Legalisierung von Marihuana - „Die Cannabis-Branche wird schnell wachsen“

Die Ampelkoalition will Marihuana und Haschisch in Deutschland legalisieren. Der Düsseldorfer Wettbewerbsökonom Justus Haucap begrüßt die Freigabe und erwartet einen boomenden Markt. Aber setzt die neue Bundesregierung damit nicht ein falsches Signal?

Einige Gärtnereien werden in Deutschland auf Cannabis-Anbau umstellen, glaubt Ökonom Haucap / dpa
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Jonas Klimm studierte Interdisziplinäre Europastudien in Augsburg und absolvierte ein Redaktionspraktikum bei Cicero.

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Justus Haucap ist Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics und war Vorsitzender der deutschen Monopolkommission.

Herr Haucap, was war Ihre erste Reaktion, als Sie von den Plänen der künftigen Ampel-Koalitionäre gehört hatten, die kontrollierte Abgabe von Cannabis in lizenzierten Geschäften zu ermöglichen?

Ich habe nur gedacht: Endlich, Gott sei Dank hat sich die Vernunft durchgesetzt! Ich hatte aber auch damit gerechnet, dass es bald kommen wird, denn FDP und Grüne waren seit langem dezidiert dafür. Beide sind sehr stark von den Erstwählern gewählt worden, für die ist das ein großes Thema, und die hätte man sehr enttäuscht, wenn das nicht durchgekommen wäre. Von daher war klar, dass es in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen wird. Auch in den Jamaika-Verhandlungen vor vier Jahren war man prinzipiell wohl schon so weit, dass die Abstimmung im Bundestag freigegeben werden sollte. Jetzt war es mit der SPD noch etwas einfacher, und man konnte es gleich in den Koalitionsvertrag hineinschreiben.

Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die Legalisierung kommt?

Ja. Sie müssen sich nur die Prävalenzdaten ansehen. Mittlerweile hat jeder Dritte in Deutschland in seinem Leben schon einmal Cannabis konsumiert. Und wenn man sich die Jüngeren ansieht, geht das eher in Richtung jedes Zweiten. Die allermeisten davon nehmen Cannabis aber nicht dauerhaft. Von daher hat sich diese schreckliche Angst von früher, dass, wer einmal einen Joint geraucht hat, dauerhaft im Frankfurter Bahnhofsviertel mit Heroinkonsum endet, für viele nicht bewahrheitet. Mein Eindruck ist, dass sich die Einstellung zu Cannabis etwas geändert hat.

Das heißt, Sie haben keine Bedenken, dass eine Legalisierung ein falsches Signal aussenden könnte, vor allem an Jugendliche?

Justus Haucap / DICE

Das wird nun sowieso alles erstmal etwas dauern, die Erfahrung aus dem Ausland zeigt es. Irgendwann wird man im Bundestag ein Cannabis-Kontrollgesetz verabschieden, einhergehend mit einer Lizenzierung der Wertschöpfungsstufen. Das heißt, die Politik muss erstmal eine Institution aufbauen oder beauftragen, die die Lizenzen anschließend verteilt. In den US-Bundesstaaten liegt meist ein Jahr zwischen der Entscheidung und der tatsächlichen Freigabe. Diesen Vorgang muss man dann natürlich mit einer Informationskampagne begleiten, um nicht den Eindruck zu erwecken, das sei alles nicht gefährlich. Vielmehr muss klar kommuniziert werden, dass Cannabis freigegeben wird, um besseren Jugend- und Verbraucherschutz zu gewährleisten.

Vor allem von konservativer Seite kommt die Kritik, dass die Entscheidung der Ampel-Koalitionäre einen „Dammbruch“ darstelle und dazu führe, dass man irgendwann über die Legalisierung aller Drogen spräche. Diese Befürchtung teilen Sie nicht?

