Deutsche Handelsbilanz im Minus  - Der späte Sieg von Donald Trump 

Infolge des Ukraine-Krieges ist Deutschland in eine Energiekrise geraten, die - unter anderem wegen steigender Energieimporte aus den USA - die Handelsbilanz insgesamt ins Minus zieht. Außerdem will die Bundesregierung auf Nord Stream 2 verzichten und das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen. Gleich drei Wünsche von Ex-Präsident Trump gehen damit in Erfüllung.

Was Angela Merkel ihm nicht liefern wollte, besorgt jetzt die Ampel-Regierung / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Was war die Verwunderung und Aufregung in den deutschen Feuilletons groß, als Donald Trump in seinem ersten Präsidentschaftswahlkampf auf die Botschaft „America first“ setzte. Was in hiesigen Ohren ein wenig nach „Deutschland, Deutschland über alles“ klang, hat dort allerdings eine lange, politisch anschlussfähige Tradition. Schon im Ersten Weltkrieg versuchte Woodrow Wilson mit denselben Worten zu begründen, warum die USA neutral bleiben und sich aus den Kampfhandlungen besser heraushalten sollten. 

Mit Blick auf Deutschland machten Trump vor allem zwei Dinge zu schaffen: hohe Handelsbilanzdefizite und die Weigerung, sich an die Nato-Vereinbarung zu halten, dass zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung für den Verteidigungshaushalt zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Logik Trumps war für einen konservativen Präsidenten, der sich zunächst seinem eigenen Land verpflichtet fühlt, gar nicht so absurd: Er wollte nicht länger zusehen, wie sich Deutschland auf Kosten der USA eine goldene Nase verdient und zugleich seine Sicherheitskosten auch noch auf die Weltmacht abwälzt. 

Und das hat auch ganz handfeste geopolitische Gründe. Sieht man sich die Fundamentaldaten des deutschen Außenhandels aus den letzten Jahrzehnten an – und zwar gegenüber den Großmächten USA, China und Russland –, ergibt sich folgendes Bild: Seit über 30 Jahren sind die USA der große Verlierer. Allein im letzten Jahr erwirtschaftete Deutschland gegenüber den USA einen Exportüberschuss von fast 60 Milliarden US-Dollar – Tendenz steigend. Gegenüber China ist die Lage umgekehrt. Der rote Riese verdiente im Außenhandel mit Deutschland ungefähr 45 Milliarden US-Dollar – Tendenz steigend. Und auch Russland profitierte in den letzten Jahrzehnten zuverlässig von Exporten nach Deutschland: vor allem durch Rohstoffe und Energielieferungen.

Auf einmal will auch die SPD die Bundeswehr aufstocken

Wenn man Außenpolitik, wie überall auf der Welt üblich, zunächst vom Standpunkt des eigenen Interesses aus betrachtet, kann man für Trumps Position also Verständnis haben: Während Deutschland seine Arbeitslosigkeit de facto in die USA exportierte und umgekehrt die Konkurrenten China und Russland pamperte, sollte Uncle Sam weiterhin schön Deutschlands und Europas Schutzmacht bleiben, auf eigene Kosten versteht sich. 

Für die deutsche Linke aber stehen meist Werte und nicht Interessen im Zentrum außenpolitischer Bemühungen. Die SPD weigerte sich seinerzeit mit Händen und Füßen dagegen, den Wehretat aufzustocken. Der damalige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erteilte entsprechenden Forderungen eine klare Absage: „Es wird keine Aufrüstung nach den Wünschen von Trump geben. Das ist mit der SPD nicht zu machen.“ 

Heute ist Klingbeils Antimilitarismus ebenso passé wie die Diskussion über das Zwei-Prozent-Ziel. Das, was mit der „SPD nicht zu machen“ sei, hat sie unter einem sozialdemokratischen Bundeskanzler und einem 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen mit einem „Wumms“ herbeigeführt.  

