen. Der Bundesrechnungshof kritisiert das schon seit vielen Jahren. Ende 2018 gab dessen Präsident, Kay Scheller, einen Sonderbericht heraus, in dem er vor allem mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hart ins Gericht ging. Scheller stellte fest: Für die Klimaziele der Regierung gebe es eine Fülle von Daten, aber für die Kriterien Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit keinerlei nachvollziehbare Vorgaben. „Hier stehen wir im Nebel.“ Schellers Fazit: „Der enorme Aufwand, der für die Energiewende betrieben wird, steht in krassem Missverhältnis zu dem bisher dürftigen Ertrag.“ 

Auch die Wirtschaftsweisen geißelten im vergangenen Jahr die deutsche Energiewende als „kleinteilig und ineffizient“. Ministerpräsident Söder (CSU) beschwerte sich kürzlich öffentlich darüber, dass es „seit Jahren kein durchgerechnetes energiepolitisches Konzept“ gebe. Aber wo war der bayerische Umweltminister Markus Söder, als all die nicht durchgerechneten Konzepte im Bundesrat beschlossen wurden? Er war in Deckung gegangen vor der geballten Lobby grüner Umwelt- und Wirtschaftsverbände, die keine Ruhe gaben, bis die Renditeerwartungen ihrer Klientel erfüllt wurden. 

Das Bundesumweltministerium (BMU) kalkulierte gar noch im vergangenen Jahr mit langfristig sinkendem Energieverbrauch. Bis 2050 sollte er, wie erwähnt, sogar halbiert werden. Kraft-Wärme-­Kopplung, energetische Gebäudesanierung und sparsamere Leuchtmittel verhießen stetige Effizienzgewinne. Stolz präsentierte man Schaubilder, die zeigen, wie sich der Verbrauch vom BIP-Wachstum abgekoppelt hat; sie zeigen aber auch, dass der Rückgang viel geringer ist als erhofft. Die Auto­industrie kennt das schon: Ihre Motoren werden immer effizienter, da aber immer größere Schleudern verkauft werden, sinkt der Flottenverbrauch kaum. Man nennt das Rebound-Effekt. 

Dass die Emissionen der Kraftwerke so langsam sinken, ist auch kein Wunder: Seit „Fukushima“ wurden zwar elf Kernkraftwerke abgeschaltet, doch zehn neue Kohlekraftwerke in Betrieb genommen. „Ja, nicht nur Chinesen tun so etwas“, rief kürzlich ein erboster Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, auf dem Youtube-­Kanal „Jung & Naiv“.

Noch immer zu wenig Strom?

Erst mit dem neuen EEG hat sich die Bundesregierung von der Illusion, den Energiehunger langfristig halbieren zu können, still verabschiedet. Sie rechnet nun für die Mitte der dreißiger Jahre mit einer leichten Steigerung des Strombedarfs von 600 auf 650 Terawattstunden im Jahr. Das wirklich Neue am neuen EEG aber ist, dass es erstmals haarklein auflistet, welche Kapazitäten dafür in den kommenden zehn Jahren geschaffen werden müssen. Bei den Vorläufern der Novelle ging es überwiegend um Vergütungssätze für die Erneuerbaren, um ihre Integration in die Netze (Vorrangregelung) und den Strommarkt (Börse), um Ausgleichsregelungen für energieintensive Betriebe und immer auch um die Begrenzung des Zubaus, um die im Strompreis enthaltene EEG-Umlage nicht ins Uferlose steigen zu lassen. Jetzt steht im Gesetz, wie viel erneuerbare Leistung Jahr für Jahr hinzukommen muss, damit das aktuelle Ziel – 65 Prozent Anteil am Stromverbrauch – 2030 erreicht wird. Koste es, was es wolle.

