Deutsche Einheit und Währungsunion - Am Anfang war das Geld

Heute vor 30 Jahren wurde in der DDR die D-Mark eingeführt. Bis heute hält sich die Erzählung, der Westen habe die Wirtschaft der DDR eigennützig zerschlagen. Dabei führte die Währungsunion maßgeblich zur heutigen Wohlstandsangleichung. Einer ihrer ersten Verfechter war Thilo Sarrazin.

Schönes neues Geld: Die Währungsunion sollte bald alle Illusionen über die D-Mark zerschmettern / picture alliance
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Eckhard Jesse ist emeritierter Politikwissenschaftler an der TU Chemnitz. 2014 hat er ein Buch über „Deutsche Politikwissenschaftler – Werk und Wirkung“ herausgegeben.

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Richard Schröder ist Philosoph und Theologe. Er ist Vorsitzender des Fördervereins Berliner Schloss. Schröder war 1990 SPD-Fraktionsvorsitzender in der frei gewählten DDR-Volkskammer.

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Nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 verließen DDR-Bürger in Scharen ihr Land. So groß die Freude des Einzelnen über die gewonnene Freiheit auch war, für die DDR wie für die Bundesrepublik Deutschland, die 1989 350 000 Übersiedler aufnahm, stellte sich die Situation dramatisch dar. Der Osten drohte auszubluten, der Westen überzulaufen.

Doch schon wenig später ließ der Drang, von der DDR in den Westen zu ziehen, spürbar nach. Wie kam es dazu? 30 Jahre später lässt sich feststellen, dass es seinerzeit vor allem die Währungsunion der beiden deutschen Staaten war, die die Massenflucht eindämmte. Sie führte außerdem dazu, dass inzwischen ungeachtet mancher – wesentlich kulturell bedingter – Spannungen zwischen Ost und West eine ökonomische Zufriedenheit dominiert: Die Arbeitslosenquote liegt im Osten nur wenig über der im Westen, das Wohlstandsgefälle ist merklich geschrumpft. Und es ziehen nun mehr Menschen in den Osten, als sie ihn verlassen.

Kaum jemand erinnert sich noch daran, wer die maßgeblichen Entscheider in den Tagen des deutsch-deutschen Chaos Anfang des Jahres 1990 waren. Drei Männer brachten damals die der Übersiedlerwelle Einhalt gebietende Währungsunion auf den Weg: ein Referatsleiter im Bundesfinanzministerium, der dortige beamtete Staatssekretär und der Finanzminister. Der damalige Referatsleiter ist heute bekannter als der Staatssekretär, und der damalige Staatssekretär ist bekannter als der einstige Finanzminister – zumindest gemessen an der Zahl der Nennungen bei Google. Sie alle wurden in den 1940er Jahren geboren, leben noch, und ihre Namen mögen manche überraschen: Es sind der Autor des umstrittenen Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“, Thilo Sarrazin als Referatsleiter, der spätere Bundespräsident Horst Köhler als Staatssekretär. Und der CSU-Politiker Theo Wai­gel als Minister.

Sarrazin wollte die schnelle Einheit

Sarrazin, Jahrgang 1945, von 1975 bis 1978 und dann wieder ab 1981 im Bundesfinanzministerium tätig, fungierte als Leiter des Referats „Nationale Währungsfragen“ innerhalb der Abteilung „Geld und Kredit“. Köhler, Jahrgang 1943, zuletzt Leiter dieser Abteilung, avancierte am 1. Januar 1990 als Nachfolger von Hans Tietmeyer zum beamteten Staatssekretär. Waigel, Jahrgang 1940, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, löste im April 1989 Gerhard Stoltenberg als Bundesfinanzminister ab.

Nicht gebremst von seinem Abteilungsleiter Gert Haller, der späteren rechten Hand Köhlers im Bundespräsidialamt, war es Thilo Sarrazin, der in drei Papieren – vom 21. Dezember 1989, vom 15. Januar und vom 29. Januar 1990 – den aufgrund der Übersiedlerwelle in den Westen wachsenden Handlungsdruck für die Bundesrepublik erkannt und schließlich für eine Währungsunion plädiert hatte, wie sie öffentlich bereits Ingrid Matthäus-­Maier (SPD) am 19. Januar als „Signal zum Bleiben“ empfohlen hatte. Zuvor war bloß von Stufenplänen die Rede gewesen. Die Konvertibilität der DDR-Währung müsse Schritt für Schritt erfolgen. Die Zeitpläne für die Schaffung einer einheitlichen Währung fielen unterschiedlich aus, reichten von zwei bis zehn Jahren.

