Cicero Jugend-Serie „Contra Woke” - Wohlstandsverweichlichung: „Das Gejammere meiner Kommilitonen kann ich nicht mehr hören“

Eine Generation zwischen Netflix, Bali und Vier-Tage-Woche: Die 22-jährige Veronika Wetzel erfährt die kollektive Lustlosigkeit der Gen Z jeden Tag an ihrer Universität. Junge Menschen würden kaum noch nach den Sternen greifen, da sie in eine Gesellschaft des Überflusses hineingeboren seien.

Veronika Wetzel / Sally-Jo Durney
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Autoreninfo

Veronika Wetzel studiert Internationale Beziehungen in Regensburg und ist Stipendiatin der Hanns-Seidel-Stiftung. Zuvor machte sie ein Volontariat bei der katholischen Zeitung Die Tagespost

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Die Medien sind in den letzten Jahren daran gescheitert, ein Bild der jungen Generation zu zeichnen, das mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Wir möchten die Debatte über die Generation Z daher nicht länger identitätspolitisch motivierten Redaktionen überlassen. Denn junge Menschen bewegt mehr als Fridays for Future, Body Shaming und Black Lives Matter.

Die Cicero Jugend-Serie „Contra Woke“ möchte all jenen jungen Menschen eine Stimme geben, die dem vorherrschenden woken Zeitgeist nicht entsprechen, aber gehört werden müssen, um die echte Lebensrealität und die wahren Sorgen der jungen Generation zu verstehen. Sie möchten selbst einen Artikel einreichen? Gerne, schreiben Sie uns hierfür eine Mail an: redaktion@cicero.de.

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Die Fleißigen werden mit Wohlstand belohnt, die Faulen mit Pech bestraft. Das ist die Moral eines uralten deutschen Märchens, das uns allen im Kindergarten mindestens einmal vorgelesen wurde: Frau Holle. Doch die einfache Logik, dass man sich für den eigenen Lebensunterhalt anstrengen muss, gerät in Deutschland immer mehr in Vergessenheit. Stattdessen herrscht die romantisierte Vorstellung vom Taugenichts vor, dass man sich nicht anstrengen muss, weil einem schon alles irgendwie in den Schoß fallen wird. Es hat sich eine Decke der Trägheit über das Land gelegt, die insbesondere meine Generation einlullt.

Permanentes Gejammer an der Uni

Diese Trägheit zeigt sich täglich auch bei mir im Uni-Alltag. Wenn ich mich in den Hörsälen umschaue, sehe ich oft, wie viele am Handy hängen – und das nicht kurz, um eben mal die Uhrzeit oder Nachrichten zu checken, sondern teils über die ganze Stunde hinweg. Wenn ich mit den anderen Studenten von einem Hochschulgebäude zum nächsten für die kommende Vorlesung laufe, höre ich oft das Gejammer, dass sie keine Lust auf die Vorlesung haben oder jetzt eigentlich lieber schlafen würden.

Wenn der Professor versucht, seine Vorlesung zu halten, wird oft die ganze Stunde so laut geplappert, dass man sich anstrengen muss, den Professor zu verstehen – selbst wenn man ganz vorne sitzt. Das hat schon so weit geführt, dass ein Professor drohen musste, die Studenten aus dem Raum zu werfen, angeblich zum ersten Mal in zwanzig Jahren.

Kollektive Einstellung der Lustlosigkeit

Auch wenn es natürlich Einzelne gibt, die aus der Masse herausragen – in der Breite herrscht in meiner Generation eine kollektive Einstellung der Lustlosigkeit. Wir haben keine großen Träume mehr, wir haben keine großen Ziele mehr. Bei uns liegen die Chancen wie Goldtaler auf der Straße, aber wir heben sie nicht auf und machen was daraus, sondern nehmen sie stattdessen oft nur gleichgültig mit der Schulter zuckend zur Kenntnis. 

Unser größtes Tagesziel ist nur noch die Netflix-Serie am Abend. Unser größtes Jahresziel ist nur noch der Urlaub auf Bali. Unser größtes Karriereziel ist nur noch die Vier-Tage-Woche. Die einzige Art, uns einzubringen, ist, dass wir andere blockieren, indem wir uns getrieben von der Angst vor der Klima-Apokalypse auf die Straße kleben. Aber selbst zukunftsfähige Ideen entwickeln, selbst Lösungen anbieten, selbst Innovationen erfinden: Fehlanzeige. Wir sind wie Pechmarie, die nichts tut, und dann erwartet, dafür auch noch mit Gold überschüttet zu werden.

Aber von uns wird Disziplin auch immer weniger eingefordert. In einem Fach fallen immer wieder Bemerkungen von der Professorin wie: „Ich höre gleich wieder auf zu quatschen“ oder „Von mir aus können wir heute auch früher Schluss machen“ oder „Wegen mir können wir den Stoff auch weglassen“. Ich spüre jedes Mal, wie diese Aussagen eine tiefe Unzufriedenheit in mir aufsteigen lassen und wie mein Gehirn schreit: „Nein, ich will doch was lernen! Ich will gefördert werden!“ Aus der Angst heraus, uns zu überfordern, wird uns nichts mehr zugetraut. Aber wie sollen wir denn die Herausforderungen der Zukunft meistern, wenn wir nicht mehr gefordert werden?

Junge Menschen in Ruanda greifen nach den Sternen

Im krassen Gegensatz dazu steht, was ich im letzten Jahr als Weltwärts-Freiwillige an einer Schule in Ruanda, Ostafrika, erlebt habe: Jugendliche, die miteinander wetteifern, die die Besten sein wollen, die nicht aufgeben, egal, wie viele Hindernisse sich ihnen in den Weg stellen. Einmal habe ich eine ruandische Hilfsorganisation besucht, die das Schulgeld für Kinder bezahlt, deren Familien es selbst nicht bezahlen können. Die Kinder dort sollten sich drei Namen der anwesenden Leute merken, aber jedes Kind wollte sich viel mehr Namen merken als es sollte. Jedes Kind hat sich gemeldet und sich dabei gestreckt, ist herumgezappelt, weil es unbedingt aufgerufen werden wollte. Diese sprühende Energie und diesen Ehrgeiz habe ich nicht nur bei den Kleinen beobachtet. 
 

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Eine Bekannte von mir, die mit hervorragenden Noten die weiterführende Schule abgeschlossen hat, hat sich in verschiedenen Ländern um ein Studium bemüht, aber immer ohne Erfolg. Letztendlich hat sie ein Stipendium in Ruanda bekommen, aber für ein Fach, das sie überhaupt nicht studieren wollte, weil die Regierung die Stipendien nach freien Plätzen und Bedarf vergibt. Sie hat das Studium dann aber trotzdem angetreten, einfach nur, um studieren zu können. Dass ein deutscher Schulabsolvent etwas studiert, das er sich selbst nicht ausgesucht hat, davon können wir in Deutschland nicht einmal zu träumen wagen. Wir würden aufgeben, bevor das Studium überhaupt begonnen hat.

Dass die jungen Menschen in Ruanda immer wieder nach den Sternen greifen, egal, wie oft sie von der Himmelsleiter fallen, liegt sicher daran, dass das Land gesellschaftlich an einem ganz anderen Punkt steht als wir: Auch wenn in Ruanda im Durchschnitt bereits größerer Wohlstand herrscht als in anderen afrikanischen Ländern, ist es für viele Menschen dort immer noch Alltagsrealität, dass sie täglich um ihr Überleben kämpfen müssen. Außerdem befindet sich das Land nach wie vor im Aufbau nach dem Genozid von 1994.

Geist des Aufbruchs unter Jugendlichen

Das Land hat sich unter dem Motto „Gemeinsam voran“ große Fortschrittsziele gesteckt. Es herrscht ein viel stärkeres Gemeinschaftsdenken als bei uns: Die Menschen arbeiten nicht nur für ihr persönliches Glück, sondern vielmehr dafür, als Gesellschaft voranzukommen. Deswegen wird viel in den Zusammenhalt investiert, aber auch in die Jugend.

Der Präsident wendet sich immer wieder in seinen Reden an die Jugendlichen, motiviert sie, ermutigt sie. Ständig finden Jugend-Debattenwettkämpfe statt, an den Schulen gibt es häufig Fußballspiele, die sowohl das Wetteifern als auch den Teamgeist stärken sollen. Das ruandische Schulsystem darf man sich nicht schönreden. Es werden auch harte Erziehungsmethoden angewandt, die die Schüler teilweise einschüchtern. Aber grundsätzlich herrscht ein Geist des Aufbruchs und der Innovation, der die Schüler motiviert, das Beste aus sich zu machen.

Wir sind in den Überfluss hineingeboren

Anders bei uns: Wir wurden in einen Überfluss hineingeboren und glauben, dass dieser sich selbst erhält. Deswegen entwickeln wir keine großen Träume, keine großen Ziele mehr, schon gar nicht für die Gesellschaft. Wir wollen nur selbst das Leben genießen, geben uns mit dem Sternenstaub zufrieden, der von der Leistung früherer Generationen auf uns abfällt, und wollen uns bloß nicht überanstrengen. Ziele für uns als Land, für uns als Gesellschaft zu formulieren, ist ja auch verpönt. Denn Ziele als Nation zu haben, erinnert viel zu sehr an unsere braune Vergangenheit. 

Noch wird das Erfolgsstreben der Ruander zwar nicht mit einem vergleichbaren Wohlstand wie in Deutschland belohnt. Aber wenn in den Entwicklungsländern einmal die gleichen Bildungschancen herrschen wie bei uns, während dort eine viel größere Motivation herrscht als bei uns, dann wird sich unser Wohlstand früher oder später in Pech verwandeln.

Als ich mit dem Flugzeug wieder auf deutschem Boden gelandet bin, hat sich eine gewisse Enttäuschung in mir breitgemacht. Denn ich habe mir gedacht: Wir haben alle Möglichkeiten der Welt, nach denen andere so sehnsüchtig die Hände ausstrecken und wir wissen es so wenig zu schätzen. Ich habe mich gefragt: Was bräuchte es wohl, damit wir den gleichen Ehrgeiz entwickeln, den ich bei den Jugendlichen in Ruanda erlebt habe? Aber vor allem habe ich mir, bezogen auf unsere Generation, gedacht, was eine Kommilitonin neulich im Hörsaal neben mir gesagt hat: „Manchmal frage ich mich, was wohl aus mir werden könnte, wenn ich nicht so stinkfaul wäre.“

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