Wirtschaftspsychologie - „Eine Gesellschaft aus verweichlichten Low-Performern“

Vier Millionen Menschen beziehen Bürgergeld, die eigentlich erwerbsfähig sind. Der Psychologe Florian Becker beklagt eine leistungsfeindliche Ideologie, die schon Grundschulkindern die Selbstverantwortung aberzieht. Eine der Folgen seien wirtschaftliche Erfolgseinbußen im internationalen Wettbewerb.

Wer nie aus seiner Komfortzone herauskommt, entwickelt sich auch nicht weiter / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

So erreichen Sie Ilgin Seren Evisen:

Anzeige

Professor Dr. Florian Becker ist Psychologe und Autor vieler Bücher zu Positiver Psychologie, Führung und Motivation. Er forschte und lehrte lange an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, ist im Vorstand der Wirtschaftspsychologischen Gesellschaft und hat eine Professur an der Technischen Hochschule Rosenheim. In Beratungsprojekten und Vorträgen zeigt er, wie Psychologie Menschen effektiver und glücklicher macht, wie wir Motivation entfesseln und Resilienz aufbauen.  

Herr Becker, Sie schreiben über Positive Psychologie, befassen sich mit der Frage, was Menschen effektiv macht und ihr Potenzial verwirklichen lässt. Nutzt unsere Gesellschaft die Möglichkeiten der Psychologie? 

Unsere Gesellschaft könnte Psychologie viel stärker nutzen. Nur die wenigsten Menschen wissen, wie sie gute Gewohnheiten aufbauen können, schlechte Verhaltensweisen ablegen, in die Wachstumszone kommen oder nachhaltig Glück verfolgen. Entsprechend alarmierend sind viele Daten zu unserer Gesellschaft. 

Beispielsweise verbringen Deutsche im Schnitt über fünf Stunden täglich nur mit Fernsehen, Videostreaming und Computerspielen. Mehr als die Hälfte der Erwachsenen sind übergewichtig, viele haben große Probleme damit, Wohlstand oder auch nur finanzielle Sicherheit zu erreichen. Und etwa ein Drittel der Bevölkerung klassifiziert sich selbst in anonymen Umfragen als psychisch erkrankt. Dazu kommt, dass viele Menschen überhaupt nicht lieben, was sie beruflich tun. Vier von zehn würden sofort aufhören zu arbeiten, wenn sie es sich leisten könnten. Ein gelungenes Leben sieht anders aus.

Was läuft falsch? 

Florian Becker / privat

Psychologisch betrachtet einiges. Es fängt bei den Kleinsten an. Nahezu sämtliche Indikatoren der Bildungsleistung sind seit Jahren im Sinkflug, oft seit Jahrzehnten. So erreicht etwa ein Viertel der Kinder nach der Grundschule weder im Lesen noch Schreiben die Mindeststandards. Doch immer mehr kommen aufs Gymnasium. Das geht dann dort so weiter. Auch da können die Kinder immer weniger, doch sie bekommen ein immer besseres Abitur. Etwa 40 Prozent der Abiture haben jetzt eine Eins vor dem Komma. 

Die jungen Menschen kommen dann zu uns an die Hochschulen und Universitäten und eine wachsende Zahl davon können leider nicht das, was sie laut ihren Zeugnissen können sollten. Wir versuchen sie dann mit intensiven Vorbereitungskursen vor dem Studienbeginn in Mathematik und Physik überhaupt halbwegs studierfähig zu bekommen. Gleichzeitig nehmen wir hin, dass etwa 17 Prozent der jungen Menschen nach OECD-Daten einfach völlig ohne jeden höheren Schulabschluss oder Berufsabschluss bleiben. Die Perspektive ist dann bestenfalls Hilfsarbeiter, oft Bürgergeld. 

Kurz gesagt: Wir haben als Gesellschaft die Standards jedes Jahr weiter abgesenkt, verlangen immer weniger und erlauben immer mehr. Und das liegt aus meiner Sicht an ziemlich verdrehten und falschen ideologischen Vorstellungen über Psychologie und unter welchen Bedingungen sich Menschen gut entwickeln. 