Sarrazin, der allmählich von diesen Stufenplänen Abstand nahm, sah einer Währungsunion nur Erfolg im Zuge der deutschen Einheit beschieden. Diese musste als Beitritt gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes schnell verlaufen, nicht über den beschwerlichen Weg nach Artikel 146 durch eine neue Verfassung.

Warum verschweigt die SPD Sarrazins Beitrag?

Der Beamte gewann den Staatssekretär Horst Köhler für seine damals als kühn geltende Idee. Von ihm am 26. Januar 1990 erbeten, legte Sarrazin ein Grundsatzpapier zur schlagartigen Einführung der Währungsunion vor. Es enthielt bereits den späteren Umtauschkurs von 1:1 für Löhne. Ausgerechnet er, der spätere „Pfennigfuchser“, der als Berliner Finanzsenator (2002–2009) einen Haushaltsüberschuss erwirtschaften konnte, erachtete bei diesem Politikum die Finanzierungsfrage nicht als allein entscheidend.

Sein Resümee, im Rückblick ganz und gar nicht verkehrt, lautete wie folgt: „Der Skeptiker wird auf die Risiken des vorgeschlagenen Weges verweisen. Diese sind vorhanden. Insbesondere gibt es kaum eine Möglichkeit, vorher zuverlässig abzuschätzen, wie groß die Freisetzungen und Unternehmenszusammenbrüche im Industriesektor der DDR sein werden. Nach Ansicht des Verfassers werden sie groß, aber letztlich doch begrenzt sein und ein Übergangsproblem darstellen. Der stufenweise Weg wird dagegen fast mit Sicherheit durch die fortgesetzte Übersiedlung gerade der Tüchtigsten unterlaufen werden.“

Die Aussage Sarrazins vor nunmehr zehn Jahren („Bis zur Unterschrift unter den Vertrag zur Währungsunion lief ohne mich kein Schritt“) mag seinem etwas übersteigerten Selbstbewusstsein geschuldet sein, aber in der Tat ist die bedeutende Rolle des Referatsleiters unbestritten. Dieser brauchte freilich die Unterstützung des Staatssekretärs Köhler – und erst recht die des CSU-Ministers Theo Waigel.

Warum ist dies alles weitgehend unbekannt? Will die SPD die Rolle Sarrazins, den sie schon seit Jahren in Parteiausschlussverfahren aus ihren Reihen loszuwerden sucht, bei der deutschen Währungsunion herunterspielen? Und ist der Union wenig daran gelegen, den gewichtigen Beitrag eines Sozialdemokraten hervorzuheben? In den jüngst erschienenen Memoiren Theo Waigels kommt Sarrazin in einer Nebenrolle vor, anders als Köhler.

Lehrbücher kennen keine Revolutionen

Für den seinerzeitigen Einfluss Sarrazins spricht dessen weitere Laufbahn im Finanzministerium. Obwohl Sozialdemokrat, avancierte Sarrazin auf Wunsch Köhlers und entgegen Waigels anfänglicher Skepsis zum Leiter einer abteilungsübergreifenden Arbeitsgruppe für die Vorbereitung der deutsch-deutschen Währungsunion und nach der deutschen Einheit zum Leiter der Unterabteilung Treuhandanstalt, ehe er im Mai 1991 zum Staatssekretär im Finanzministerium des sozialdemokratisch regierten Landes Rheinland-Pfalz aufstieg. Im Standardwerk von Dieter Grosser über „Das Wagnis der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“ kommen Thilo Sarrazins und Horst Köhlers wegweisende Initiativen gebührend zum Ausdruck.

Das erwähnte Papier Sarrazins erhielten Köhler und Waigel, die ebenfalls auf Schnelligkeit drängten, am 29. Januar 1990. Kurz danach sprachen diese beiden mit Bundeskanzler Kohl, der trotz der Bedenken der Bundesbank und des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gegenüber einer solchen Währungsunion zwar Sympathien erkennen ließ, mit einer Stichtagslösung angesichts innen-, außen-, wirtschafts- und finanzpolitischer Risiken jedoch zunächst noch nicht an die Öffentlichkeit treten wollte.

