China kauft Infrastruktur - Im Griff

Chinas Einstieg am Hamburger Hafen hat Deutschland aufgeschreckt. Dabei dienen Infrastrukturen für den Warenverkehr schon immer auch geopolitischen Interessen. Nur wird dem Westen hier erstmals seit Jahrhunderten seine Führungsrolle streitig gemacht.

Chinas Botschafter in Sri Lanka heißt das Militärschiff Yuan Wang 5 im Hafen von Hambantota willkommen/ The Yomiuri Shimbun via AP Images/Picture Alliance/DPA
Anzeige

Autoreninfo

Felix Lill ist als Journalist und Autor spezialisiert auf Ostasien.

So erreichen Sie Felix Lill:

Anzeige

Als die Yuan Wang 5 im Hafen von Hambantota einfuhr, stockte den Beobachtern im 450 Kilometer entfernten Indien der Atem. Das Überwachungsschiff aus China dient zur Verfolgung von Satelliten- und Interkontinentalraketen, sein Heimathafen ist Schanghai. Was hatte dieses wuchtige Militärschiff nun an der Südküste von Sri Lanka zu suchen? Offizielle aus Colombo, der sri-lankischen Hauptstadt, versicherten, es wollte nur kurz auftanken und Vorräte verladen. Kein Grund zur Sorge also.

Aber in Neu-Delhi und Washington war die Sorge groß. Mit äußerster Dringlichkeit hatte die indische Regierung den wesentlich kleineren Nachbarstaat Sri Lanka dazu aufgefordert, das Andocken eines chinesischen Militärschiffs zu verhindern. Auch die USA hatten opponiert. Schließlich könnte die Yuan Wang 5 schon auf dem Weg nach Sri Lanka diverse Aktivitäten des indischen Militärs observieren, einen Partner des Westens ausspähen. Auf die deutliche Kritik ging Colombo praktisch nicht ein. Das Schiff durfte zwar erst ein paar Tage später als geplant eintreffen. Aber es dockte an.

Chinas strategische Kredite

Mitte August gingen Fotos um die Welt, die nervöse Offizielle aus Sri Lanka zeigen, wie sie chinesischen Offizieren die Hände zum Gruß ausstrecken. Politiker und Zeitungen der Region sahen einen Skandal, Verrat oder schlicht: Ausverkauf. „Während das klamme Sri Lanka auf Benzin, Nahrung und Medizinversorgung aus Indien hofft, um seine Wirtschaftskrise zu überstehen“, wütete die führende indische Zeitung Hindustan Times auch im November noch, „spielt es einfach weiterhin mit Indiens größten Gegnern, indem Vereinbarungen mit Peking getroffen wurden.“ 

In Sri Lanka verstand man die Aufregung zwar. Die Colombo Gazette resümierte aber: „Sri Lanka konnte wenig tun.“ Zwar sei der Inselstaat in der Tat auf Unterstützung aus Indien angewiesen; das südasiatische Land durchlebt seine schwerste Wirtschaftskrise der letzten Jahrzehnte. Nur wäre es jetzt keine gute Idee, China zu reizen, Sri Lankas größten Gläubiger. Laut Zahlen vom Juni ist Sri Lanka mit gut 120 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet. Gerade für ein Entwicklungsland ist das ein bedrohliches Ausmaß.

Schon 2017 musste der finanziell kriselnde Staat in dieser Sache dringend eine Lösung finden. Konkret ging es um den von 2007 bis 2014 mit chinesischen Krediten erbauten Hafen Hambantota, wo das chinesische Militärschiff anlegte. Weil Sri Lanka die Verbindlichkeiten von 1,26 Milliarden US-Dollar nicht zahlen konnte, übernahm kurzerhand die vom chinesischen Staat kontrollierte China Merchants Port Holdings das Management – für 99 Jahre. Und weil man in Colombo noch viel mehr Schulden umstrukturieren muss, könnten weitere ­Deals folgen. Dem guten Willen aus Peking – und ein Stück weit dessen Bedingungen – ist Sri Lanka derzeit ausgeliefert.

Die Neue Seidenstraße

Bis vor ein paar Jahren war Hambantota noch ein verschlafener Ort, dessen Identität nicht zuletzt darauf beruhte, dass Autos sich die Straßen mit Schildkröten teilten, Flamingos einbeinig in der Gegend herumstanden. Heute dient die 11.000-Einwohner-Stadt der Welt als Beispiel dafür, wie ein eigenständiger Staat Teile seiner Souveränität verlieren kann, wenn er sich für kritische Infrastruktur in ausländische Hände begibt. Der Bau des Hafens Hambantota sollte Sri Lankas Außenhandel stärken, jetzt aber scheint er vor allem dessen Außen- und sogar Innenpolitik zu unterminieren.

