Expertise in der Coronakrise - Hört auf die (besten) Naturwissenschaftler

Die Wissenschaft ist das Schwert im Kampf gegen das Coronavirus. Die zunehmende Präsenz von „Experten“ zeigt, wie wenig auf Qualifikation geachtet wird – auch in der Politik. Ein bedenklicher Zustand, erklärt der Evolutionsbiologe Axel Meyer in einem Gastbeitrag.

Die Wissenschaft steht für Aufklärung und Erkenntnisgewinn / dpa
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Prof. Axel Meyer Ph.D. ist Professor für Zoologie und Evolutionsbiologie an der Universität Konstanz. Er gehört der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina an.

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Prof. Axel Meyer Ph.D. ist Professor für Zoologie und Evolutionsbiologie an der Universität Konstanz. Er gehört der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina an. Die Nationalakademie hatte zuletzt mit ihrer Stellungnahme zum Umgang mit der Coronakrise für Aufsehen gesorgt.

Wir leben in gefährlichen Zeiten von fake news und einem Vertrauensverlust in Medien, Wissenschaft und echter Expertise. Die Errungenschaften der Aufklärung zu denen auch Rationalität, evidenzbasierte wissenschaftliche Methodik und Toleranz für andere Meinungen gehört, scheinen in Gefahr zu sein.

Donald Trump ist dabei mehr Symptom als Ursache. Allerdings wurde mit ihm 2016 der erste US Präsident gewählt, dem Wissenschaft nicht nur gleichgültig war, sondern der offen negativ gegen Wissenschaft eingestellt ist. Dies zeigte sich an seiner Klimapolitik, politischen Maulkörben und großen Kürzungen der Wissenschaftsbudgets nicht nur dessen der US-Umweltbehörde.

Chinas Wissenschaftler schwimmen im Geld

Auch die Tradition in den USA hoch angesehene Wissenschaftler als Science Advisor, dem Equivalent des Wissenschaftsministers bei uns, ins Weiße Haus zu bestellen, ging verloren – das Amt war unter Trump drei Jahre lang nicht einmal besetzt. Bisher waren in den USA und in Großbritannien fast ausschließlich Wissenschaftler höchsten Ranges Wissenschaftsminister gewesen und selbst Trump scheint (noch) Antony Fauci, einem der besten Virologen weltweit, der schon zur HIV-Forschung Wichtiges beigetragen hat, zuzuhören.

Aber nicht erst seit Trump hat China die bisher führende Wissenschaftsnation der Welt in einigen Gebieten überholt. Chinas Wissenschaftler schwimmen im Geld und kaufen sich mit nicht immer eleganten Methoden Expertise in den USA, in Deutschland und Einfluss weltweit.

Der Status der deutschen Wissenschaft

Vor dem zweiten Weltkrieg dominierten deutsche Wissenschaftler die Listen der Nobelpreisträger. Diese Zeiten sind längst vorbei, auch weil die Nationalsozialisten die Talentiertesten umbrachten oder, meist in die USA, vertrieben; die dann dort die Wissenschaftslandschaft mitgestalteten und fortan Nobelpreise für die USA gewannen.

Ihre ehemals dominante Stellung hat die deutsche Wissenschaft nie wieder zurückerlangt, obwohl wir in der beneidenswerten Situation sind, dass sich alle unsere politischen Parteien für Bildung und Forschung aussprechen und dafür auch im internationalen Vergleich sehr viel Geld ausgeben.

Unqualifizierte Besetzung der Ministerposten

Wir deutschen Wissenschaftler können uns glücklich schätzen, dass unsere Nation und unsere Politiker uns so gut versorgen und unsere Arbeit so zu schätzen scheinen. Das ist im internationalen Vergleich eher die Ausnahme. Dennoch haben wir die paradoxe Situation, dass, wenn es um die Verteilung der Ministerposten geht, fast immer eine fachfremde Quotenfrau (pardon), die ein Bundesland repräsentiert, das noch keinen Ministerposten abbekommen hat, auf diesen Posten gehievt wird.

Das gleiche gilt für den Gesundheitsminister. Die Alphamännchen unter den Ministern streben diese Posten nicht an, sondern wollen lieber einflussreichere Ressorts vertreten. Expertise scheint bei der Besetzung der meisten Ministerposten keine vorrangige Stellung zu haben. Die kann man sich ja teuer bei vermeintlich kompetenten Wirtschaftsberaterfirmen einkaufen.

Andere Länder, andere Anforderungen

Da haben die anderen, auch neuen, führenden Wissenschaftsnationen in China, Singapur, Korea und Taiwan ganz andere Traditionen und Ansprüche an die wissenschaftspolitischen Entscheider. Deren Forschungs- und Gesundheitsminister sind fast ausschließlich Wissenschaftler oder wenigstens Ärzte. Vielleicht ist auch das mit ein Grund dafür, dass gerade diese Länder die Corona-Krise vergleichsweise so gut gemeistert haben?

Obwohl Wissenschaftler glücklicherweise hierzulande noch ein hohes Maß an Ansehen und Vertrauen genießen, werden ihre Meinungen trotzdem nicht genügend angefragt, gehört oder gar berücksichtigt. Zunehmend wird zwar dazu aufgerufen, dass Wissenschaftler mutiger öffentlich Stellung nehmen sollten und sich auch politisch öfter äußern sollten.