Als hätte es kein Gestern gegeben, fordert heute der neue SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil, Deutschland müsse zur internationalen „Führungsmacht“ aufsteigen und Europa sich an der Seite der USA geopolitisch klug gegenüber Russland und China positionieren. Mit Blick auf die Bundeswehr, die er auf keinen Fall „aufrüsten“ wollte, sagte er neulich auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung zu sicherheitspolitischen Debatten der Vergangenheit sogar: „Man hatte fast den Eindruck, je weniger Bundeswehr es gibt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit eines Krieges. Das genaue Gegenteil ist der Fall.“ Je mehr potenzieller Krieg also, desto wahrscheinlicher der Frieden! Dass ausgerechnet Wladimir Putin den Nachfolger August Bebels auf die Linie Donald Trumps zwingen wird, hätte der wohl selbst nicht für möglich gehalten. 

Weil Deutschland mehr Energie aus den USA bezieht, rutscht die Handelsbilanz ins Minus

Noch ein zweiter Traum Trumps könnte sich indes bald erfüllen. Erstmals seit Jahrzehnten, so teilte das Statistische Bundesamt diese Woche mit, ist die deutsche Handelsbilanz negativ. Wurde in jedem Mai eines Jahres vor Corona noch ein Überschuss von rund 20 Milliarden Euro verbucht, war es in diesem Jahr ein Defizit von fast einer Milliarde. Bereits im April 2020 kam der Handelsbilanzsaldo mit rund 3,7 Milliarden Euro der Nulllinie ziemlich nahe. Damals deutete aber noch nichts auf ein strukturelles Problem hin. Der Einbruch war das Ergebnis eines deutlichen, gleichgerichteten Rückgangs der Ex- wie Importe infolge der weltweiten Corona-Maßnahmen. 

Mit dem Krieg um die Ukraine aber haben sich die geopolitischen und wirtschaftsstrategischen Gewichte verschoben – zu Lasten Deutschlands. Das jüngste Außenhandelsdefizit ist dabei gar nicht das Ergebnis schwächelnder Exporte. Die wachsen im Trend moderat weiter an. Der bisherige Handelsbilanzüberschuss schmilzt durch steigende Importe dahin. Während Deutschland gegenüber den EU-Mitgliedstaaten noch immer einen Exportüberschuss von rund 6 Milliarden Euro erzielte, machte es mit Nicht-EU-Staaten einen „Verlust“ von knapp 7 Milliarden Euro. 

Dabei lässt insbesondere ein Wert aufhorchen: Allein im Mai 2022 stiegen gegenüber dem Vormonat die Importe aus den USA um ganze 9,7 Prozent an. Auch das ist die Konsequenz der energiewirtschaftlichen Wende der BRD infolge des Krieges um die Ukraine. Weil Deutschland mehr Energie aus den Vereinigten Staaten bezieht und die Preise deutlich steigen, rutscht die Handelsbilanz insgesamt ins Minus. Die Zeiten, in denen Deutschland mit Hilfe billiger russischer Energie Hochtechnologie in die USA verkaufen konnte, sind wahrscheinlich auf lange Zeit vorbei. Aber damit droht dem ehemaligen Exportweltmeister eine wesentliche Stütze seines Wohlstands verloren zu gehen.  

Man darf in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass Donald Trump noch etwas Drittes von Deutschland wollte: nämlich dass Nord Stream 2 gar nicht erst in Betrieb geht und Deutschland stattdessen amerikanisches Fracking-Gas kauft. Das hätte ja nicht nur auf Dauer das Handelsbilanzdefizit reduziert, sondern Deutschland geopolitisch auch abhängiger von den Vereinigten Staaten gemacht. 

Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato, die Reduzierung der amerikanischen Handelsbilanzdefizite gegenüber Deutschland – und die geopolitische Abhängigkeit Deutschlands von den Amerikanern durch Energielieferungen: Am Ende ist Deutschland wider Willen genau dort angekommen, wo Donald Trump es immer haben wollte – mit der Hilfe Wladimir Putins. 

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