Am 2. Februar 1990 begegneten sich Hans Modrow und Helmut Kohl beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos. Modrow schilderte ihm ungeschminkt die katas­trophalen Devisenprobleme – es sei prinzipiell sogar möglich, die D-Mark zur einzigen Währung der DDR zu machen. Am 13. Februar 1990 unterbreitete Helmut Kohl der DDR-Delegation unter Ministerpräsident Hans Modrow bei ihrem Besuch in Bonn dann den Vorschlag einer Währungsunion, nachdem er am 6. Februar eine solche öffentlich bereits vorgeschlagen hatte. Noch am 9. Februar erklärten die „fünf Weisen“ des Sachverständigenrats in einem Brief an den Bundeskanzler: „Eine Währungsunion, die sich nicht im Gleichschritt mit dem grundlegenden Umbau des Wirtschaftssystems der DDR vollzieht, verursacht lediglich Kosten, ohne die wirtschaftlichen Aussichten für die Menschen auf eine tragfähige bessere Basis zu stellen. Der Übersiedlerstrom lässt sich dadurch nicht dauerhaft eindämmen. Priorität muss daher die Wirtschaftsreform in der DDR haben, nicht aber die Währungsunion.“ Doch politischer Sachverstand, den das Finanzministerium walten ließ, übertrumpfte wirtschaftlichen. Sarkastisch kritisierte Kurt Biedenkopf die Ökonomen seinerzeit: „Revolutionen finden in Lehrbüchern nicht statt.“

Neubau oder Abbau der DDR?

Modrow hatte wie der „Runde Tisch“ eine – von Bonn wegen fehlender zukunftsfähiger Strukturen als derzeit nicht machbare – sofortige Solidarhilfe von 15 Milliarden für die DDR gefordert. Kohl wies das Angebot zwar keineswegs schroff zurück, erklärte aber, erst nach der Volkskammerwahl könne die Bundesregierung darüber befinden. Einigkeit bestand jedoch darin, eine Expertenkommission zu bilden. Sie nahm ihre Arbeit bereits am 20. Februar auf. Auf westdeutscher Seite stand Köhler an der Spitze der Delegation, mit Sarrazin als Berater, Walter Romberg von der SPD auf ostdeutscher, ein Minister ohne Geschäftsbereich, den Modrow erst kurz zuvor in seine „Regierung der nationalen Verantwortung“ geholt hatte. Im zunächst geheim gehaltenen Zwischenbericht vom 13. März hieß es, die Währungs- und Wirtschaftsunion, „gestützt durch einen Sozialverbund“, sei ein entscheidender Schritt zur staatlichen Einheit, ein rascher Übergang zur sozialen Marktwirtschaft vonnöten. Die Währungsumstellung habe dem Prinzip der Geldwertstabilität zu folgen. Konkrete Zeitangaben fehlten jedoch.

Nach der ersten und letzten demokratischen Volkskammerwahl am 18. März 1990 verlief alles wie im Zeitraffer. Die Expertenkommission trat gar nicht mehr zusammen, stattdessen eine Verhandlungsdelegation, um einen Staatsvertrag auszuarbeiten. Den Delegationsleitern – auf westdeutscher Seite Hans Tietmeyer (Köhler war nunmehr zuständig für Gespräche über die Europäische Währungsunion), auf ostdeutscher Günther Krause, Fraktionsvorsitzender der CDU, der auch beim Einigungsvertrag diese Position einnehmen sollte – diente ein von den Ressorts im Westen erstellter Rohentwurf. Ihnen gelang aufgrund des Zeitdrucks eine Einigung selbst in schwierigen Fragen. Der heikelste Punkt: die Frage der Währungsumstellung. Für Löhne, Renten und Mieten galt das Verhältnis 1:1. Hatte sich hier der Osten durchgesetzt, so war dies beim Wechselkurs von Guthaben und Schulden im Verhältnis 2:1 der Westen. Allerdings gab es einen nach dem Alter gestaffelten Sockelbetrag: 2000 D-Mark für Kinder bis 14 Jahre, 4000 D-Mark für Personen im Alter von 15 bis 59 und 6000 D-Mark für Personen ab dem 60. Lebensjahr, jeweils im Verhältnis 1:1.

Den „Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik“, mit dem der Schritt zur deutschen Einheit unumgänglich war, unterzeichneten die Finanzminister der beiden deutschen Staaten am 18. Mai 1990 in Bonn. Die Ratifizierung durch den Bundestag (mit 440 gegen 60 Stimmen vor allem der Grünen, das Konzept sei ein „Anbau der DDR“, kein „Neubau einer deutschen Republik“, ebenso von 25 Sozialdemokraten) und durch die Volkskammer (mit 302 gegen 82 Stimmen) folgte jeweils am 21. Juni 1990. Stimmten die PDS, die von einer „Unterwerfung unseres Landes“ sprach, und Bündnis 90/Die Grünen in der Volkskammer dagegen, wollte der damalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine den Staatsvertag im Bundestag ablehnen und ihn dann im Bundesrat passieren lassen. Doch konnte er sich mit seinem Vorschlag in der eigenen Partei nicht durchsetzen.

