Energieversorgung - Woher will Deutschland Gas bekommen? „Es gibt keine echte Strategie“

In der Gaskrise klappte es kurzfristig, russische Lieferungen zu ersetzen. Auch dank Fracking-Gas aus den USA. Doch der Bundesrepublik fehle eine langfristige Strategie, woher der Energierohstoff künftig kommen soll, warnt Timm Kehler, Chef des Branchenverbandes Zukunft Gas.

Ein als schwimmendes Terminal für Flüssigerdgas (LNG) gedachtes Spezialschiff im Hafen von Mukran (Rügen) / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Timm Kehler ist Vor­stand und Ge­schäfts­füh­rer von Zukunft Gas, des Ver­bands der deut­schen Gas­-Wirt­schaft.

Herr Kehler, Anfang Februar hat US-Präsident Joe Biden angekündigt, beim Export von Flüssiggas zu bremsen. Müssen wir uns in Deutschland deshalb Sorgen machen?

Wichtig ist erst mal, Bidens Entscheidung einzuordnen. Es ist ein Moratorium für neue Genehmigungen. Hier geht es um Projekte, die in der sogenannten dritten Welle der LNG-Exporthäfen aufgebaut werden sollten und nun auf den Prüfstand gestellt werden. Das amerikanische Moratorium hat also keine unmittelbaren Effekte auf die aktuelle Versorgungslage Deutschlands und wird hoffentlich dazu führen, dass nach der Prüfung diese dritte Welle umgesetzt wird.

Was würde passieren, wenn das nicht geschieht?

Dann würden wir in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts durch steigende Preise auf den Weltmärkten spüren, dass das Angebot der Amerikaner knapp wird. Denn nicht nur durch den Kohleausstieg in Deutschland und anderen europäischen Staaten, sondern vor allem auch durch das Wirtschaftswachstum in Asien werden die weltweiten LNG-Bedarfe deutlich steigen. Davon gehen sämtliche internationale Szenarien aus.

Die zweite Hälfte des Jahrzehnts beginnt 2025. So weit entfernt ist das nicht. Spürt man auf den Märkten allein durch Joe Bidens Ankündigung schon Reaktion?

Wir sehen keinerlei Effekte in den kurzfristigen Handelspreisen. Diesen Monat hatten wir im Vergleich zur Entwicklung der letzten zwei Jahre weiterhin ein sehr niedriges Niveau. Wir kommen also auch preislich aus der Krise heraus. Und die Ankündigung des amerikanischen Präsidenten hat auf den Märkten keine Verwerfungen ausgelöst, schon gar nicht in der Form, wie wir es vor zwei Jahren gesehen haben, als Putin faktisch die Gashähne zugedreht hat. Wir erwarten allerdings, dass sich höhere Preisniveaus abzeichnen können, wenn sich das Moratorium konkret materialisiert, also tatsächlich Genehmigungen verweigert werden. Aber das ist heute noch nicht absehbar.
 

Timm Kehler /  Lotte Ostermann/Zukunft Gas

Vermuten Sie, es handelt sich nur um einen Wahlkampfgag von Joe Biden?

Es ist jedenfalls sehr viel Wahlkampf mit dabei. Joe Biden hat Druck von Umweltschützern innerhalb und außerhalb seiner Partei bekommen. Auslöser ist eine Diskussion über die Methanemissionen der Flüssigerdgas-Terminals. Methan ist der chemische Grundstoff von Erdgas und hat die unangenehme Eigenschaft, dass es, wenn es in die Atmosphäre entweicht, dort 28 mal so stark zur Klimaerwärmung beiträgt wie CO2. Das heißt, die Methanemissionen führen zu einem beschleunigten Klimawandel. Deswegen ist der Fokus auf die Reduktion dieser Emissionen von großer Bedeutung. Wir brauchen dafür klare Regeln, dann können wir als Branche das Problem relativ schnell lösen. Denn technisch lassen sich die Methanemissionen gut in den Griff bekommen.

Wie kommt es zu diesen Emissionen? Wo entstehen sie?

Das ist unterschiedlich. Es gibt diffuse Emissionen, die man nicht genau zuordnen kann. Die größten weltweiten Emittenten sind der Agrarsektor und die Abfallwirtschaft, gefolgt von der Kohleförderung. In der Öl- oder der Gaswirtschaft kann Methan beispielsweise auch an Punktquellen entweichen, etwa durch Havarien, vielleicht auch durch fehlende Wartung. Methan sieht man nicht und riecht man nicht. Es ist ungiftig und kann zum Beispiel  mit Infrarotkameras sichtbar gemacht werden. Daher fällt es nicht auf, wenn es entweicht. Zudem wird manchmal das Gas einfach in die Luft entlassen, wenn eine Pipeline gewartet wird. Das sind alles Dinge, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, die aber nun in Europa durch die Methanregulierung beendet werden. Und in den USA gibt es bereits konkrete Vorhaben, die bestehende Regulatorik weiterzuentwickeln. Dort soll eine Methansteuer die Emissionen eindämmen.