Die Probleme Sri Lankas scheinen das zu offenbaren, was Skeptiker in den vergangenen Jahren immer wieder betont haben, wenn es um Chinas massives Infrastrukturprojekt der Neuen Seidenstraße ging. Durch den Bau von Häfen, Straßen, Bahntrassen und Flughäfen macht sich der Einparteienstaat seit 2013 daran, mit Investitionen von Hunderten Milliarden Euro Zugang zu rund vier Milliarden Menschen in 70 Ländern zu erreichen. Die Bauprojekte sollen vor Ort Wachstumsschübe bringen. Aber sind die Gewinner am Ende Empfängerländer wie Sri Lanka, Laos und Griechenland? 

Oder tappen diese vielmehr in Schuldenfallen und Abhängigkeiten, die zu Instabilität führen, von der am Ende Peking profitiert? Denn was ist noch alles zu befürchten, wenn sich eine zunehmende Zahl an Staaten von China empfindlich abhängig macht – einem totalitären Staat, der im pazifischen Raum diverse Gebietsansprüche erhebt, anderswo die Demokratie für gescheitert erklärt? Ist Sri Lanka nur der erste Fall, in dem eine Nation nicht mehr kontrollieren kann, welchem Militär sie ihre Tore öffnet?
Fragt man Charlie Robertson, kommt ein zögerliches Nicken zurück. „Wir sehen jetzt auch anderswo, wie zumindest die Sorge zunimmt.“ Der Brite Robertson, Chief Global Economist bei der Invest­mentbank Renaissance Capital, hat sich für sein im Juni erschienenes Buch „The Time-Travelling Economist“ intensiv mit Chinas Neuer Seidenstraße beschäftigt. „In Uganda wird befürchtet, dass China den Flughafen Entebbe in Kampala übernimmt. In Sambia ist es der Stromsektor. In Kenia das Bahnnetz.“ An diversen Orten, wo China über die letzten Jahre investiert hat, werde man nervös.

Kredite nützen häufig nur China

Denn immer wieder zeige sich ein Muster, so Robertson. „Chinas Kreditvergabe scheint auf den ersten Blick sehr günstig, die Zinsen liegen nur bei 2 oder 3 Prozent.“ Doch stelle sich oft heraus, dass die Kosten nicht nur in vorab vereinbarten Tilgungen liegen, sondern auch in entgangenen Erlösen. „Die chinesischen Staatsbanken machen es immer zur Bedingung, dass das geliehene Geld für chinesische Unternehmen ausgegeben wird. Chinesische Betriebe stellen den Zement und Stahl bereit, verlegen die Bahntrassen und betreiben am Ende auch die Züge.“

Gerade ärmere länder gelangen so zwar in der Regel schnell an die vereinbarten Infrastrukturanlagen, können die heimische Ökonomie aber kaum durch Beschäftigungseffekte in den am Bau beteiligten Sektoren befruchten. „Auf diese Weise sind die Projekte für China oft höchst rentabel“, so Charlie Robertson. „Die Rendite für die Kreditvergaben in Sambia dürfte um die 30 Prozent betragen.“ Auch die Deals in Sri Lanka schätzt Robertson trotz der Zahlungsengpässe noch als gutes Geschäft für China ein. In Sri Lanka selbst ist daran kaum zu denken. 

Über Monate haben Menschen während Stromausfällen und Nahrungsmittelengpässen auf der Straße protestiert, bis Präsident Gotabaya Rajapaksa Mitte Juli aus dem Land floh. Für die Misere sind viele Faktoren verantwortlich: Mit der Pandemie und dem Ukrainekrieg geriet der Tourismus ins Stocken, Geld­rücksendungen der Diaspora ließen nach, Rohstoffimporte wurden schier unbezahlbar. Und als im März die Zentralbank aufhörte, den Außenwert der Sri-Lanka-Rupie durch den Verkauf von Devisenreserven stabil zu halten, begann auch noch eine Währungskrise.

Gegenseitige Abhängigkeit

Auch klar ist aber: Ohne die über Jahre allzu locker betriebene Verschuldung im Ausland wäre Sri Lanka heute nicht so verwundbar. Gotabaya Rajapaksa zog chinesische Kredite jenen internationaler Geber oft vor, weil sie schneller verfügbar waren und er aus Peking auch politisch unterstützt wurde. Kritisiert wurden die Infrastrukturprojekte dabei von Beginn an, weil sie kaum wirtschaftlich erschienen. Sowohl der Hafen Hambantota als auch der nur 30 Kilometer entfernte Flughafen Mattala sind nicht annähernd ausgelastet. Auch dies macht viele Demonstranten in Sri Lanka heute wütend.