Währungsunion als TÜV für die DDR

Durch den Staatsvertrag, der am 1. Juli 1990 in Kraft trat, sank die Zahl der Übersiedler in den Westen deutlich. Gelangten in der ersten Hälfte des Jahres 1990 noch 240 000 Personen in den Westen, so kamen in der zweiten 110 000. Das diplomatische Geschick beider Seiten in großer Zeitnot bei diesem Kraftakt ist nicht hoch genug zu würdigen.

Die Währungsunion – dieser euphemistische Begriff ist insofern missverständlich, als es um die Abschaffung der DDR-Mark und die Einführung der D-Mark ging – war von den Ostdeutschen herbeigesehnt. Am 12. Februar skandierten die Leipziger Montagsdemonstranten, nicht lanciert durch den Westen: „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr.“ Das war die in Bonn ganz richtig so gedeutete Drohung mit dem Massenexodus. Der Massenansturm hatte ja bereits die Stimmung etwas kippen lassen. Und wenn die DDR ausblutete, weil vorzugsweise die Beweglichen gehen, wären dort erfolgreiche Reformen nicht mehr machbar. Derart starke Argumente für eine Währungsunion dienten auch zur Entlastung des Westens. Viele Ostdeutsche sahen die Dinge freilich weitaus simpler: Mit der D-Mark werden wir leben wie in der Bundesrepublik – dies die Sehnsucht von Ostdeutschen, die bis 1989 für circa vier Millionen Menschen durch Flucht, Übersiedlung oder Freikauf Erfüllung gefunden hatte. 

Aber so einfach war die Sache keineswegs, wenn man nicht mit einem Koffer „rüberging“, sondern das ganze Land mitbrachte: einschließlich verschlissener Industrieanlagen, verfallender Wohnhäuser sowie einer vernachlässigten Infrastruktur.

Für die DDR-Wirtschaft bildete die Währungsunion eine Art TÜV. Man fährt sein Auto zum TÜV und meint: Es fährt doch noch, also ist wohl nichts zu befürchten. Und dann kommt das vernich­tende Urteil: Verkehrssicher ist es nicht mehr. So erging es der DDR-Wirtschaft mit der Währungsunion. Unter der Käseglocke des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW beziehungsweise Comecon, sozusagen die Ost-EU) mit nicht konvertiblen Währungen und einer Abschirmung vom Weltmarkt funktionierte die DDR-Wirtschaft passabel. Und wer lediglich eine D-Mark für den Wert von 4,50 Ostmark zahlen musste, ließ in der DDR Kühlschränke bauen, die das Kaufhaus Quelle im Westen als billige, aber solide Ware verkauft hat.

Die DDR blickte nach Westen, nicht nach Osten

Nach der Währungsunion waren diese Kühlschränke weiterhin solide, jedoch nun teuer und unverkäuflich. Ganze 2 Prozent der DDR-Betriebe konnten vom Juli 1990 an sofort rentabel arbeiten. Allen anderen musste erst einmal durch Treuhandkredite das Überleben gesichert werden, wobei 30 Prozent der Unternehmen Pleite machten. Am Ende sind also doch die meisten DDR-Unternehmen gerettet worden, freilich mit spürbarer Reduktion der Beschäftigten. Wie führende Wirtschaftsfunktionäre der SED allzu gut wussten, „beherbergte“ die DDR-Wirtschaft in erheblichem Umfang überflüssige Arbeitskräfte, um das „Recht auf Arbeit“ ohne Rücksicht auf Verluste zu gewährleisten. Die Folge: eine sehr niedrige Arbeitsproduktivität.

Das Geheimgutachten von Gerhard Schürer, dem Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission beim Ministerrat der DDR, Egon Krenz am 30. Oktober 1989 zugeleitet, forderte deshalb für eine Wirtschaftsreform in der DDR (ohne deutsche Einheit!) den Abbau ökonomisch sinnloser Arbeitsplätze, zumal in der Verwaltung. Aufgrund der Herbstrevolution und des Mauerfalls unterblieb die Verwirklichung des radikal anmutenden Programms.

