Biolandwirtschaft - Euer täglich Brot

Umweltorganisationen und Politiker drängen auf mehr Biolandbau. Doch die Verbraucher spielen nicht mit. Und Landwirte warnen vor gravierenden Folgen. Sri Lanka könnte als abschreckendes Beispiel dienen: Das Land wollte zum Ökoparadies werden und erlebte die schwerste Krise seiner Geschichte.

Ökolandbau funktioniert nur, wenn es die Kunden an der Supermarktkasse auch kaufen, sagt Landwirt Willi Kremer-Schillings / Frank Schoepgens
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Ludger Weß schreibt seit den 1980er Jahren über Wissenschaft, vorwiegend Gen- und Biotechnologie. Davor forschte er als Molekularbiologe an der Universität Bremen. 2017 erschienen seine Wissenschaftsthriller „Oligo“ und „Vironymous“ und 2020 das Sachbuch „Winzig, zäh und zahlreich - ein Bakterienatlas“.

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Anfang September verkündete der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, dass er den Export von Pestiziden, deren Anwendung hierzulande nicht erlaubt ist, verbieten werde. Es könne nicht sein, gefährliche Stoffe, die bei uns zu Recht verboten seien, anderen zur Verwendung anzubieten. Zudem kämen die Gifte durch Lebensmittel­importe zu uns zurück.

Umweltorganisationen jubelten über die Ankündigung des Grünen-Politikers, der damit eine von ihnen lange erhobene Forderung erfüllen würde. Doch dann ließen weitere Stellungnahmen aus seinem Ministerium und dem Umweltressort vermuten, dass es nur um ein Exportverbot für einige wenige Mittel gehen wird, deren EU-Zulassung ausgelaufen ist, weil die Hersteller keine Verlängerung beantragten, nachdem Bedenken über gesundheitliche Folgen geäußert wurden. 

Europäische Agrar-Planlosigkeit

Die öffentlichkeitswirksame Aktion ist bezeichnend für die Planlosigkeit, unpräzise Kommunikation und den Populismus, die im deutschen Landwirtschaftsministerium und mittlerweile in der gesamten europäischen Agrarpolitik vorherrschen: Es werden Maßnahmen angekündigt, ohne konkrete Angaben darüber machen zu können, was sie genau bedeuten und wie die verkündeten Ziele erreicht werden sollen.

Populistisch ist Özdemirs Forderung, weil für Pflanzenschutzmittel gilt: Alles, was nicht zugelassen ist, ist verboten. Pflanzenschutzmittel sind immer eine Abwägung zwischen Nutzen und potenziellen Nachteilen, und andere Länder, die eigene Zulassungs- und Aufsichtsbehörden haben, können dabei zu anderen Entscheidungen kommen als europäische Behörden. Das zeigt sich schon daran, dass manche Mittel, die in der Europäischen Union nicht zugelassen sind, in Kanada, den USA oder Japan eine Zulassung haben. Und umgekehrt sind in einigen südamerikanischen Staaten Mittel verboten, deren Verwendung in Deutschland erlaubt ist.

Zuverlässiges Gerät, unzuverlässige
Agrarpolitik / Frank Schoepgens

Hinzu kommt: Bedingung für eine EU-Zulassung ist unter anderem, dass in Europa ein Bedarf besteht. Mittel zuzulassen, die nur in Plantagen tropischer oder subtropischer Zonen gebraucht werden, ist daher in der EU völlig unmöglich: Es gibt keinen Kaffee- oder Teeanbau in Europa, und zahlreiche Pflanzenschädlinge und -krankheiten kommen hier glücklicherweise nicht vor. Die entsprechenden Mittel sind daher bei uns automatisch verboten, in anderen Klimazonen aber bitter nötig. Diesen Ländern die Mittel zu verweigern, riecht nach Bevormundung. Deutschland will besser wissen, was gut für Afrikaner, Südamerikaner, Asiaten ist?