Sie gehen also davon aus: Wenn man diese Probleme regulatorisch in den Griff bekommt, werden auch die USA wieder neue LNG-Exportkapazitäten zulassen. Schon aus eigenem wirtschaftlichen Interesse.

Die USA sind durch die Krise der wichtigste Erdgaslieferant für Europa geworden, gleichzeitig sind wir Europäer deren wichtigste Abnehmer geworden. Es kam zu einer gegenseitigen deutlichen Aufwertung der Geschäftsbeziehungen. Das Ganze ging sehr schnell, weil die Amerikaner große Kapazitäten hatten, die für die Krise flexibel bereitgestellt werden konnten. Jetzt kommen wir in die nächste Phase, dass diese sehr krisenorientierte, kurzfristige Lieferung von Gas in Langfristbeziehungen umgewandelt wird. Deshalb wird der Fokus deutlich stärker darauf gelegt, wie Umweltaspekte des Produktes besser gestaltet werden können. Die europäischen Einkäufer von LNG machen gegenüber ihren Handelspartnern in den USA deutlich, dass entsprechende Nachweise notwendig sind. Denn niemand will hier ein Produkt, das nicht das Versprechen erfüllt, dass damit weniger klimaschädliche Emissionen als mit Kohle entstehen.

Welcher Anteil unseres Erdgases kommt momentan aus den USA?

Auf Europa bezogen sind es ungefähr zwölf Prozent.

Und in Deutschland?

Das ist schwer zu greifen, weil wir immer nur an den Grenzen Europas nachschauen. Und dann wird das Erdgas innerhalb von Europa hin- und hergeschoben. In Deutschland bekommen wir sehr viel Gas aus Belgien und Holland. Aber gerade die Niederlande sind neben Großbritannien und Frankreich der wichtigste Handelspartner für US-Energie. Dort sind die Häfen, in denen das LNG ankommt. Egal, ob es in England oder in Frankreich angelandet wird, kommt es dann in das europäische Verbundnetz und wird dort relativ frei gehandelt.

Und dem einzelnen Molekül sieht man seine ursprüngliche Herkunft vermutlich nicht an.

Nein, das sieht man nicht. Wichtig ist noch darauf hinzuweisen: Unser mit Abstand wichtigster Handelspartner ist Norwegen. Ungefähr 27 Prozent des in Europa verbrauchten Gases kommen von dort. Das ist die tragende Säule der europäischen Gasversorgung. Und das liegt vor allem daran, dass die sonstige Gasproduktion in Europa zurückgegangen ist. Wir hatten früher sehr große Quellen in Großbritannien, in den Niederlanden und auch in Deutschland. Die gehen allesamt fast gegen Null, sodass wir zunehmend auf Importe angewiesen sind.

Zurück in die USA: Es gab auch die Interpretation, dass Bidens Entscheidung weniger mit Umwelt- und Klimaschutz zu tun hat, sondern damit, dass er den heimischen Gasmarkt vor Preissteigerungen schützen will, die durch die steigende Nachfrage aus Europa ausgelöst werden.

Zum einen geht der Export aus den USA auch nach Asien. Es ist nicht nur Europa, das die Nachfrage stimuliert. Zum anderen ist der Anteil der Exporte am gesamten amerikanischen Gasmarkt vergleichsweise gering. So beherrscht dieses Thema zwar die politische Debatte, es wird aber von Ökonomen eher unkritisch beurteilt. Wir haben in den USA Gaspreise, die bei einem Drittel oder sogar Viertel der europäischen Gaspreise liegen. Das heißt, der Effekt ist, wenn er überhaupt existiert, vernachlässigbar. Dennoch ist das politische Argument dahinter ernst zu nehmen. Denn es hat sich in relevanten Teilen der demokratischen und der republikanischen Wählerschaft verfestigt.

Müssen wir aus Gründen der Gasversorgungssicherheit auf einen Wahlsieg Donald Trumps hoffen?

Barack Obama hat den amerikanischen Gasmarkt für den Export geöffnet. Sein Nachfolger Donald Trump hat diese Entwicklung weiter befördert, das ist sicher eine gute Ausgangslage. Aber ich mache mir bei einer erneuten Wahl Trumps wesentlich mehr Sorgen um die Unterstützung der Ukraine. Sie sprechen jetzt zwar mit dem Chef des Gasverbandes, aber wir sollten die Sicherheitslage Europas nicht nur aus der Froschperspektive der Gasversorgung betrachten.
 

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Aus der größeren Perspektive betrachtet ist klar, dass es ein Fehler war, sich zu sehr von einem Gaslieferanten, nämlich Russland, abhängig zu machen.

Obwohl wir seit zwei Jahren sehr intensiv die Versorgungssituation Europas und Deutschlands verbessern, gibt es keine echte Strategie, mit wem wir langfristig zusammenarbeiten und wie wir die Versorgung diversifizieren wollen. Wir hatten eigentlich lange den Grundsatz gehabt, nicht mehr als 25 bis 30 Prozent von einem Partner zu bekommen, um schädliche Abhängigkeiten zu vermeiden und als Einkäufer in einer guten Position zu sein. So, dass man zwischen Anbietern wählen kann und so auch in eine gute Preisposition kommt. Wir sehen derzeit nicht, dass es politische Bestrebungen gibt, hier eine langfristig angelegte Diversifikationsstrategie voranzubringen.

