Ben&Jerry's stoppt Eisverkauf in Palästinensergebieten - Auf ganz dünnem Eis

Die Eis-Hersteller Ben&Jerry’s stoppen den Verkauf ihrer Produkte in Palästinensergebieten, weil das angeblich nicht zu den „Werten“ der Firma passt. Es ist nicht die erste wohlfeile Aktion dieser Art. Der Mutterkonzern Unilever nimmt es in anderen Dingen mit der Moral allerdings nicht so genau.

Unilever-Logo an der Hamburger Deutschland-Zentrale / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Ben und Jerry, die beiden knuffigen Hippie-Onkel aus dem Speiseeis produzierenden Gewerbe, haben mal wieder zugeschlagen. Nachdem unsere woken Ostküsten-Volltrottel mit dem politischen Verstand einer Strawberry-Cheesecake-Kugel sich im vergangenen Jahr für Resettlement-Programme und offene Migrationsrouten nach Europa eingesetzt hatten („Unsere Petition zu unterschreiben geht viel schneller, als einen Becher deiner Ben&Jerry’s Lieblingssorte zu verputzen“), folgt jetzt die nächste Aktion: Der amerikanische Eis-Hersteller will den Verkauf seiner Produkte im Westjordanland und in Ostjerusalem beenden. Es entspreche nämlich „nicht den Werten von Ben&Jerry’s, unsere Eiscreme weiter in besetzten Palästinensergebieten zu verkaufen. Das sagen uns auch die Bedenken unserer Fans und zuverlässigen Partner.“

Es ist natürlich immer schön, wenn man sich zur Bestätigung des eigenen Wertekanons auf den Zuruf von Dritten verlassen kann. Sonst droht am Ende nämlich jener Zustand, den Jan Delay einst in seinem Song „Oh Jonny“ in bester Schüttelreim-Lyrik besang: „Hat dein Gandhi immer Pause, ja dann geh mal schnell nachhause.“

Zuhause, das ist im Fall des 1978 gegründeten Süßwaren-Herstellers der Bundesstaat Vermont. Und genau dort residiert auch eine Gruppe namens „Vermonter für Gerechtigkeit in Palästina“, von der Ben und Jerry unlängst aufgefordert wurden, ihre „Komplizenschaft mit der israelischen Besatzung und Verstößen gegen palästinensische Menschenrechte“ zu beenden. Dass sich die antisemitisch grundierte BDS-Bewegung („Boycott, Divestment and Sanctions“) diesem Aufruf sogleich anschloss, war in diesem Zusammenhang so erwartbar wie die Schokokrümel im Fudge-Brownie-Gefrorenen.

Israels Außenminister ist empört

In Israel selbst kommt der Eis-Boykott aus naheliegenden Gründen nicht ganz so gut an wie in Aktivisten-Kreisen. Umgekehrt würden sich Ben und Jerry wahrscheinlich auch nicht gern vom Gesundheitsminister vorschreiben lassen, wieviel Fett und Zucker sie maximal in ihre Produkte rühren dürfen, um ethisch gerade noch hinnehmbare Adipositas-Kollateralschäden zu erzeugen. Der israelische Außenminister Jair Lapid jedenfalls bezeichnete die Aktion als „beschämende Kapitulation vor dem Antisemitismus“, während der örtliche Ben&Jerry’s-Vertriebler ankündigte, das Zeug selbstverständlich weiterhin in „ganz Israel“ zu verkaufen. Bleibt die Frage, ob sich die Kundschaft dort künftig noch an den Produkten einer Firma delektieren möchte, die gemeinsame Sache mit Antisemiten macht. Möglicherweise eher nicht.

Der angekündigte Verkaufsstopp folgt einem bekannten Marketing-Muster: Wenn bestimmte Waren sich qualitativ kaum noch voneinander unterscheiden, müssen neue Distinktionsmerkmale geschaffen werden. Das kann etwa geschehen durch eine besonders auffällige Verpackung oder durch eine pseudo-witzige Namensgebung. Letztgenanntes Potential war im Fall von Ben&Jerry’s schon seit längerem ausgeschöpft, Sorten wie „Fossil Fuel“ (Sahne-Schoko) oder „Holy Cannoli“ (Ricotta-Pistazie) sind bereits auf dem Friedhof der Albernheiten entsorgt worden. Umso mehr geht es nun um die weltanschauliche Aufwertung eines Allerwelts-Erzeugnisses: Eislecken für den Weltfrieden und die gute Gesinnung – da schmecken die Kalorien doch gleich doppelt so gut.

Diese Vermarktungsstrategie ist allerdings nicht ganz ohne Risiken. Das zumindest ist auch eine der Lehren aus der zurückliegenden Fußball-EM, die weniger als sportliches Ereignis, sondern vielmehr als ein enervierender Bekenntnis-Wettbewerb mit Regenbogen-Armbinden, Kniefall-Choreos und Greenpeace-Bruchpiloten in Erinnerung bleiben wird. Die Fans waren jedenfalls eher wenig angetan von diesem ganzen Symbol-Zirkus, aber vielleicht sind Fußball-Enthusiasten ja einfach nur bornierter als der durchschnittliche Ben&Jerry-Gutmensch. Konsequenterweise sollten die Leute aus Vermont ihren israelischen Kritikern mit dem Werbespruch „Ihr könnt uns alle mal lecken“ entgegentreten und damit endgültig die politische Eiszeit einläuten.

Wohlfeile Botschaften

Nicht zuletzt bergen politisch wohlfeile Botschaften aus der PR-Abteilung von Wirtschaftsunternehmen stets die Gefahr der Rückfrage aus dem zu belehrenden Publikum: Wie haltet Ihr es denn selbst mit Euren hehren Grundsätzen? Im Fall des regenbogenbewegten DFB kam ja nicht von ungefähr ein gewisses Interesse daran auf, wie sich eine Fußball-WM in einer homophoben Hochburg wie Katar eigentlich mit dem öffentlich zu Markte getragenen Diversity-Gedanken in Einklang bringen lässt. Und in der Hinsicht wandelt das Management von Ben&Jerry’s auf wahrlich dünnem Eis.

Denn seit mittlerweile elf Jahren gehört das Unternehmen nicht mehr den beiden namensgebenden Gründern Ben Cohen und Jerry Greenfield. Sondern dem britischen Nahrungsmittel-Multi Unilever. Und da schau her: Ausgerechnet Unilever wird vorgeworfen, von staatlichen Firmen in der chinesischen Provinz Xinjiang Tomatenprodukte für den internationalen Markt zu kaufen. Also genau in jener Gegend, die den Ruf hat als „größtes Freiluft-Gefängnis der Welt“, weil dort die uigurische Bevölkerung in Umerziehungslager gepfercht und für Zwangsarbeit rekrutiert wird. Ob sich so etwas auch mit den vielbeschworenen „Werten“ der Unilever-Marke Ben & Jerry’s verträgt?

Wie gesagt: Wer auf dem dünnen Eis der moralischen Selbsterhöhung wandelt, kann dort auch schnell mal einbrechen. Da vergeht der werten Kundschaft die Lust auf fancy Sorten wie „Karamel Sutra“ und „Peanut Butter Cup“ womöglich schneller als gedacht.

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