Über allzu starken Einfluss aus China wurde über die vergangenen Wochen auch gut 8000 Kilometer nordwestlich von Sri Lanka debattiert. Der Teilverkauf des Terminals Tollerort im Hamburger Hafen an den chinesischen Schifffahrtskonzern Cosco sorgte in ganz Deutschland und Europa für Aufregung: Hat es Hamburg wirklich nötig, sich von einem mit der Kommunistischen Partei Chinas eng verbundenen Unternehmen abhängig zu machen? Bundeskanzler Olaf Scholz sah in einer Beteiligung durch Cosco von 24,9 Prozent kein größeres Problem. 

Containerterminal Tollerort in Hamburg: Der chinesische Staatskonzern Cosco übernimmt 24,9 Prozent / Thies Raetzke/laif

Auch Daniel Hosseus, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Seehafenbetriebe, sagt: „Ganz generell müssen Auslandsinvestitionen aus einem Drittstaat möglich sein.“ Im Fall der Beteiligung von Cosco am Terminal Tollerort findet Hosseus, die Debatte sei „zu emotional“ geführt worden. Schließlich gehe mit einem Anteil von weniger als einem Viertel kein Vetorecht einher. Außerdem sei der Ankauf gut fürs Geschäft: Durch die Beteiligung werde nicht nur Hamburg an Cosco gebunden, sondern auch Cosco an Hamburg. „Das halten wir grundsätzlich für sinnvoll.“

Vorsicht bei Sicherheitsfragen

Nun sind die Interessen von Olaf Scholz und Daniel Hosseus kaum undurchsichtig. Während sich der Verband der Seehafenbetriebe vor allem um Geschäftliches kümmert, legt auch der Kanzler in der Causa mehr Wert auf Wirtschaft als auf Sicherheitspolitik. Innerhalb der SPD wird Scholz’ Haltung so bewertet, dass er mit der Sicherung bestehender Arbeitsplätze Politik für seine Kernwählerschaft betreibe, aber auch die für Deutschland so wichtigen Wirtschaftsbeziehungen zu China generell stärke. Immerhin ist China der wichtigste Handelspartner Deutschlands. 

Dabei könnten in naher Zukunft weitere Beteiligungen aus China folgen. An einer Chip-Fabrik des deutschen Halbleiterherstellers Elmos meldete zuletzt das schwedische Unternehmen Silex Interesse, eine Tochter des mit dem chinesischen Militär verknüpften Unternehmens Sai Microelectronics. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wies Ende Oktober darauf hin, dass ein Verkauf der Fabrik die ohnehin eklatante Abhängigkeit Deutschlands von Halbleitern noch vergrößern würde, riet der Bundesregierung deshalb zu einem Verbot des Verkaufs. Das Kabinett folgte diesem Rat.

Dieselbe Vorsicht hätte man auch bei Hafenbeteiligungen walten lassen, wäre es nach den Koalitionspartnern der SPD, den Grünen und der FDP, gegangen. Ulrich Lechte, außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, sagt: „Die Zeit, in der es um ‚Wandel durch Handel‘ ging, ist vorbei – Handelspolitik wird immer mehr zur geopolitischen Frage.“ Deutschland dürfe es nicht länger zulassen, „dass das autoritär regierte China die Regeln unserer freien Marktwirtschaft, die im eigenen Land nicht gelten, nutzt, um sich bei uns einzukaufen.“

Der Westen verkauft sich an eine Diktatur

Die ansonsten für ihren Marktliberalismus bekannte FDP rät zu protektionistischen Maßnahmen: Einen deutlicheren Hinweis darauf, wie angespannt die politische Lage auch in Berlin ist, könnte es kaum geben. Und es fällt insbesondere bei der Cosco-Beteiligung in Hamburg auf, dass diverse Beobachter, die nicht direkt von diesem Deal profitieren, ihn auch nicht gutheißen. So sagt Jacob Gunter vom in Berlin ansässigen Mercator Institute for China Studies, wenngleich er betont, nur für sich selbst zu sprechen: „Alles in allem glaube ich nicht, dass Deutschland das hätte machen sollen.“