Von welchen Fehlvorstellungen sprechen Sie? 

Im Kern dreht es sich um die falsche Annahme, dass wir Kindern etwas Gutes tun, indem wir sie nicht fordern und jede Art von Herausforderung und Möglichkeit zu scheitern von ihnen fernhalten. Das fängt bei Eltern an, die ihr Kind täglich feiern und auf ein Siegerpodest stellen, auch wenn es keinen Anlass dafür gibt. Es gibt den Trend zu Helikopter-Eltern, die jede noch so kleine Herausforderung für ihr Kind aus dem Weg räumen wollen. Und dieses Denken erstreckt sich dann weit in das Schulsystem hinein. 

Lobbyisten haben beispielsweise durchgesetzt, dass es keinen echten Wettbewerb mehr bei Bundesjugendspielen in den Grundschulen geben darf. Ein Argument war, dass Kinder traumatisiert werden könnten, wenn sie dort nicht so erfolgreich wie andere sind und nur eine Teilnehmerurkunde bekämen. Sind wir ehrlich: Wenn mein Kind dadurch traumatisiert wird, dass es bei einem Wettbewerb nicht zu den Besten gehört, dann ist doch vorher schon einiges völlig falsch gelaufen und es gibt gröbste Defizite bei der Resilienz. Aktuell läuft zudem der Lobbyismus gegen Schulnoten auf Hochtouren, die sollen weg in den Grundschulen. Ein Argument dabei ist, dass sie leistungsschwache Kinder demotivieren würden. 

Tatsächlich gibt es offenbar Studien, die zeigen, dass differenzierte Rückmeldung besser ist als abstrakte Noten. Und auch einige skandinavische Länder haben gute Erfahrungen damit, zumindest gute Ergebnisse in Bildungsstudien wie PISA. Was spricht also für Noten? 

Ja, tatsächlich zeigen Experimente, dass differenziertes Feedback effektiver ist als abstrakte Noten. Doch Experimente zeigen auch, dass beides zusammen, also Noten und differenzierte Rückmeldung in der Kombination, am aller effektivsten ist. Doch diesen Befund unterschlagen die Lobbyarbeiter, die auf eine Abschaffung der Noten hinwirken. Lehrkräfte sollten also beides tun: Abstrakte Noten geben und differenziert erklären, wie und warum diese zustande kommen. 

Auch das Beispiel der skandinavischen Länder wird sehr selektiv wiedergegeben. Einige Länder haben die Abschaffung der Noten zeitlich verzögert in verschiedenen Grundschulen umgesetzt. Dadurch kann man sehr gut die Effekte analysieren. Tatsächlich werden leistungsschwache Kinder durch Noten tendenziell demotiviert. Doch die leistungsstarken Kinder werden dadurch eben tendenziell motiviert. Von Noten profitieren offenbar zudem besonders Kinder aus sozial schwächeren Familien und Mädchen. 

Man ist also offenbar entschlossen, die Interessen aller anderen zu opfern, damit diejenigen, die besonders leistungsschwach sind, sich besser fühlen. Das ist typisch für das aktuelle ideologische Denken in Deutschland. 

Welche Ideologie nehmen Sie wahr? 

Mir scheint, dass wir eine Gesellschaft geworden sind, die Unterschiede im Erfolg immer weniger erträgt. Alle sollen jetzt gleiche Ergebnisse haben, egal wie sehr sie sich anstrengen und was sie leisten. Alle sollen jetzt immer gleich erfolgreich sein. Daher soll es keine Noten mehr geben, keinen Wettbewerb. Manche Menschen verbringen ihr Leben auf der Suche nach immer neuen sogenannten Gaps, die unbedingt geschlossen werden sollen. Sie bekämpfen jede Art der Leistungshierarchie und Unterschiede im Erfolg im Leben generell. Der Kern-Gedanke dahinter ist: „Wo es gute Ergebnisse gibt, da gibt es eben auch schlechte. Das ist nicht schön für die wenig erfolgreichen Kinder. Niemand sollte mehr erfolgreicher als alle anderen sein dürfen! Dann ist es gerecht.“ So denken mittlerweile viele. 