Nein, das halte ich für relativ unwahrscheinlich. Ich weiß natürlich nicht, über was man in hundert Jahren reden wird (lacht). Ich sehe das aber nicht. Der Weg, der jetzt gegangen wird, ist meines Erachtens sehr vernünftig, auch mit der Evaluation nach vier Jahren und der evidenzbasierten Herangehensweise. Außerdem ist die Lage bei Cannabis eine grundsätzlich andere als bei allen anderen Drogen.

Inwiefern?

Der Konsum von Cannabis ist praktisch kaum zu verhindern. Die Prohibition ist sehr schwer durchzusetzen, weil der Anbau zuhause so leicht ist. Cannabis kann jeder in seinem Zimmer anbauen, das ist der zentrale Unterschied zu allen anderen Drogen.

Sie beschäftigen sich mit dem Thema vor allem aus ökonomischer Perspektive. Kürzlich haben Sie in einer Studie vorgerechnet, dass der Staat pro Jahr insgesamt gut 4,7 Milliarden Euro an Steuern mehr einnehmen beziehungsweise an Ausgaben einsparen könnte. Wie kommen Sie auf diese Summe?

Die 4,7 Milliarden Euro aus unserer Studie sind die fiskalischen Auswirkungen pro Jahr. 2,9 Milliarden hiervon wären zusätzliche Steuereinnahmen plus 500 Millionen Sozialversicherungsbeiträge, also 3,4 Milliarden auf der Einnahmenseite. Die restlichen 1,3 Milliarden sind Einsparungen in den Bereichen Polizei und Justiz. Daraus ergibt sich die genannte Zahl. Eines möchte ich aber noch hinzufügen: Das ist ein angenehmer Nebeneffekt und darf nicht das Hauptargument sein für die Cannabis-Legalisierung. Es ist viel wichtiger, dass man eine Marktregulierung schafft, die den Konsum in legale Bahnen lenkt, und damit Jugend- und Verbraucherschutz gewährleistet.

Auch die Ampel-Parteien sagen explizit, dass finanzielle Erwägungen bei ihrer Entscheidung keine Rolle spielen.

Genau, das ist auch richtig. Natürlich ist es bei einer Legalisierung aber auch sinnvoll, zu besteuern, so wie bei Tabak, Alkohol, Glücksspiel und anderen Dingen auch. Deshalb haben wir es auch nochmal ausgerechnet, was das wohl bringen wird. Die schwierige Frage ist natürlich, wie viele Tonnen Cannabis konsumiert werden, weil es sich bisher um einen Schwarzmarkt handelt. Es gibt hierzulande nur Prävalenzdaten, wie häufig Leute Cannabis konsumiert haben. Zudem haben wir Daten aus anderen Ländern, wo es legal ist. So kann man sich dem letztendlich annähern.

Welche Länder haben Sie sich hierfür angesehen?

Vor allem die USA, genauer gesagt Colorado, dort ist Cannabis bereits 2014 legalisiert worden. In den USA gibt es grundsätzlich aber viel höhere Konsumraten als in Deutschland.

Also könnte ein Zusammenhang zwischen einer Legalisierung und ansteigenden Konsumraten bestehen?

Zunächst einmal steigen die Konsumraten weltweit, auch dort, wo es illegal ist. Es stimmt, in Colorado gehen die Raten hoch, aber beispielsweise auch in Texas, ein Bundesstaat mit einer sehr repressiven Drogenpolitik. Von daher sagt ein Vorher-Nachher-Vergleich überhaupt nichts aus. Gleichwohl müssen wir eingestehen, dass die Wachstumsraten in Colorado jetzt höher sind als in Texas, wo es nach wie vor illegal ist.

Wenn wir aber genauer hinsehen, bei welchen soziodemographischen Gruppen der Anstieg des Konsums zu verzeichnen ist, dann sehen wir, dass es primär eher die Älteren sind, bei denen in Colorado nach der Legalisierung ein stärkerer Konsum eintrat. Das ist auch plausibel: Die Bevölkerung ab 50 oder 60 hat wohl eher keine Lust dazu, sich im Görlitzer Park illegal Drogen zu kaufen, die macht das dann natürlich im Shop. Das sind aber auch nicht diejenigen, die in Folge dessen zu Dauerkiffern werden. Bei den Teenagern, das ist das Erstaunliche, haben wir den Befund aus Colorado, dass der Konsum seit der Legalisierung eher stagniert.