Die Frage ist: 65 Prozent von wie viel? Altmaiers Ausbaupfad steht und fällt damit, dass der Strombedarf in den nächsten zehn bis 15 Jahren wirklich nur minimal wächst. Experten der Deutschen Energie-Agentur und der Denkfabrik Agora Energiewende erwarten dagegen einen deutlich höheren Strombedarf, schon wegen der Elektrifizierung des Verkehrs und der Wasserstoffstrategie. Der Stuttgarter CDU-Abgeordnete Stefan Kaufmann, seit Juli „Innovationsbeauftragter“ des Forschungsministeriums für grünen Wasserstoff, hält es sogar für realistisch, dass der Strombedarf bis 2050 auf 1000 Terawattstunden steigt. Die Gutachter dreier Technikakademien, auf die er diese Erwartung stützt, empfehlen jährliche Zubauraten von acht bis zwölf Gigawatt. Geplant sind in den kommenden zehn Jahren aber nur je fünf Gigawatt für Fotovoltaik und etwa 1,7 Gigawatt für Windkraft. Nicht genug für das 65-Prozent-Ziel. 

Kaufmann hält es denn auch für ausgeschlossen, dass der wachsende Bedarf durch heimische Produktion gedeckt werden könnte: „Das Potenzial für erneuerbare Energie in Deutschland ist begrenzt. In Zukunft wird Stahl in Deutschland entweder mit grünem Wasserstoff produziert oder gar nicht.“ Der Großteil des Wasserstoffs werde voraussichtlich importiert werden müssen, sagt er, und zwar aus wind- und sonnenreichen Regionen Afrikas oder Australiens. 

Die Deutschen sind schon längst keine Klimavorbilder mehr

Die Idee, aus Nordafrika Solarstrom statt Öl zu importieren, ist mindestens 30 Jahre alt. Unter dem Namen Desertec nahm sie einmal sogar Gestalt an. Ein deutsches Konsortium aus Energieversorgern und Banken wollte 2009 massiv in den Maghreb-Staaten investieren. Mangels politischer Unterstützung verlief die Initiative jedoch im Wüstensand. Die Grünen waren nicht interessiert; Konzerne gehören nicht zu ihrer Klientel. Auch Union und SPD wollten lieber Arbeitsplätze in Deutschland subventionieren. Erst die späte Einsicht, dass die Industrie ohne Wasserstoff keine Zukunft in einem CO2-neutralen Deutschland hätte, ließ die Desertec-Idee als Wasserstoffstrategie wieder auferstehen. Jetzt sind alle begeistert dabei: Das Bundesforschungsministerium sieht darin „eine Jahrhundertchance für deutsche Systemdienstleister und Technologieausstatter“; der Entwicklungshilfeminister beteiligt sich als „Impulsgeber einer nachhaltigen Entwicklung des Kontinents, der Wachstum und Beschäftigung mit globalen Klimaschutz“ vereinen möchte. 

An Gutachten und Berechnungen, die den Weg zur Klimaneutralität bis 2050 vorzeichnen, hat nie Mangel geherrscht. Technisch sei das sogar zu vertretbaren Kosten machbar, sagt etwa eine neuere Studie des Forschungszentrums Jülich. Aber auf die Wissenschaftler, die solche Berechnungen anstellen, hat die Regierung in der ersten Halbzeit viel weniger gehört als auf Lobbyverbände der Wind- und Fotovoltaik-Industrie und deren parlamentarischen Arm, die Grünen. 

Noch immer sieht sich Deutschland in der Rolle des weltweiten Musterknaben der Klimapolitik. In Wahrheit haben wir diese Vorreiterrolle längst eingebüßt. Andere haben mit weniger Aufwand mehr erreicht. Großbritannien etwa hat noch 2012 40 Prozent seines Stromes auf Kohlebasis produziert. Seit diesem Jahr kommt es ganz ohne Kohle aus. Wir veranschlagen noch 18 Jahre und 40 Milliarden Euro für den sogenannten Kohlekompromiss, um so weit zu kommen. Allerdings haben es die Briten nicht für ratsam gehalten, gleichzeitig aus der Kernenergie auszusteigen. Um ihre Grundlast zu sichern und ihre Klimabilanz zu verbessern, lassen sie bis auf Weiteres 15 Atommeiler weiterlaufen. Auch die Briten haben – nach dem Vorbild des deutschen EEG – der Windindustrie Preisgarantien und Einspeisevorrang garantiert. Die Vergütungssätze aber wurden viel schneller zurückgefahren. Selbst Offshore-Windplantagen finanzieren sich dort inzwischen selbst. So zahlen die Briten weniger als halb so viel für die Erneuerbaren wie wir. 