Der Bio-Traum ist zum Scheitern verurteilt

Ähnlich geht es bei anderen Themen zu: Ob Glyphosat oder Gentechnik-Anbauverbot – von einer rationalen Analyse der Vor- und Nachteile auf wissenschaftlicher Basis hat sich Europa verabschiedet. Den Anbau von Pflanzen, die die EU-Kommission nach ausführlicher wissenschaftlicher Evaluierung zugelassen hat, kann ein Mitgliedsland heute wegen bestimmter „politischer, sozioökonomischer oder agrarpolitischer Vorstellungen“ verbieten. Ausdrücklich genannt wird auch die Möglichkeit, man befürchte, der Anbau könnte „öffentliche Unruhen“ provozieren – eine Kapitulation vor gewaltsam auftretenden Aktivisten, die aus Protest gegen Gentechnik Felder zerstören. Auch der Ausstieg aus Glyphosat – aus toxikologischer und ökologischer Sicht eines der harmlosesten Pflanzenschutzmittel, die je zugelassen wurden – wurde aufgrund gut organisierten politischen Drucks durch Demonstrationen, Petitionen und Medienkampagnen beschlossen. Damit hat sich die Politik auch hier über den wissenschaftlichen Konsens sämtlicher EU- und nationaler Behörden hinweggesetzt, denn die eigens initiierte Sonderevaluierung ergab erneut die Harmlosigkeit des Mittels.

Dennoch geht den Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die hinter solchen Kampagnen stecken, das alles nicht schnell genug. Sie möchten am liebsten ein Verbot von Mineraldünger, chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln und eine drastische Reduzierung des Tierbestands, kurz: 100 Prozent Biolandbau und ein Volk von Vegetariern oder besser noch Veganern. Das sind Forderungen, die von Teilen der Grünen geteilt werden.

Wie das ausgehen kann, hat Sri Lanka der Weltöffentlichkeit demonstriert. Die dortige Regierung hatte sich von westlichen NGOs einreden lassen, eine vollständige Umstellung auf Biolandbau sei nötig für Umwelt und Gesundheit, es gebe Beispiele für eine erfolgreiche Umsetzung und sie sei gut für die Ökonomie. Angesichts der Verschuldung des südasiatischen Inselstaats und der Wahlversprechen („Aussicht auf Wohlstand und Pracht“ mit Essen „ohne Chemie“) verlockend.

Schreckensbilanz in Sri Lanka

Die Regierung schlug alle Warnungen einheimischer Agrarfachleute in den Wind und verhängte im Mai 2021 ein sofortiges Importverbot für Mineraldünger und chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel. Präsident Gotabaya Rajapaksa verkündete noch zwei Monate später auf dem UN-Ernährungsgipfel selbstsicher, die Transformation werde größere Lebensmittelsicherheit und bessere Ernährung für die Bevölkerung sicherstellen. Er hoffe, „dass das Beispiel Sri Lankas weitere Länder dazu inspirieren wird, die mutigen Schritte zu unternehmen, die für eine nachhaltige Umgestaltung des Welternährungssystems erforderlich sind, um Ernährungssicherheit und Ernährung für unsere künftigen Generationen zu gewährleisten“.

Doch es kam, wie die Agrarwissenschaftler vorausgesagt hatten: Die Ernten brachen ein, und die Preise für Lebensmittel des täglichen Bedarfs wie Reis, Zucker und Zwiebeln stiegen auf mehr als das Doppelte. Betroffen waren aber auch Exportkulturen und vor allem der wichtigste Devisenbringer Tee, der mit jährlich 1,25 Milliarden Dollar für 10 Prozent der Exporteinnahmen des Landes sorgte.

Schweinemast im Emsland: „Angeblich will der Verbraucher die Agrarwende, aber an der Kasse handelt er anders als
in Umfragen“ / Frank Krems

Die Schreckensbilanz: Etwa ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche Sri Lankas erbrachte 2021 keinerlei Ertrag. Das Land rutschte in die schwerste Krise seit seiner Gründung. Es kam zu Unruhen, die Regierung wurde aus dem Amt gejagt und der Ausnahmezustand ausgerufen, der erst Mitte August endete. Noch immer hat Sri Lanka mit einer Hyperinflation zu kämpfen: Die Gesamtinflationsrate liegt bei 60,8 Prozent, bei Lebensmitteln lag sie im Juli mit 90,9 Prozent noch darüber.

Europa macht sich bereitwillig abhängig

In Deutschland ist das Ziel nicht ganz so ambitioniert: Nicht auf 100, sondern auf 30 Prozent der Anbauflächen soll Bio wachsen, bis 2030. Willi Kremer-Schillings, ein Landwirt, der in der Nähe von Köln Raps, Zuckerrüben und andere Ackerfrüchte anbaut, hält das zwar grundsätzlich für machbar, sagt aber auch: „An einer Kette muss man ziehen, nicht schieben. Das heißt, die Nachfrage muss da sein. Ich kann nicht am Markt vorbei etwas anbauen, das ich hinterher nicht verkaufen kann.“ Die Nachfrage nach Biolebensmitteln ist aber in den vergangenen Jahren nur langsam gewachsen und schrumpft derzeit sogar. Steigende Energiepreise, Inflation und Ukrainekrise führen dazu, dass Verbraucher weniger Bio kaufen oder sich beim Discounter mit Billig-Bio aus dem Ausland eindecken.