Jacob Gunter ist Experte für die Industriepolitik Chinas und vergleicht die Bedeutung des Hamburger Hafens – den größten Deutschlands und drittgrößten Europas – mit jener einer Pipeline für Öl oder Gas: „Durch eine Pipeline fließt der Rohstoff zwar nur aus einer Richtung. Der Empfänger ist also von einem einzigen Lieferanten abhängig, während einen Hafen mehrere Schiffe ansteuern können.“ Aber Abhängigkeiten entstünden dennoch schnell. „Man kann sehr schnell sehen, wie das Fehlen eines kleinen, aber wichtigen Produkts zu großen Problemen führen kann.“ 

Zwar stimmt Gunter den Befürwortern der Cosco-Beteiligung in Hamburg insofern zu, dass dieser eine Deal längst keine absolute Abhängigkeit von China etabliert. „Die Beteiligung ist eher im großen Zusammenhang zu sehen. Sie zeigt einmal mehr den zunehmenden Einfluss, den chinesische Staatsunternehmen auch in Europa haben.“ Deutschland und Europa müssten sich überlegen, inwieweit es ihnen nichts ausmache, weiter steigende Besitzanteile an Staatsunternehmen eines diktatorischen Regimes zu verkaufen, das aus seiner ideologischen Abneigung gegenüber dem Westen kein Geheimnis mehr macht. 

Könnten wir China sanktionieren?

Weltweit halten chinesische Staatsunternehmen nun Anteile an 96 Häfen. Es handelt sich um Standorte in Großbritannien, Schweden, Polen, Italien, Frankreich, den Niederlanden, Ägypten, Südkorea, Argentinien, Nigeria, Indonesien und vielen weiteren Ländern. Und überall dort, wo ein Investor einmal einen Fuß in der Tür hat, ist es tendenziell auch einfacher, den Besitzanteil aufzustocken. Dies weiß man in der griechischen Hafenstadt Piräus: Im Jahr 2009 stieg die Staatsreederei Cosco wie nun in Hamburg als Minderheitseigner ein. Als sich Griechenland im Jahr 2016 einem Staatsbankrott näherte, erhöhte Cosco seinen Besitz auf zwei Drittel.

Insider aus dem derzeit boomenden Hafen Piräus berichten, dass bisher keine politische Einflussnahme durch den chinesischen Staat zu spüren sei. Allerdings besteht in Griechenland schon heute Skepsis, ob dies auch dann noch der Fall wäre, sollte China eines Tages wirklich – wie von der Regierung in Peking bereits mehrmals angedeutet – die Insel Taiwan überfallen. Die USA, Japan und auch die EU haben für diesen Fall zu verstehen gegeben, auf der Seite Taiwans zu stehen. Wie derzeit gegenüber Russland müsste der Westen dann auch gegen China Sanktionen beschließen.

Mit chinesischen Milliarden finanziertes Megaprojekt:
Großer Renaissance-Staudamm in Äthiopien / David
Monteleone

Wie schmerzhaft dies ist, weiß man überall, wo man sich über die vergangenen Jahre auf Öl und Gas aus Russland verlassen hat. Je höher der Anteil von Lieferungen aus Russland am eigenen Energiemix, desto schwieriger ist jetzt die Umstellung auf andere Quellen und Lieferanten. Und ähnlich wie einst Russland macht sich derzeit die chinesische Regierung als Handelspartnerin umso schwieriger verzichtbar, je stärker sie in diversen Infrastrukturen investiert hat. Sanktionen gegen China, der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft, wären womöglich noch schwieriger durchzuhalten als die jetzigen gegen Russland. 

Mehr Verlegenheit als Masterplan 

Es wirkt wie eine äußerst ausgeklügelte Strategie, die China über die vergangenen, von enormem Wirtschaftswachstum geprägten Jahrzehnte verfolgt hat. Der Ökonom Charlie Robertson glaubt dennoch nicht, dass ein geopolitischer Masterplan dahintersteckt. „In erster Linie geht es all den chinesischen Betrieben, die ja auch miteinander konkurrieren, um neue Märkte und Geschäfte.“ Bei allen möglichen Investitionen, ob in Form von Beteiligungen oder als kreditfinanzierte Bauprojekte, sei die Priorität in China stets eine Rendite in Form von Cashflows.

„Wenn Probleme wie in Sri Lanka entstehen, wo ein Staat nicht zurückzahlen kann, ist das aus chinesischer Sicht viel mehr eine Peinlichkeit als eine Chance“, so Robertson. Die Übernahme eines Hafens wirke insofern eher wie eine Verlegenheitsaktion, um aus einer unangenehmen Situation noch das Beste herauszuholen. Das Ergebnis dessen kann aber auch in den Augen von Robertson das sein, was FDP-Politiker Ulrich Lechte andeutet: Häfen und ähnliche Infrastrukturen können zum geopolitischen Faustpfand werden – wie jetzt offenbar im sri-lankischen Hambantota. 