Ausgewählte Bürger mit akademischen Titel

Aber, wenn sie es dann tun, sind es manchmal nicht die führenden Wissenschaftler, die zu einem bestimmten Thema wirklich international an der Spitze stehen, sondern gelegentlich auch solche, die gerne in Talkshows sitzen und eher als zufällig ausgewählte Bürger mit akademischem Titel reden, denn als besonders qualifizierter Forscher auf einem bestimmten Gebiet.

Es tut mir als Naturwissenschaftler leid, dass im Land der Dichter und Denker und hoffentlich auch der Forscher diese Niveaulosigkeit und die beschämende Unkenntnis in den Talkshows des Landes offensichtlich vorgetragen wird. Gefühlt genau drei Personen wurden bisher zu allen gesellschaftlich relevanten Themen der Wissenschaft, egal ob Klimawandel, Kernenergie oder Pandemien eingeladen: ein sympathischer Diplomphysiker, der Wissenschaftsshows moderiert, ein lustiger Quizshow-Host, der mal Arzt war, und ein gut aussehender Pop-Philosoph.

Zustand der „wissenschaftlichen Diskussionskultur“

Das sind alles bekannte und angenehm anzuschauende Menschen, aber keiner von denen ist ein aktiv forschender Naturwissenschaftler, der befähigt wäre, Substantielles zur Wissenschaft zu sagen. Das ist, etwas überspitzt gesagt, der Zustand der „wissenschaftlichen Diskussionskultur“ hierzulande.

Die Redaktionen der Talkshows bestehen natürlich aus Menschen, die keine naturwissenschaftliche Ausbildung haben, sondern aus Medienleuten, die gelernt haben, zu unterhalten und Kontroversen zu schüren. Aufklärung und Erkenntnisgewinn ist nicht Programm, das verkauft sich nicht.

Wissenschaftler ist nicht gleich Wissenschaftler

Sich mit Mathematik auszukennen, experimentelle Kenntnis oder statistische Methodik zu verstehen, sind keine Einstellungsvorrausetzungen. Wissenschaftliche Grundkenntnisse sind aber notwendig, um einschätzen zu können, wer wirklich etwas weiß und versteht. Ein Virologe kann mehr oder weniger gut zur Behandlung einer bestimmten Virenkrankheit sagen als ein Epidemiologe, der mehr oder weniger gut modellieren kann wie sich, mit Kenntnis der Parameter der Krankheit der Bevölkerung etc., die Verbreitung und Bekämpfung wahrscheinlich gestalten könnte.

Virologen und Epidemiologen sind nicht das Gleiche, selbst das scheint vielen Medienleuten nicht bekannt zu sein. Nun hat die Leopoldina, unsere Nationale Akademie der Wissenschaften, sich zu Maßnahmen in der Corona-Krise geäußert. Gut so. Kluge und erfahrene Wissenschaftler (wenn auch direkte virologische oder epidemiologische Fachkenntnis in der Kommission weniger stark vertreten ist) wagen, Empfehlungen vorzubringen. Und was passiert?

Wer hat das Recht zu kritisieren?

Jedem, der sich „Experte“ nennt, oder sich zu den üblichen Opfergruppen und Interessenvertreterinnen zählt, wird ein Forum geboten, um die Wissenschaftler zu kritisieren. Jeder hat eine starke, meist vorgefestigte Meinung und kritisiert, dass zu wenig Frauen in der Leopolidina-Kommission waren, oder dass die Belange alleinerziehende Mütter nicht genügend berücksichtigt worden seien.

Völlig nebensächlichen Argumenten wird Platz oder Zeit in den Medien gegeben. Warum? Gerade in der Corona-Krise findet ein unwürdiges und beschämendes Spektakel um Äußerlichkeiten wie sensitive Lippen des einen gegen volle Haarpracht des anderen Wissenschaftlers statt. Fanclubs und Teams für den einen oder anderen Wissenschaftler? Ist dies das Dschungelcamp der Wissenschaft?

Die passende Qualifikation

Können wir bitte insbesondere unter einer promovierten Naturwissenschaftlerin als Kanzlerin mehr Rationalität (und Transparenz) in politischen Entscheidungen haben? Frau Merkel ist eine hervorragende Physikerin und Mathematikerin und hat in ihrer Jugend sogar Preise für Mathematik gewonnen; sie kann – glücklicherweise - lineare von exponentiellen Beziehungen unterscheiden.

Es sollte erkannt und umgesetzt werden, dass Politiker mit abgeschlossenem Studium (mehr als Theologie bitte) und besser noch Berufserfahrung im passenden Ressort die besseren Politiker sind. Aktive Wissenschaftler verstehen am besten, wie Wissenschaft funktioniert.

Die Medien als Feinde der Naturwissenschaft?

Medienleute sollten Naturwissenschaft nicht als Feind sehen, deren Vertretern sie selbst auf Cocktailparties aus dem Weg gehen, weil sie sich nichts zu sagen haben, sondern erkennen, dass Theologen, Philosophen und Soziologen uns in dieser Krise nur bedingt weiterhelfen, wenn es darum gehen muss, wissenschaftlich begründbare Entscheidungen zu treffen.

Und die für unser Land, unsere Wirtschaft und Gesundheit so wichtigen Naturwissenschaftler sollten den Mut aufbringen, sich öfter öffentlich zu äußern und vielleicht sogar vermehrt politische Ämter anzustreben. Sie haben mehr Ahnung, zumindest auf ihrem Gebiet, als selbsternannte Experten oder fachfremde Minister. Es sollte klar und gesellschaftlich gewünscht sein, dass wir gerade jetzt noch mehr echte Expertise und wissenschaftliche Qualifikation brauchen.

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