Wohin die sogenannte „Agrarwende“ führen kann, zeigt das Beispiel Raps. Es ist die wichtigste heimische Eiweißpflanze, die neben Öl auch Rapsschrot und Honig liefert, daneben Lecithin für Backwaren und Glycerin für Konsumgüter. Trotz steigender Nachfrage ist der Anbau in Deutschland rückläufig, nachdem ein wichtiges Pflanzenschutzmittel gegen Erdflöhe und Rapskäfer wegfiel. 2020 erzeugte Deutschland nur 3,5 Millionen Tonnen Rapssaaten, ein Rückgang von fast 50 Prozent gegenüber dem Rekordjahr 2014. „Raps ernte ich ebenso wie Zuckerrüben ohne Pflanzenschutz gar nicht in der gewohnten Menge. Es gibt keine Bio-Alternative gegen diese Schädlinge“, sagt Kremer-­Schillings. „Statistisch gesehen muss ich alle vier Jahre mit einem Totalausfall rechnen. Der Trend zu Bio führt dazu, dass wir uns im Bereich Grundnahrungsmittel komplett vom Ausland abhängig machen.“ 

Landwirt Willi Kremer-Schillings auf seinem Zuckerrübenacker / Frank Schoepgens

Das aber scheint das Ziel zahlreicher Politiker zu sein – weit über die Grünen hinaus. So sagte etwa die SPD-Europaparlamentarierin Maria Noichl, Mitglied des Ausschusses für Landwirtschaft, bei einer Veranstaltung des deutschen Umweltministeriums unter Beifall: „Für mich wäre das Nachhaltigste für uns alle, wenn Europa weiterhin das Feinkostgeschäft der Welt bleiben würde. Wir haben die Möglichkeit, mit unseren Flächen das Feinkostgeschäft der Welt zu bleiben.“ Von einer Verantwortung für die Welternährung möchte die EU sich offensichtlich abkoppeln.

Bio wird überschätzt

Dabei gefährden nicht nur die ausbleibenden Weizenlieferungen aus der Ukraine die Welt­ernährung. Am Horn von Afrika hat es seit Jahren praktisch nicht geregnet, noch immer bedroht eine Heuschreckenplage in Afrika und Nahost die Ernte, der Herbst-Heerwurm frisst von Ostafrika bis nach Ostasien die Felder leer, und die dortigen Grundnahrungsmittel Kochbananen und Kassawa sind zusätzlich durch die TR4-Panamakrankheit oder die Brown Streak Disease bedroht. Europa indessen setzt auf Extensivierung der Landwirtschaft, das heißt weniger ertragreiche Methoden, und will weg von Dünger und Pflanzenschutz. Bauern in Deutschland verstehen das nicht mehr.

„Dass Bio je nach Feldfrucht bis zu 40 Prozent weniger Ertrag bringt, ist kein Geheimnis“, sagt Landwirt Marcus Holtkötter. „Die Mengen, die dann bei uns nicht erzeugt werden, müssen anderswo angebaut werden.“ Besonders problematisch findet Holtkötter, der nahe Münster Schweine mästet, Getreide anbaut sowie Heu und Stroh produziert, dass ausgerechnet in Europa extensiviert werden soll. „Unsere Flächen zählen zu den besten Standorten der Welt für Getreideanbau. Um das zu erzeugen, was bei uns auf einem Hektar wächst, braucht man in anderen Regionen zwei oder drei Hektar.“ 

„Unsere Tiere verwerten sehr viel“: Bernhard Barkmann mit Bullen / Frank Krems

Holtkötter versteht die Glorifizierung des Biolandbaus nicht. Zwar führe der vielleicht zu mehr Biodiversität auf dem Acker, aber: „Der Flächenverbrauch macht alle regionalen Vorteile zunichte und ist auch nicht gut für das Klima. Was nutzt es, wenn wir hier weniger ernten, dafür aber anderswo Wälder gerodet werden?“ Auch bei der Tierhaltung sieht er manches kritisch: „Bio bedeutet auch nicht automatisch mehr Tierwohl.“ Eine breit angelegte Studie von Albert Sundrum, Fachgebietsleiter Tierernährung und Tiergesundheit am Fachbereich Ökologische Landwirtschaft der Universität Kassel, gibt ihm recht: Europaweit sind beispielsweise Rinder aus Biohaltung nicht gesünder als die aus konventionellen Betrieben. Auch die Betriebsgröße ist nicht ausschlaggebend. Tiergesundheit ist eine Frage des Managements von Fütterung und Hygiene.

Europäisches Regel-Wirrwarr

Das Wohl der Tiere ist für Nadine und Heinrich Henke, die in Niedersachsen südlich von Bremen einen Ferkelerzeugerbetrieb mit 1250 Sauen, eigener Nachzucht und Ferkelaufzucht bewirtschaften, ein großes Anliegen: „Wir haben unsere Ställe umgebaut, wir kastrieren nicht, kupieren keine Schwänze, schleifen keine Zähne ab.“

Ihre Ställe wollen sie weiter verbessern, doch woher das Geld für Umbauten und Erweiterungen kommen soll, ist unklar. Aber das ist nicht das einzige Problem. „Es wurde auch versäumt, das Baurecht und die technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft entsprechend anzupassen, sodass Umbauten und Erweiterungen derzeit daran scheitern“, sagt Heinrich Henke. „Für Neubauten Genehmigungen zu bekommen, ist sehr schwierig. Wir sind bereit zu investieren, aber es gibt kein klares Signal, was genau gewünscht wird.“

Zudem fehlen verlässliche Standards für die verschiedenen Haltungsstufen. Nadine Henke kritisiert: „Derzeit kommen in Deutschland Ferkel in die Mast, die nach völlig unterschiedlichen Kriterien aufgezogen wurden.“ Während in Deutschland zum Beispiel männliche Ferkel nur unter Vollnarkose kastriert werden dürften, sei in den Niederlanden die CO2-Narkose erlaubt, in Dänemark werde nur lokal betäubt und in Spanien gar nicht, so die Landwirtin. „Wir agieren in einem globalen Markt, aber es werden erhöhte Anforderungen an uns gestellt, und wir haben keinerlei Möglichkeiten, diese Mehrkosten zu realisieren.“

Bürokratie macht Landwirten zu schaffen

Für die Schlachthöfe bedeutet die Tierwohl-Einstufung erhöhten Aufwand. Alles muss getrennt verarbeitet und sortiert werden, der Bürokratieaufwand steigt – das sind Kostenfaktoren, die den Preis in die Höhe treiben. Hinzu kommt, dass derzeit ohnehin alles teurer wird: Düngemittel, Pflanzenschutz, Treibstoff, aber auch Energie zum Heizen, Verarbeiten und Kühlen. Und neuerdings treibt der Brotgetreidepreis auch die Futtergetreidepreise in die Höhe. Zu allem Überfluss kündigten jetzt auch noch mehrere Schlachtbetriebe, darunter Tönnies, Deutschlands größter Schweineschlachter, den Haltern von Tierwohl-Schweinen die Lieferverträge. Die Nachfrage habe stark nachgelassen. „Ich kann verstehen, dass immer mehr aufgeben“, sagt Nadine Henke. 

120 Kilometer weiter, im Emsland, denkt Bernhard Barkmann noch nicht ans Aufgeben, aber er glaubt, dass es sich langfristig nicht mehr lohnen wird: „Dann bin ich vielleicht der letzte Landwirt in der Reihe.“ Barkmann ist Schweine- und Bullenmäster und macht sich Sorgen um die steigenden Kosten. Dabei hat er schon 2006 damit begonnen, den Hof energieautark zu machen.

Auch für Barkmann ist die Unsicherheit die größte Herausforderung. „Angeblich will der Verbraucher die Agrarwende, aber an der Kasse handelt er anders als in den Umfragen. Keiner sagt uns, wie die Auflagen gegenfinanziert werden sollen.“ Er versteht auch den Vorwurf nicht, Tierhaltung sei Lebensmittelverschwendung. „Unsere Tiere verwerten sehr viele Dinge, die Menschen nicht verzehren: Kleie, Ballaststoffe und so weiter. Warum sollen wir das nicht an Tiere verfüttern, um damit hochwertiges Protein zu erzeugen – und Dünger, den wir statt aufwendig produziertem Mineraldünger für unsere Pflanzen verwenden können?“