Quasikolonialismus ist nicht neu

Aber eine Quasikolonisierung extraterritorialer Gebiete, Infrastrukturen oder Industrien wäre auch gar nichts Neues. Wirtschaftshistorisch ist dies in die Mechanismen vom Aufstieg und Fall der Mächte gewissermaßen eingebaut, berichtet Charlie Robertson. „Als dem Osmanischen Reich im 19. Jahrhundert das Geld ausging, war Deutschland mit Finanzierungen zur Stelle. Aber um sie auch zurückzubekommen, stellten die Beamten sicher, dass die Erlöse aus der wichtigen Tabakindustrie zuerst an Deutschland flössen.“ Das Osmanische Reich habe so seine Souveränität abgegeben.

Noch deutlichere Beispiele sind heutige Hafenmetropolen wie Hongkong und Singapur, die Großbritannien zunächst als Warenumschlagplätze für seinen Handel nutzte, ähnlich wie es Portugal mit Macau oder die Niederlande mit Jakarta taten. Der Ausgangspunkt für die Investitionen war oft ein geschäftlicher. Doch wer irgendwo ökonomische Interessen verfolgt, will früher oder später oft auch politisch mitreden, um sie zu schützen.

Das Aus des Multilateralismus

Selbst dem Aufstieg des Multilateralismus nach dem Zweiten Weltkrieg, der Handel und Infrastrukturinvestitionen von Geopolitik trennen sollte, wohnte von Anfang an eine subtile machtpolitische Dimension inne. So begünstigt etwa das allgemeingültige Regelwerk der Welthandelsorganisation (WTO) jene Staaten, die bereits über ausgereifte Infrastruktur und wettbewerbsfähige Unternehmen verfügen. Unter Entwicklungsländern gilt das Handelsregime internationaler Organisationen schon lange als ausbeuterisch.

Dass das derzeitige Vorgehen Chinas nun aus westlicher Sicht neoimperialistisch erscheint, hängt auch mit der offenen Infragestellung dieses Nachkriegsregimes zusammen, so Jacob Gunter vom Mercator Institute for China Studies: „Insbesondere in der EU hängt man der Idee nach, dass ein multilaterales Handelssystem rund um die WTO noch eine weltweite Ordnung sichern kann.“ Aber die Zeit sei vorbei. „Die WTO ist nach wie vor wichtig für den Handel mit vielen Partnern, aber die USA halten sich kaum daran, und China tut es auch nicht. Die zwei größten Volkswirtschaften der Welt haben den wirtschaftlichen Multilateralismus also praktisch untergraben.“

Entspannt die Macht an sich reißen

Gerade auf Staaten wie Deutschland, die vom Multilateralismus stark profitiert haben und ihn zu verteidigen versuchen, wirkt Chinas zunehmendes Gewicht daher umso bedrohlicher. Dabei betont auch Jacob Gunter, dass es sich um keine Bedrohung im eigentlichen Sinne handelt: „Alle Staaten, in denen China investiert und Infrastruktur aufbaut, können frei entscheiden, ob sie sich darauf einlassen. Niemand wird gezwungen. Und viele von ihnen sind bisher auch weitgehend zufrieden.“

Wenn man Geld braucht, fällt das Neinsagen manchmal schwer. Ironischerweise scheint diese Binsenweisheit nicht nur auf autoritär regierte Staaten zuzutreffen, sondern auch auf liberale Demokratien, in denen besonderer Wert auf freie Entscheidungen gelegt wird. Denn anders als autoritäre Regime wie jenes in China muss sich eine demokratisch gewählte Regierung ständig gegenüber einer kritischen Öffentlichkeit rechtfertigen. Und schnelle Geldflüsse beeindrucken oft mehr als Reformen, deren Wirksamkeit sich erst Jahre später zeigt.

In China, wo nicht zuletzt dank des riesigen Marktes über Jahrzehnte Unsummen an Geld angespart worden sind, kann man den offenbar ständig klammen Regierungen liberaler Demokratien Hilfe anbieten. Und falls sich mal eine Investition finanziell nicht rechnet, müssen quasistaatliche Geldgeber aus China nicht gleich das Urteil einer misstrauischen Öffentlichkeit fürchten. Sie können in Ruhe schauen, auf welche Weise sich die Investition sonst noch lohnen könnte. 
Zum Beispiel zur Ausweitung des Militärnetzes wie nun in Sri Lanka – und womöglich bald auch anderswo.

 

Dieser Text stammt aus der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

Sie sind Cicero-Plus Leser? Jetzt Ausgabe portofrei kaufen

Sie sind Gast? Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige