Bankenkrise damals und heute - Die heimlichen Verlierer

Die aktuelle Bankenkrise ist anders als jene von 2007/08. Waren damals private Banken die größten Verlierer, sind es heute die Zentralbanken. Diese können die Verluste zwar verstecken und verteilen. Aber am Ende wird wieder der Steuerzahler zur Kasse gebeten.

Schweizer Bank Credit Suisse in Zürich / dpa
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Autoreninfo

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Davor bekleidete er verschiedene Funktionen bei Goldman Sachs, Salomon Brothers und – bevor er in die Privatwirtschaft wechselte – beim Internationalen Währungsfonds in Washington und Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Thomas Mayer promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und hält (seit 2003) die CFA Charter des CFA Institute. Seit 2015 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Die Vermessung des Unbekannten“ (2021) und „Das Inflationsgespenst“ (2022).

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Der Duft von 2008 liegt in der Luft. Im September vor 15 Jahren wurde die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers zahlungsunfähig, und die seit 2007 schwelende Bankenkrise entwickelte sich zur Großen Finanzkrise. Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank und die Zwangshochzeit der Crédit Suisse mit ihrem Erzrivalen UBS im März dieses Jahres erinnerten daran. Der Duft von 2008 führte zeitweilig zu einem Abverkauf von Aktien der Deutschen Bank. Doch die von der Erinnerung an die Große Finanzkrise ausgelösten Reflexe führen in die Irre. Denn es gibt zwei gravierende Unterschiede zwischen damals und heute.

Die Große Finanzkrise von 2007/08 war im Kern eine Solvenzkrise, die durch den Ausfall minderwertiger amerikanischer Hypothekenanleihen aufgrund höherer Zinsen ausgelöst wurde. Dagegen ist die Bankenkrise von 2023 bisher im Wesentlichen eine Liquiditätskrise. Banken wurden gezwungen, längerfristige, hochwertige Anlagen zu vorübergehend niedrigeren Marktpreisen zu verkaufen, um kurzfristige Verbindlichkeiten zu erfüllen, die zum Beispiel durch den Abzug von Sichteinlagen aufgrund höherer Zinsen entstehen. Glücklicherweise können Liquiditätskrisen im Bankensektor von den Zentralbanken mit Liquiditätsspritzen bekämpft werden, während Solvenzkrisen meist auf Kosten der Steuerzahler gehen.

Aber es gibt noch einen weiteren Unterschied: Waren 2007/08 private Banken die größten Verlierer, sind es heute die Zentralbanken. Diese können die Verluste zwar verstecken und über die Zeit verteilen, aber am Ende wird wieder der Steuerzahler zur Kasse gebeten.

Bundesbank mit Lücke

Am 1. März legte die Bundesbank als eine der ersten Banken des „Eurosystems“ (das aus der Europäischen Zentralbank und den nationalen Notenbanken des Euroraums besteht) ihren Geschäftsbericht für das vergangene Jahr vor. Sie meldete einen kleinen Verlust von 172 Millionen Euro, der durch die Verminderung der Rücklage auf 3.041 Millionen gedeckt wurde. Zwar ist es mit den früher üblichen üppigen Finanzspritzen an den Bundeshaushalt vorbei. Aber zur Aufregung scheint es keinen Grund zu geben. Die Bundesbank sorgt sogar für schlechte Zeiten vor.

Im Vorgriff auf weitere Verluste hat sie sogenannte Wagnisrückstellungen gebildet. Der Vorratsposten macht gut 19 Milliarden Euro aus. Eine stattliche Summe? Wer denkt, das sei ein ordentlicher Puffer, wird sich jedoch sehr wahrscheinlich getäuscht sehen. Denn in der Bundesbank-Bilanz klafft ein Loch, das mehr als die Hälfte so groß ist, wie die gesamte Bilanzsumme nach der Euro-Einführung. Die Lücke beträgt 138.726 Millionen Euro. So viel waren per Jahresende 2022 Wertpapiere am Markt weniger wert als in der Bilanz ausgewiesen.

Diener der EZB

Ende 2022 verbuchte die Bundesbank für „geldpolitische Zwecke“ gehaltene Wertpapiere über 1.072.976 Millionen Euro. Diese Papiere stammen aus den zahlreichen Anleiheankaufprogrammen der Europäischen Zentralbank. Die nationalen Notenbanken sind Diener der EZB und übernehmen für sie Ankauf, Bilanzierung und Finanzierung. Der Marktwert dieser Papiere lag zum Bilanzstichtag aufgrund der im Verlauf von 2022 gestiegenen Renditen auf Anleihen jedoch bei nur 934.250 Millionen Euro, also 12,9 Prozent niedriger.
 

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Wäre die Bundesbank eine Sparkasse, dann hätte sie – zumindest vorübergehend – wohl ihren Bestand abwerten müssen. Die 359 deutschen Sparkassen hatten zum Jahresende 2022 in ihren Bilanzen jedenfalls hohe Wertberichtigungen auf die von ihnen gehaltenen Papiere vorgenommen und insgesamt 7,9 Milliarden Euro auf Anleihen, Aktien und andere Wertpapiere abgeschrieben. Dank ordentlicher Vorsorge wiesen sie trotz Abschreibung einen Gewinn aus.