Mit Gentechnik könnten Pflanzen gegen
Krankheiten und Schädlinge resistent
werden / Frank Schoepgens

Barkmann sieht auch den Druck auf die Pflanzenschutzmittel und die Düngeverordnung (DVO) kritisch. Er hat nichts gegen das Ziel, die ausgebrachten Mengen zu reduzieren, Sorgen macht ihm die schwindende Anzahl von Wirkstoffen, die zur Verfügung stehen. „Wir brauchen eine Vielfalt von Mitteln, weil wir sonst Gefahr laufen, dass Resistenzen entstehen. Beim Mais etwa läuft die Zulassung eines wichtigen Herbizids aus, und es ist nichts Neues in Sicht“, sagt Barkmann. „Die Hürden für eine Zulassung werden immer höher, und die Anwendung wird immer restriktiver – der europäische Markt ist für die Hersteller nicht mehr attraktiv.“ Herbizide sind wichtig, weil durch das wärmer werdende Klima Ungräser wie Hirse sich explosionsartig vermehren und den Jungpflanzen das Leben schwer machen.

Freie Fläche wäre so wichtig

Die DVO schreibt vor, dass dort, wo zu hohe Nitrat- oder Phosphatgehalte im Grundwasser ausgewiesen sind, also in den sogenannten „roten Gebieten“, nur noch 20 Prozent unter dem Bedarf der Pflanzen gedüngt werden darf. Dadurch sinken automatisch Erträge und Qualität. „Die DVO ist zu undifferenziert“, sagt Barkmann. „Es besteht oft gar keine Korrelation zwischen Nitrat im Grundwasser und Landwirtschaft oder gar Viehhaltung. Zudem berücksichtigt die DVO nicht, dass unsere Flächen unterschiedlich intensiv bewirtschaftet werden. Und auch das Verbot der Düngung von Zwischenfrüchten ist unsinnig. Das führt auf Dauer zum Humusabbau und zur Verschlechterung der Bodenqualität.“ Auch gibt es große Unterschiede zwischen Sandböden und schweren Böden, die Nitrat unterschiedlich gut zurückhalten.

Keiner der genannten Landwirte lehnt die Klimaschutzziele des „Green Deals“ ab – im Gegenteil. Holtkötter und Barkmann wie auch ihre Kollegen Henke und Kremer-Schillings würden lieber auf weniger Fläche mehr erzeugen und dafür Moore, Feuchtwiesen, Ödland und andere Standorte erhalten oder ausdehnen. Erstens leben dort Pflanzen und Insekten, die auf Ackerflächen – egal, ob ökologisch oder konventionell bewirtschaftet – grundsätzlich nicht existieren können, und zweitens sind Moore, Feuchtwiesen und Wälder wichtige CO2-Senken.

Das Ausland macht es nicht besser

„Wir müssen den Flächenbedarf reduzieren“, sagt Holtkötter. „Das Stichwort lautet nachhaltige Intensivierung. Das bedeutet: mit Zwischenfrüchten arbeiten wie der Biolandbau, mit Direktsaat den Wasserhaushalt verbessern und Erosion reduzieren und Pflanzenschutzmittel weitestgehend reduzieren. Das geht aber nicht ohne Glyphosat und nicht ohne neue, an den Standort angepasste Sorten, die ertragreicher und widerstandsfähiger gegen Schädlinge und Krankheiten sind. Die wiederum wird es aber nur geben, wenn wir moderne Züchtungstechniken nutzen dürften, um schädlingsresistente Sorten zu erzeugen.“

Solche Sorten, die nur Schädlinge töten, die von der Pflanze fressen, und nützliche Insekten unbeeinträchtigt lassen, sind in vielen Ländern im Einsatz und haben für bessere Ernten und eine deutliche Reduktion von Pflanzenschutzmitteln gesorgt. Bislang sind jedoch weder Pflanzen, die mit Gentechnik, noch Sorten, die mit den neuen, weitaus präziseren Methoden des Genome Editings erzeugt wurden, auf Europas Äckern erlaubt.

„Stattdessen“, sagt Holtkötter, „setzen wir auf die Strategie, unsere Probleme dorthin zu exportieren, wo sie für uns nicht sichtbar sind. Im Ausland versteht das keiner mehr, zumal die Ukrainekrise doch gezeigt hat, wie unsicher es um unsere Lebensmittelsicherheit bestellt ist. Und wenn es zum Hunger kommt, dann ist nicht Europa betroffen, sondern Afrika.“

 

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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