Wir sind in einer Gesellschaft angekommen, die Erfolg bekämpft, weil es keinen Misserfolg mehr geben darf. Statt die Schwachen zu fördern, wählt man leider oft den Weg die Starken zu schwächen. Man schneidet sozusagen allen anderen die Beine ab, damit alle gleich klein sind. Ich kann mich beispielsweise noch erinnern, als das Spendenkonto im Kindergarten unserer Kinder geschlossen wurde. „Das geht nicht mehr. Die Stadt will nicht, dass manche Kitas mehr Geld haben als andere. Wir kaufen davon dann ja eine schönere Schaukel oder neue Bastelsachen. Das ist für die anderen dann traurig, die das nicht haben.“ hieß es. 

Was ist schlecht daran, wenn jetzt alle erfolgreich sind? 

Statt Kindern nur psychologisch zu simulieren, dass sie stark sind, brauchen wir echte starke Kinder. Einfach immer bessere Noten geben oder Noten ganz abschaffen, das ist ja kein echter Erfolg im Sinne einer tatsächlich höheren Leistungsfähigkeit. Man kann das am besten beschreiben mit jemandem, der an seiner Waage manipuliert, anstatt wirklich abzunehmen. Der Erfolg wird zunehmend geheuchelt und simuliert, die objektive Messung verhindert und ehrliche Rückmeldung abgeschafft. Das führt zu zahleichen Problemen in unserer Gesellschaft. Denn ehrliches Feedback ist wichtig, um zu lernen und zu wachsen. 

Wie sollen Kinder Fortschritt sehen, wenn es keine klare und ehrliche Messung gibt? Und wie sollen Kinder sehen, wo sie wirklich stehen, wenn es für alle verzerrte Nachrichten gibt, nach dem Motto: Du bist ein ganz ein Toller! Der reine Fokus auf die Schwachen entwertet zudem die Leistung der wirklich Exzellenten. Wenn alle eine Eins haben, dann ist die Eins nichts mehr wert. Personaler fragen mich schon: „Herr Becker, wie können wir sehen, welche Absolventen wirklich etwas können, die haben ja alle eine Eins?“ Und das größte Problem ist die Art von Meschen, die wir mit diesem System erzeugen. 

Welche Art Menschen erzeugt dieser Ansatz, der immer weniger fordert und dennoch allen gute Ergebnisse verspricht? 

Im Kern erzeugen wir so schwache und demotivierte Menschen, die überhaupt nicht mehr mit Misserfolg, Widerstand und dem Erfolg von anderen umgehen können. Sie lernen, dass scheinbarer Erfolg auch ohne Leistung kommt. Sie mussten nie nach einem Misserfolg wieder aufstehen. Sie haben sich an ein Leben in der Komfortzone gewöhnt. Dort bleiben sie und kommen nicht in die Wachstumszone. Am besten kann man das mit einer Pflanze vergleichen, die immer im Gewächshaus war, geschont und geschützt wurde vor Sonne, Wind, Schädlingen und Trockenheit. Wenn diese Pflanze dann auf einmal raus in die Natur kommt, dann hat sie keine Chance. 

Ähnlich geht es mittlerweile vielen Jugendlichen, die in den Arbeitsmarkt und das echte Leben eintreten. Ein Unternehmer hat mich neulich gefragt: „Wir haben zunehmend Azubis, die anfangen zu weinen, wenn wir ihnen ganz normal Rückmeldung zu ihrer Leistung geben. Wie können wir damit umgehen?“ Da wir die Standards überall immer weiter senken, sind wir auf dem Weg in eine Gesellschaft aus verweichlichten Low-Performern. Mit diesen Gewächshaus-Menschen werden wir international nicht bestehen. 

International nicht bestehen hört sich dramatisch an. Woran machen Sie das fest? 