Der Reformbedarf wurde schließlich der Treuhandanstalt vor die Füße gekippt. Da Massenarbeitslosigkeit mit der Vereinigung einherging, machen viele Ostdeutsche bis heute die Bundesregierung dafür verantwortlich. Allerdings: In allen ehemals sozialistischen Ländern führte der Ausstieg aus Diktatur und Planwirtschaft durch ein Tränental – auch ohne Treuhand. Für die Ostdeutschen ließ sich diese Tortur durch eine sofortige Übernahme der westdeutschen Sozialleistungen erheblich abfedern. Das beeinflusste die Stimmung nicht, weil Ostdeutsche – hier deckte sich die Position der Machthaber mit jener der ihnen Unterworfenen – meist Richtung Westen und selten Richtung Osten schauen, vor wie nach der Einheit.

Lastenteilung zwischen West und Ost

Mit der Währungsunion brach der Westexport sofort vollständig zusammen. Auch die DDR-Bürger kauften fast nur noch Westwaren, obwohl die manchmal – jedenfalls bei Lebensmitteln – bloß eine attraktivere Verpackung hatten, nicht zwingend eine bessere Qualität. Westwaren konsumieren und Ostwaren produzieren, das konnte auf Dauer aber nicht funktionieren; schließlich brach der Osthandel ein, weil nun für Ostwaren Devisen nötig wurden. Ohne Währungsunion wäre dieselbe Situation ein halbes Jahr später eingetreten, denn im Januar 1990 hatte der RGW beschlossen, ab Januar 1991 den internen Handel auf Devisen umzustellen. Die Sowjetunion wollte für ihr Erdöl lieber Dollar als den schwachbrüstigen Transferrubel sehen. 

Der anfängliche Jubel vieler Ostdeutscher über die Währungsunion weckte freilich Illu­sionen: „Leben wie in der Bundesrepublik“, dies vermochte die D-Mark allein nicht zu bewirken. Nötig war außerdem zu produzieren, was auf dem Weltmarkt für D-Mark Absatz findet. Trotzdem gab es zur schnellen Währungsunion keine angemessene Alternative. Denn ansonsten hätte eine Ostmarkinflation die Sparguthaben entwertet und vorübergehend Altersarmut erzeugt. Und durch die beispiellose Währungsunion konnten die Ostdeutschen ihr weiteres wirtschaftliches Schicksal mit der Bundesrepublik verknüpfen. Modrows Vertragsgemeinschaft blieb ein Packen Papier.

Sezessionsgelüste, wie in einigen europäischen Staaten, sind in Deutschland nie entstanden. Ökonomisch ist die Angleichung zwischen Ost und West ganz erheblich fortgeschritten, zumal im Vergleich Ostdeutschlands mit anderen ehemals sozialistischen Ländern, selbst mit südeuropäischen. Die Beschäftigungsquote ist seit etwa zehn Jahren in Ost und West gleich hoch, bei starken regionalen Unterschieden. Niemand sollte einseitig Dankbarkeit fordern, das kränkt. Wir können durchaus von einer Lastenteilung sprechen. Kam vom Westen viel Hilfe, finanzielle und personelle, mussten Ostdeutsche die – oft harten – Umstellungslasten stemmen.

Was Kritiker vergessen

Mental knirscht es zwischen Ost- und Westdeutschen noch zuweilen. Einer der Gründe ist eine anhaltende Illusion über die Währungsunion. Manche Ostdeutschen wollen bis heute nicht wahrhaben, dass ihr sehnlichster Wunsch, die D-Mark sofort und zum Kurs 1:1, erst einmal sehr viele Arbeitsplätze kosten musste. Stattdessen machen sie die Treuhand für jene Folgen der Währungsunion verantwortlich, auf die sie gar keinen Einfluss hatte. Es heißt oftmals, der Westen habe die DDR-Ökonomie ruiniert, um sie als Konkurrenz auszuschalten. Was Kritiker dabei vergessen: Die SED hat die Industrie in einem Zustand hinterlassen, für den die Währungsunion zum Offenbarungseid wurde.

Die Lektüre des erwähnten Schürer-­Gutachtens, das die maroden Verhältnisse der DDR-Wirtschaft vor dem Mauerfall ungeschönt schildert, klärt auf: „Allein ein Stoppen der Verschuldung würde im Jahre 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25–30 Prozent erfordern und die DDR unregierbar machen. Selbst wenn das der Bevölkerung zugemutet würde, ist das erforderliche exportfähige Endprodukt in dieser Größenordnung nicht aufzubringen.“

Dieser Text ist in der April-Ausgabe des Cicero erschienen, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

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