EU-Corona-Bonds - Der Künstlertraum von der Schuldenunion

Die Rufe werden lauter, krisengebeutelten Ländern wie Italien mit Corona-Bonds zu helfen. Unterstützung in der Krise ist zweifelsohne notwendig. Aber was ist, wenn aus der Bitte um Solidarität ein Imperativ wird, wenn Abwägung als Verrat ausgelegt wird?

Sind Corona-Bonds der richtige Weg aus der Krise? / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es gehört zu den Absonderlichkeiten des aktuellen Kulturbetriebes, dass seine Vertreter – also all jene Schriftsteller, Künstler und Intellektuellen, die man im Jargon des ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaates als „Kulturschaffende“ bezeichnet – zwar permanent von Kreativität und der Infragestellung alter Gewissheiten reden, am Ende des Tages aber nur Althergebrachtes in der Endlosschleife reproduzieren.

Insbesondere ihre gesellschaftspolitischen Einlassungen sind so vorhersehbar und durchritualisiert, dass man sich wundert, dass die selbsternannten Kreativen sich dabei nicht selbst langweilen. Ein schönes Beispiel für die Berechenbarkeit unserer Querdenker lieferte das einschlägige Milieu am vergangenen Mittwoch, als man in der Süddeutschen Zeitung einen offenen Brief mit dem schmissigen Titel „Europäische Corona-Bonds jetzt!“ veröffentlichte.

Italien braucht unsere Unterstützung

„Initiator*innen“ des Briefes: der Autor Jörg Bong, der Verleger Helge Malchow und Regina Schilling, Kuratorin Literaturfestivals lit.COLOGNE. Um es vorwegzunehmen: Nein, auch ich bin dafür, Italien in dieser Krise nicht allein zu lassen. Italien befindet sich seit Wochen in einer überaus schwierigen Situation mit einem überforderten Gesundheitssystem, 14.000 Toten und einer kollabierenden Wirtschaft. Italien braucht unsere Unterstützung. Das ist eine Frage der Menschlichkeit und des Anstandes.

Und ja, das gilt insbesondere auch für uns Deutsche: Man kann nicht jedes Jahr zu Hunderttausenden über die Alpen fahren, den Italophilen geben samt Barolo, Montalcino, „dolce vita“ und „bella ciao“, im entscheidenden Moment aber die Hilfe versagen. Soweit die eine Sache.

Abwägen nicht erlaubt

In dem offenen Brief der Künstler und Wissenschaftler geht es jedoch um etwas ganz anderes. Es geht nämlich, so erfahren wir gleich im ersten Satz, „um alles“. Damit ist der Tonfall gesetzt und gleichzeitig die geistige Marschrichtung. Wenn es nämlich um alles geht, darf es keine Beschränkung, kein Zögern und vor allem keine Abstriche geben. Wenn es um alles geht, ist schon Abwägen Verrat.

Nur als „freie Staatsbüger*innen“ könnten wir der Krise begegnen, erfährt der Leser, wird allerdings, bevor er auf falsche Gedanken kommt, gleich darauf hingewiesen, wie er bitte schön mit dieser Freiheit umzugehen hat: zugunsten eines Maximums an Solidarität auf allen Ebenen.

Der ewige Grundreflex

Denn die Länder der EU müssen sich, so die Autoren, „maximal solidarisch“ verhalten, „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“. Beschworen wird die „konkrete, sofortige Solidarität“. Und schließlich gipfelt das hysterische Tremolo in der Forderung der Stunde „maximal stark zu sein: maximal solidarisch“. Europa, so wissen die Verfasser, „hat uns alles geben, was wir sind“ (!), jetzt sei es an der Zeit zurückzugeben – natürlich in Form von Corona-Bonds.

Es ist ein ewiger Grundreflex: Wann immer irgendwo in diesem Land, in Europa oder in der Welt ein Problem auftritt, ruft die hiesige Intelligenzija instinktiv nach dem Staat, genauer: nach dessen Geld und zwar „maximal“. Und genauso mechanisch versucht man mittels der verwendeten Rhetorik jede Form von Kritik daran, im Keim zu ersticken.

Die inflationäre Verwendung des Begriffs „Solidarität“

Schon die aufgeblasene und inflationäre Verwendung des Begriffs „Solidarität“ macht klar: Hier will niemand demokratisch diskutieren oder abwägen. Hier will jemand diktieren. Deshalb wird der eigene politische Standpunkt als der einzig moralisch legitime dargestellt. Denn jeder, der erwägt, anders zu handeln, erweist sich als unsolidarisch. Und wer unsolidarisch ist, der ist ein Unmensch. „Solidarität“ ist einer der missbrauchtesten und entwertetsten Begriffe des politischen Diskurses.

Im Grunde ist er zu einem Schlagwort politischer Romantik degeneriert. Wann immer er verwendet wird, gilt es hellhörig zu werden. Denn zumeist geht es dabei nicht um Zusammenhalt, sondern um die Durchsetzung einer politischen Agenda unter dem Deckmäntelchen großherziger Mitmenschlichkeit.

Diskussion muss möglich sein

In diesem konkreten Fall: der vertragswidrigen Vergemeinschaftung der Schulden im Euro-Raum. Wohlgemerkt, Italien soll und kann auch anders geholfen werden, etwa über Anleihen, zinslose Darlehen oder Fonds. Man kann über vieles diskutieren. Doch die Verfasser des offenen Briefes wollen nicht diskutieren.

Ihre Rhetorik verrät: Sie wollen moralisch kaltstellen und die Gunst der Stunde nutzen, um ihren Traum einer transnationalen Schuldenunion zu realisieren. Kein Wunder im Übrigen, dass sich unter den akademischen „Unterzeichner*innen“ viele Politologen, Geschlechterforscher und Soziologen finden, aber kein Ökonom.

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