Das wohl teuerste Energiewendeprogramm der Welt

Überall, wo konventionelle Kraftwerke wegen des Einspeisevorrangs der Erneuerbaren ständig abgeregelt und gleichzeitig mit steigenden CO2-Preisen belastet werden, ist die Steinkohle als Energieträger unrentabel geworden – auch in Deutschland. Die Betreiber der Kohlekraftwerke stehen Schlange bei der Bundesnetzagentur, um die Genehmigung für das Abschalten ihrer Anlagen zu erhalten. Vattenfall hat jüngst die Stilllegung des erst fünf Jahre alten Kohlekraftwerks Moorburg in Hamburg beantragt, weil selbst mit modernster Technik kein Geld mehr verdient werde. Diese Entwicklung könnte den immer noch mehr als hundert großen und kleinen Kohlekraftwerken lange vor 2038 das Feuer ausblasen. Wenn sie so bald nicht durch Erneuerbare ersetzt werden können, bleiben wir so dringend auf russisches Gas angewiesen wie das Baby auf die Mutterbrust. Warum sonst hängt die Regierung so an Nord Stream 2?

Stand der Dinge ist: Deutschland hat das wohl teuerste Energiewendeprogramm der Welt – und das ineffizienteste. So fallen wir immer weiter hinter andere Länder zurück. Statt es dem Markt zu überlassen, den Energiebedarf mit der jeweils saubersten und günstigsten Technik zu decken, setzte die Regierung auf Planwirtschaft. Sie erfand Förderprogramme, die nicht abgerufen werden, sie subventionierte Techniken, die keine Förderung brauchen, machte Vorgaben, die sich als unerfüllbar herausstellen. So wurde Deutschland zum Weltmeister bei der Förderung erneuerbarer Energien und zum Nachzügler in Sachen Klimaschutz. Mit dem 2019 verabschiedeten „Klimapaket“ hat Deutschland zwar endlich als marktwirtschaftliches Instrument die CO2-Bepreisung für Verkehr und Gebäude eingeführt, kann es aber immer noch nicht lassen, mit genauen Vorgaben für die einzelnen Sektoren steuernd einzugreifen. 

Die Energiewende ist die deutsche „Mondlandung“, in finanzieller Hinsicht dem Unternehmen Deutsche Einheit durchaus vergleichbar. So wie die Amerikaner von Kennedys „Wettlauf zum Mond“, waren viele Deutsche fasziniert vom Gedanken, Atomkraft durch ökologisch unbedenkliche Energie zu verdrängen – und geblendet von dem Motto: „Die Sonne schickt uns keine Rechnung.“ Für die Grünen das ultimative Gewinnerthema. Es bescherte ihnen Zulauf von Wählern und starken Rückhalt der Branche, die sie protegierten. Die Kehrseite ist, dass sie die Rendite-Interessen ihrer Klientel mit den Klimazielen in eins setzten. Hätte von Anfang an der Klimaschutz Vorrang gehabt, wäre zuerst ein Preis für CO2-Emissionen das Mittel der Wahl gewesen und erst dann das Fördern von Wind- und Solaranlagen. Weil wir den umgekehrten Weg eingeschlagen haben, sind 30 Jahre vergangen, in denen viel Geld für geringe Erfolge beim Vermindern der Treibhausgase ausgegeben wurde. Die Freitagsdemonstranten sind zu Recht ungeduldig geworden. Wenn sie erkennen, warum es so gekommen ist, könnte es in der zweiten Halbzeit zügiger vorangehen.

Diesen Text finden Sie in der November-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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