Klinik-Serie „Doktor Ballouz“ - ZDF, aber gelungen

Die neue ZDF-Klinik-Serie „Doktor Ballouz“ ist vieles: Gut geschrieben, ein Schauspieler-Fest, Gesellschaftsstück, menschliche Komödie – und dann spielt sie auch noch in der Uckermark. Ausreichend Gründe, sie zu sehen.

Dr. Ballouz im Gespräch. Foto: picture alliance/dpa/ZDF | Stefan Erhard
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Jens Nordalm leitete bis August 2020 die Ressorts Salon und Literaturen bei Cicero.

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Vielleicht werden diese Jahre um 2020 herum einmal auch als die gelten, in denen die Ironie der Jahrtausendwende endgültig Geschichte wurde. Als eine Zeit, in der Emotionalität wieder genutzt wurde für das wirkungsvolle Bild einer besseren Menschenwelt. Anstatt zu Unterhaltungszwecken entweder unerträglich bieder und kitschig zugerichtet oder mit dauernden eingebauten Rückzugssignalen versehen zu sein – zur Sicherheit, falls jemand das alles allzu uncool fände.

Aber zunächst: Juchuu, die Uckermark! Die sei allen empfohlen, denen die Lust auf überwachtere Regionen des europäischen Tourismus noch auf wer weiß wie lange Zeit vergangen ist. Die Serien-Klinik am herrlichen See, spiegelglatt, mit goldenem Schilfrand. Das ebenso goldene Abendlicht. Diese Hügel, diese Alleen, diese Felder. Und das Hämmern der Spechte und die zikadenlauten Grillen und die Nachtigallen und die Amseln am frühen Morgen, und das Schreien der Wasservögel. Die Musik macht immer wieder den Naturtönen Platz. Ein Tonfest!

Uneitle Nachdenklichkeit

Die Schauspieler dieser neuen ZDF-Serie über existenzielle Begegnungen um ein Krankenhaus in einer der dünnstbesiedelten Gegenden des Landes sind durchweg eine Augenweide – von Julia Richter als Oberärztin bis Jörg Schüttauf als verletztem Raffinerie-Vorarbeiter. Von Anna Hausburg als hinreißend schluchzender Braut auf der Klinik-Bank mit Blütenkranz im Haar bis zu Barbara Philipp als Tankstellenbesitzerin in ihrer absolut überzeugenden Uckermarkhaftigkeit – wo das Rührende dem Rotzigen stets ganz nah liegt.

Im Zentrum der Doktor, Chefarzt, mit seiner beneidenswert schönen Rennpappe, seinem Trenchcoat und seiner bei allem wirklich guten Style völlig uneitlen Nachdenklichkeit. Als junger Mann aus dem Libanon geflohen, ist ihm seine wunderbare Frau (Clelia Sarto) gerade in seiner Klinik gestorben. Er konnte nach ihrem Autounfall nicht mehr helfen. Die Staffel gibt ihm die Zeit, darüber immer wieder noch zu trauern.

Ein gelingendes Wort

Ballouz ist ein Arzt, der der Gegend gut tut. Er hat ein sehr schönes, schnelles Gespür für die Menschen. Er findet die richtigen Worte für alle, die ihm da entgegentreten, nicht nur für die Patienten – auch für die Menschen um sie herum. Im Grunde dürstet jeder, der da vor ihm auftaucht, nach einem menschlichen, gelingenden Wort. Und Ballouz findet es. Er ist die weltliche Version des Pfarrers, der diesen nordostdeutschen Landstrichen heute auch so weithin fehlt. Man könnte parallel eine Serie über eine evangelische Pfarrerin in Vorpommern in Angriff nehmen: Gesellschaftspanoramen vom Brennpunkt der klassischen leib- und seelsorgerischen Berufe her.