An vielen Punkten. Wir erleben einen Abstieg in fast jeder Form. Deutschland fällt im World Competitiveness Ranking 2023 auf dem 22. Platz. Im Vorjahr war es noch der 15. Platz. Das bedeutet Wohlstandsverlust für fast alle. Selbst der IQ sinkt in wesentlichen Feldern seit circa 30 Jahren. Das als Anti-Flynn-Effekt bekannte Phänomen ist eine Bedrohung für unsere Zukunft als Wissensgesellschaft. Eine Rolle dabei spielt offenbar auch die wachsende Überzeugung bei Schülern, dass Leistung sich in unserer Gesellschaft nicht lohnt. Entsprechend weniger strengen sie sich an, hören auf, ihr Gehirn zu trainieren. Doch der Trend zum Leben in der Komfortzone stoppt natürlich nicht nach der Schule, sondern erfasst auch die Erwachsenen. 

Derzeit beziehen nahezu vier Millionen Menschen Bürgergeld, die eigentlich erwerbsfähig sind. Sie sind also in einem Alter und Gesundheitszustand, dass sie gut arbeiten könnten. Doch sie arbeiten entweder so wenig oder so wenig effektiv, dass sie von Transfers der anderen leben. Das zu ändern ist offenbar eine zunehmende Herausforderung. So konnten nach Medienberichten 110.000 Mitarbeitende der Bundesagentur für Arbeit und Jobcenter im Jahr 2022 nicht einmal mehr 104.000 Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger vermitteln. Rechnerisch ist das also nicht einmal mehr eine Person im Jahr je Mitarbeiter. 

Gleichzeitig wandern jedes Jahr über 250.000 Deutsche aus, die meisten hochqualifiziert, die meisten kommen nicht wieder. Viele davon suchen eine Gesellschaft, in der Leistung sich lohnt. Das alles hat vielleicht für viele Menschen auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Doch für mich ist das wie die Blätter eines Baumes, die an eben diesem einen Baum wachsen. Und dieser Baum ist eine zunehmend verquerte Ideologie und Psychologie in unserer Gesellschaft. 

Wo können wir ansetzen, um eine positive Psychologie in der Bevölkerung zu erreichen? 

Die aktuellen Mickey-Mouse-Standards verhindern, dass Kinder in die Wachstumszone kommen, sich zu der Person entwickeln, die sie werden könnten. Doch ein Mensch, der nicht gefordert wird, der immer in seiner Komfortzone bleibt, der entwickelt sich kaum. Wichtig ist, dass Kinder lernen mit Misserfolg umzugehen, diesen als Ansporn verstehen, wieder aufstehen, sich anstrengen, anstatt zu resignieren. Kinder brauchen Herausforderungen, ambitionierte Ziele und Wettbewerb, um daran zu wachsen. 

Wir brauchen darüber hinaus eine sinnvolle Fehlerkultur, in der es o.k. ist zu scheitern, wenn wir daraus lernen und daran wachsen. Wir brauchen Menschen, die gelernt haben, immer einmal mehr aufzustehen, als sie hinfallen. Und dafür brauchen wir eine umfassende Wende im Mindset der gesamten Gesellschaft. 

Wir können nicht weiter alle anderen opfern, nur damit die leistungsschwächsten sich besser fühlen. Ziel ist eine zukunftsfähige Gesellschaft, in der der Exzellente Vorbild ist – und nicht Low-Performer die Helden, um die sich alles drehen muss und die den anderen sagen, wo es lang geht. Auch bei den Erwachsenen sind die Standards an Eigenverantwortung, Handlungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft wieder anzuheben. 

Wenn Sie sagen Wende im Mindset, dann hört sich das noch wenig konkret an… 

Es gibt tatsächlich viele konkrete Ansatzpunkte, die ich anfangs schon angesprochen habe und auch in meinem neuen Buch „Positive Psychologie“ zum Thema mache. Für den einzelnen Menschen geht es um Kompetenzen für mehr Fokus, die Entwicklung guter Gewohnheiten, Resilienz, Glücklichkeit, Selbstdisziplin und Motivation. Gesamtgesellschaftlich sehe ich als größtes psychologisches Grundübel das sozialdeterministische Narrativ. Es bedroht unsere Gesellschaft und verhindert Motivation wie wenig anderes. Dieses Narrativ sieht immer gleich aus: „Die Gruppe XY hat auffällig wenig Erfolg, schuld ist die systemisch diskriminierende Gesellschaft, verantwortlich sind die anderen.“ 