Hängt das damit zusammen, dass die Bundesregierung bei langfristigen Lieferbeziehungen bremst, weil sie von Erdgas zu Wasserstoff kommen möchte?

Wir beobachten eine spürbare Zurückhaltung, was das Abschließen von Langfristverträgen anbetrifft. Aufseiten der europäischen Händler und der Anbieter von Gas gibt es natürlich ein großes Interesse, solche Langfristverträge einzugehen. Denn die Förderung und Verflüssigung von Erdgas ist kapitalintensiv. Dafür braucht man eine langfristige Sicherheit, die durch günstigere Preise belohnt wird. Kurzfristhandel heißt immer, dass man volatilen Preiserhöhungen ausgesetzt ist und tagesaktuell reagieren muss. Aktuell funktioniert das gut, aber es kann sich auch schnell in eine andere Richtung wenden.

Welche Rolle spielt dabei die Bundesregierung?

Die Perspektive, dass in Deutschland ab 2045 keine CO2-Emissionen mehr entstehen, führt natürlich zu einer Beschränkung in den Handelsbeziehungen. Erschwerend kommt hinzu, dass wir mögliche klimaneutrale Nutzungen von Erdgas derzeit nicht erschließen. Ganz konkret im Bereich CCS. Das wäre eine Langfristperspektive, um auch über blauen Wasserstoff Langfristverträge abzuschließen.

Sie meinen, dass man Erdgas in Wasserstoff umwandelt und das dabei entstehende CO2 unterirdisch speichert.

Genau. Das ist nach jetzigem Stand in Deutschland verboten. Mit den kürzlich veröffentlichten Eckpunkten der CCS-Strategie sehen wir hier Lockerungen. Die Gefahr sehe ich allerdings, dass die Diskussionen wieder so lange brauchen, dass wir von europäischen Nachbarn abgehängt werden und hier keine echte Entwicklung stattfindet.

Wäre es nicht auch sinnvoll, dass man die politischen Willensbekundungen der Realität anpasst und sagt: Wir brauchen Erdgas eben doch noch deutlich länger?

Wenn das Ziel Klimaneutralität im Jahr 2045 ist, heißt das im Umkehrschluss, dass bis 2044 weiterhin CO2 emittiert wird. Und wenn man es klug macht, entsteht die letzte Tonne CO2, die wir emittieren, aus der Verbrennung von Erdgas und nicht aus der Verbrennung von Kohle. Denn da bekommen wir mehr Energie pro CO2 heraus. Dieser Zusammenhang sollte auch handlungsleitend für politische Strategien sein. Stattdessen wird derzeit über sehr kurzfristige Ausstiegsszenarien aus dem Erdgas gesprochen, die die bestehende Unsicherheit der Industrie noch verstärken. Ein Stopp der Gaslieferungen Mitte nächsten Jahrzehnts wäre für viele Industriebetriebe fatal. Wir sehen jetzt schon, dass die energieintensive Industrie ihre Produktionsleistung um 20 Prozent reduzieren musste. Die Energiepreise führen also bereits zu einer Deindustrialisierungsbewegung, die durch weitere Einschränkungen des Energieangebots beschleunigt würde.

Was ist mit der Gasförderung im eigenen Land? Wie sehen Sie die Chance, in Deutschland damit voranzukommen?

Derzeit sind fünf Prozent unserer Gasversorgung durch heimische Produktion gedeckt. Das war in der Vergangenheit schon mal deutlich mehr. Die geologischen Reserven sind da. Nur wir haben derzeit keinerlei Möglichkeiten, sinnvoll und mit entsprechender Akzeptanz gesegnet Bohrungen auszubringen. Es gibt auch keinen Akteur, der das ernsthaft voranbringen will, weil sich das politische Risiko in ein zu starkes wirtschaftliches Risiko übersetzt. Zudem kommt jetzt mit dem Verkauf von Wintershall Dea der wichtigste heimische Player in der Erdgasförderung in ausländische Hände, womit auch viel technologisches Knowhow verloren geht.

Dabei wäre das Problem der Methanemissionen bei Gas aus Deutschland doch deutlich geringer.

Ja, weil die Transportkette deutlich kürzer ist. Wir müssen das Gas nicht verflüssigen. Es wäre in jedem Fall auch kostengünstiger, weil die Logistik wegfällt. Das sind alles Argumente, die für die heimische Förderung sprechen. Also die Reserven sind da, sie könnten uns lange begleiten. Schritt für Schritt sollte man es vielleicht schaffen, das weiter auszubauen. Denn es ist nicht ganz nachvollziehbar, weshalb wir jetzt versuchen, in anderen Ländern sehr viel Förderung auszulösen, obwohl wir es im eigenen Land eigentlich auch machen könnten.

Das Gespräch führte Daniel Gräber.

 

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