Das Inflationsfeuer bekämpfen

Im Gegensatz dazu zeigt die Bundesbank einen kleinen Verlust vor Abschreibung, der nach Abschreibung zu einem Monsterverlust von 138,9 Milliarden Euro würde. Grund dafür, dass die Bundesbank anders bilanziert als die Sparkassen und andere Banken, ist, dass der EZB-Rat entschieden hatte, zum 31. Dezember 2022 für Wertpapiere aus den diversen Ankaufprogrammen keinerlei Wertberichtigungsbedarf anzunehmen. Denn es werde erwartet, so der Rat, „dass weiterhin alle Zahlungsverpflichtungen aus den in den Beständen der Eurosystem-Zentralbanken enthaltenen Anleihen und Schuldverschreibungen vereinbarungsgemäß geleistet werden“.

Darum geht es aber nicht. Die Sparkassen mussten ihre Wertpapiere auf Marktpreise abwerten, nicht weil Zahlungsausfälle zu befürchten gewesen wären, sondern weil sie einen Beitrag zum Deckungsstock für kurzfristig fällige Verbindlichkeiten wie Sichteinlagen leisten. Es besteht also die Möglichkeit, dass zumindest ein Teil dieser Wertpapiere zur Finanzierung abgezogener Kundeneinlagen zu Marktpreisen verkauft werden muss. Die Silicon Valley Bank lässt grüßen!

Das Eurosystem (die EZB und ihre nationalen Zentralbanken) hat den gewaltigen Posten an Wertpapieren „zu geldpolitischen Zwecken“ gekauft. Man wollte damit die Inflation befeuern. Nun muss man das Inflationsfeuer bekämpfen, indem man diesen Wertpapierbestand wieder abbaut. Buchverluste können zu realen Verlusten werden. Eine von der EZB beaufsichtigte Bank hätte diesen Posten folglich zu Marktpreisen statt zu Anschaffungskosten bewerten müssen. Denn er wurde definitiv nicht mit der Absicht angeschafft, bis zur Endfälligkeit gehalten zu werden. Doch als oberste Aufsichtsbehörde über die Banken kann sich die EZB über ihre eigenen Vorschriften zum Bankgeschäft mühelos hinwegsetzen. „Quod licet Jovi non licet bovi“, meinten die Römer dazu: „Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht gestattet.“

Das BVerfG zum Ochsen degradiert

Die Buchung zu Anschaffungskosten – und damit als Anlage bis zur Endfälligkeit – ist darüber hinaus pikant, weil damit auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf die Stellung des Ochsen heruntergestuft wird. In seinem Urteil zum Public Sector Purchase Programm der EZB vom 5. Mai 2020 hat das Gericht festgestellt, dass „das Halten von Staatsanleihen bis zur Endfälligkeit (…) ein wichtiger Indikator für eine monetäre Haushaltsfinanzierung“ ist.  

Das Anleihekaufprogramm der EZB sei aber keine solche vertraglich verbotene Staatsfinanzierung, weil unter anderem „Ankäufe begrenzt oder eingestellt und erworbene Schuldtitel wieder dem Markt zugeführt werden müssen, wenn eine Fortsetzung der Intervention zur Erreichung des Inflationsziels nicht mehr erforderlich ist“. Die Buchung zu Anschaffungskosten widerspricht jedoch der Notwendigkeit, diese Anleihen bei Bedarf zum Kampf gegen die Inflation vor Endfälligkeit verkaufen zu müssen.

Jetzt zahlt die Zentralbank

„Stasera pago io“, heißt der hinreißende Song von Domenico Mondugno; „Heute Abend zahle ich“. Die Zentralbanker könnten ihn mitsingen. Noch liegen die Bilanzen des Jahres 2022 nicht überall vor, aber auf Basis der Bundesbank-Ergebnisse lässt sich eine Hochrechnung anstellen. Wenn man vereinfacht die Buchwerte des Vorjahres fortschreibt und wie bei der Bundesbank Verluste von 12,9 Prozent unterstellt, kommt man für das gesamte Eurosystem auf einen gigantischen Abschreibungsbedarf. 

Nach Angaben der EZB hielten alle Notenbanken dieses Systems Ende 2022 Anleihen „zu geldpolitischen Zwecken“ in Höhe von 4.937,2 Milliarden Euro. Bei einem angenommenen Rückgang des Marktwerts von 12,9 Prozent beträgt der Abschreibungsbedarf 636,9 Milliarden Euro. Nach dieser Abschreibung verbliebe dem Eurosystem von den Stillen Reserven (586,4 Milliarden Euro) und dem Eigenkapital (114,6 Milliarden Euro) gerade mal 64,1 Milliarden Euro. Sollten die Zinsen dieses Jahr weitersteigen – wovon man ausgehen muss – wäre das Eurosystem wohl Ende dieses Jahres (technisch) k.o.

Doch anders als für eine übliche Geschäftsbank bedeutet für eine Zentralbank negatives Eigenkapital nicht das Aus. Sie kann auch damit weitermachen. Entscheidend ist dann aber, ob die Bürger dem von der Zentralbank emittierten Geld als Mittel zum Tausch und zur Wertaufbewahrung weiterhin vertrauen. Dieses Vertrauen hängt auch davon ab, ob das Geld – das eine Verbindlichkeit der Zentralbank darstellt – mit werthaltigen Aktiva gedeckt ist. Ist das nicht der Fall, kann das Vertrauen verloren gehen und das Geld als wertlos erscheinen. Das Risiko ist besonders groß, wenn der Deckungsschwund mit steigender Inflation einhergeht.

Die Inflation ist für heute jedermann unübersehbar, aber noch kann der Deckungsschwund mit entsprechender Bilanzkosmetik verschleiert werden.

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