Ein Beispiel ist der geringe Bildungserfolg von Kindern aus nicht akademischen oder ökonomisch schwachen Familien. Das wird von Politikern, Medien und auch Wissenschaftlern oft schnell als reine Folge einer systemisch diskriminierenden Gesellschaft und mangelndem Geld für die betroffenen Familien dargestellt. Nach dem Motto: „Skandal! Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien haben nur viermal so kleine Chancen auf einen Bachelorabschluss.“ Meist wird das dann mit der Forderung nach mehr Geld für Eltern kombiniert und damit, dass endlich gleiche Bildungschancen hergestellt werden müssten. 

Tatsächlich gibt es ja solche Zusammenhänge. Etwa zwischen sozialer Schicht und Bildungserfolg. 

Richtig. Statistische Zusammenhänge. Nicht Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Was derartige Interpretationen komplett verschweigen, das sind die Ursachen für Bildungserfolg abseits der soziologischen Faktoren. Etwa die Rolle eigener Anstrengung. Oder auch vollkommen unterschiedliche Voraussetzungen von Kindern bei Intelligenz und Selbstdisziplin je nach sozialer Schicht und Elternhaus. Beide, IQ und Selbstdisziplin, sind starke psychologische Prädiktoren für Bildungserfolg. Und beides ist in erfolgreicheren gesellschaftlichen Schichten deutlich stärker ausgeprägt und gleichzeitig zu mindestens 50 Prozent vererbbar. Dass Kinder mit ökonomisch und akademisch erfolgreichen Eltern tendenziell ihre Peers outperformen, ist folglich erwartungskonform. Wie könnte es nicht so sein? Bildungserfolg ist also ein multikausales Phänomen mit soziologischen, genetischen und psychologischen Aspekten. 

Die verbreitete rein soziologische Interpretation von Erfolg hat schlimme psychologische Konsequenzen, denn es ist eine demotivierende Botschaft: „Die anderen sind zuständig für deinen Erfolg. Du selbst hast keinen Einfluss. Es ist die Gesellschaft.“ Damit blenden wir die Rolle eigener Anstrengung, Leistungsbereitschaft, Disziplin und von Entscheidungen, die Personen selbst für ihr Leben treffen, komplett aus. Letztlich sagen wir den Menschen damit: „Die andere sind schuld, dass du nicht erfolgreich bist.“ Und leider ist es genau diese falsche und schädlichen Botschaft, die unsere Gesellschaft den jungen Menschen suggeriert. Damit erzeugen wir Passivität. 

Das sozialdeterministische Narrativ demotiviert also. Welche Botschaft sollten wir jungen Menschen stattdessen mitteilen? 

Wir brauchen aus meiner Sicht proaktive Persönlichkeiten, statt passive Personen. Es geht darum, hohe Selbstwirksamkeit aufzubauen. Das erfordert eine völlig andere Botschaft mit einem Fokus auf psychologische Aspekte. Sie lautet: „Du bist kein passives Opfer der Gesellschaft, du bist aktiver Gestalter deines Lebens. Du bist, was du entscheidest zu werden.“ Damit wenden wir den Blick auf Dinge, die junge Menschen selbst ändern können, die in ihrer eigenen Hand liegen. Wir geben den Menschen die Macht über ihr Leben und ihre Zukunft zurück. Das motiviert. 

Da spreche ich auch aus eigener Erfahrung. Ich war lange Zeit schlecht in der Schule. Bis ich mich eben dazu entschieden habe gut zu sein, weil ich Psychologie studieren wollte. Ich habe mich aktiv dazu entschieden. Und ich habe dafür Opfer gebracht. Ich bin überzeugt: Jeder gesunde Mensch kann in Deutschland erfolgreich sein, in fast jedem Bereich, der mit Anstrengung und Leistung zu tun hat. Wir treffen Entscheidungen. Ja, es hat seinen Preis, doch wir gestalten unser Leben in großen Teilen selbst. Und genau das sollten wir gerade jungen Menschen sagen. Immer wieder.

Das Gespräch führte Ilgin Seren Evisen.

Anzeige