Was wiederum Ihre These bestätigt, dass Jugendliche ihre Wege finden, an Cannabis zu kommen, auch ohne Legalisierung.

Ich habe ja auch Kinder. Ab dem Gymnasium weiß fast jeder, wo man Drogen kaufen kann. Davor darf man die Augen nicht verschließen. Faktisch ist Cannabis heute schon überall verfügbar, nur eben unkontrolliert.

Zurück zum ökonomischen Aspekt. Können Sie kurz erläutern, welche Preisgrundlage Sie in Ihrer Studie angesetzt haben?

Der große Hebel ist die Cannabissteuer. Wir gehen von 400 Tonnen Cannabis aus, die jährlich in Deutschland konsumiert werden. Wir haben als Grundlage unserer Studie eine Steuer von bis zu 4,50 Euro pro Gramm angesetzt. Unsere Kalkulation hat vorgesehen, dass ein Gramm im Verkauf nicht viel mehr als zehn Euro kosten soll. Das ist auch ungefähr der Preis, der heute auf dem Schwarzmarkt zu bezahlen ist. Wir haben dann geschaut, was sind die Produktionskosten in den Ländern, in denen Cannabis bereits legal ist. Effiziente Produzenten schaffen es, für ungefähr vier Euro ein Gramm herzustellen. Zwischen den vier und zehn Euro sind also sechs Euro Platz für Steuern. Bei Cannabissteuer und Mehrwertsteuer sind wir dann bei ungefähr zehn Euro. Teurer als zehn Euro sollte es aber nicht werden, sonst bleibt der Schwarzmarkt erhalten.

Sehen Sie Potenzial für das Heranwachsen einer neuen Branche?

Auf jeden Fall. Man kann es kaum glauben, dass Deutschland sogar Vorreiter in ganz Europa werden könnte. Das ist eine Art kleines Wunder (lacht). Der internationale Handel mit Cannabis ist nach wie vor sehr eingeschränkt, das wird sicherlich noch dauern, daher wird ein Großteil des in Deutschland konsumierten Cannabis auch aus Deutschland kommen. Und letztendlich ist das auch einfach eine Pflanze, die gut und schnell wächst. Es gibt zahlreiche Gärtnereien in Deutschland mit sehr vielen Gewächshäusern. Es würde mich nicht überraschen, wenn einer von denen sagt, heuer gibt es mal keine Gurken, sondern Hanf. Die Branche wird schnell wachsen.

Gibt es internationale Vorbilder für die nun anstehende Legalisierung?

Wie es Colorado gemacht hat, ist prinzipiell gut. Die haben sehr strikte Regeln, es gibt eine Besteuerung, die ganze Wertschöpfungskette ist lizenziert, es gibt strenge Werberegeln. Als Minderjähriger darf man das Geschäft in Colorado gar nicht erst betreten, ähnlich wie bei Spielhallen in Deutschland. Denen ist es damit auch gelungen, den Schwarzmarkt stark zurückzudrängen. Ganz aussterben wird der natürlich nie. Wer die Hoffnung hat, kein Minderjähriger werde zukünftig mehr kiffen, der könnte auch gleich aufs Himmelreich warten.

Sehen Sie die nun kommende Legalisierung auch als Ihren persönlichen Erfolg?

Ich glaube zumindest, dass mein Engagement nicht geschadet hat.

Die wichtigste Frage zum Schluss: Werden Sie selbst von den neuen Möglichkeiten Gebrauch machen?

Das weiß ich noch nicht, ich möchte es nicht ausschließen. Scherzeshalber sage ich immer: Ich bin eher ein Säufer als ein Kiffer (lacht). Dass ich ein dauerhafter Konsument werde, der zu den Einnahmen der künftigen Cannabisbranche beiträgt, glaube ich eher nicht.

Die Fragen stellte Jonas Klimm.

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