Merab Ninidze als Ballouz könnte das mit seinem Spiel fast allein tragen. Muss er aber nicht. Alle helfen. Andrea Sawatzki als Ehefrau eines Mannes zwischen Leben und Tod guckt dermaßen weltstarmäßig in ihrer unvergleichlichen Physiognomie. Und sie spricht Texte, als wenn auch die Drehbuchautorin (Conni Lubek) sie als eine Klasse für sich empfunden hätte – eine Klasse für sich in jeder Geste und Körperhaltung, in jeder mimischen Starre oder Regung.

Uckermärker Omi-Schwestern

Ein anderer Höhepunkt sind die wunderbaren und dabei glaubhaften Uckermärker Omi-Schwestern, die immer zusammen gelebt haben und von denen die eine sich in ihrer eigenen Nähmaschine festgenäht hat.

Der Oberarzt (Daniel Fritz) ist einen Hauch zu überzeugt von seiner Unwiderstehlichkeit, kürzestbärtig und smart, ein Strahlemann wie in der Schwarzwaldklinik – was die andere, nicht festgenähte Omi-Schwester, die große Jutta Wachowiak, in einer veritablen Flirt-Attacke ihm süffisant genau so sagt. Aber auch er darf im Laufe der Staffel Tiefe gewinnen und sich von mehr Seiten als nur der charme-glatten zeigen.

Grenzsituationen und Irrtumsgefahr

Das Ganze gibt ein Bild, wie die Menschen zueinanderkommen könnten: übers Einander-Helfen. Einfach einen Moment länger sich aufeinander einlassen als sonst. Einen Moment länger wohlwollend hinsehen. Man ist da als Zuschauer oft sehr nah am Wasser gebaut – auch hier, ohne das Gefühl zu haben, man werde in einen billigen Kitschstrudel gerissen. Es ist eine Emotionalität, die immer gerade rechtzeitig die Kurve kriegt vorm Zuviel. Bis zum Äußersten ausgereizt, aber nicht darüber. ZDF, aber gelungen. Hier wird nicht falsches Maß an den großen Streaming-Diensten genommen, sondern bei sich geblieben – und das dann gut gemacht. (Regie: Andreas Menck)

Aber vor allem: Mann, was die in der Klinik – auch ohne das Virus, das nicht vorkommt – für eine Arbeit machen! Die Hochachtung fühlt man immer wieder. Von Grenzsituation zu Grenzsituation, lastende Verantwortung und Irrtumsgefahr. Wie schnell aus lauter Leben das pur Existenzielle werden kann! Das Ganze ist eine Hymne auf diese urmenschliche Situation der Klinik, mit ihren Helden des Alltags. Den einen muss geholfen werden. Die anderen helfen. Und es entstehen daraus Beziehungen, Gefühle, Gespräche, Blicke, Berührungen, die intensiver kaum vorstellbar sind.

Krankenhaus als Schmelztiegel

Schließlich das Krankenhaus als gesellschaftlicher Schmelztiegel. Hier treffen sich alle, Zugereiste und Einheimische, die ganze soziale Landschaft. Und das wird hier nicht zur falschen Utopie, zur Lüge. Denn da braucht es gar nicht viel auf beiden Seiten. Nur diesen etwas längeren wohlwollenden Blick aufeinander. Und einfach die Begegnung, weil eine Not das so wollte. Das alles ist Werbung für das Arztsein auf dem Lande, das wir so dringend mehr brauchen.

Und am Ende ist es auch eine erstaunlich vielfältige Galerie der Liebe. Im Krankenhaus spitzen sich Lieben zu oder bahnen sich Lieben an, werden sie zum Zerreißen gespannt oder überraschend erneuert, wird keimende Liebe brutal erstickt oder will Liebe gemeinsam enden.

„Ich denke, dass man sich immer ordentlich verabschieden sollte. Egal ob man operiert wird oder morgens einfach nur das Haus verlässt.“ (Dr. Ballouz)

 

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