„Wetten dass..?“: Ein dickes blondes #Wirsindmehr - Thomas Gottschalk und das Rätsel der hasserfüllten Reaktionen

Mehr als 14 Millionen TV-Zuschauer sahen die Wiederbelebung von „Wetten, dass..?“ im ZDF. Das wirft Fragen auf. Zum Beispiel: Sendet der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seiner Strategie aus Verjüngung und Digitalisierung zunehmend am Publikum vorbei? Kein Wunder, dass es auf den Quoten-Erfolg auch heftige Reaktionen gab.

Michelle Hunziker und Thomas Gottschalk / dpa
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Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Wenn die Wiederbelebung einer längst eingestellten ZDF-Show sogar in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen die absolute Mehrheit holt, dann sollte das der kommerziellen TV-Konkurrenz schwer zu denken geben. Könnte man meinen. Tatsächlich geschah vor genau einer Woche das Gegenteil: Die Privaten freuten sich, gratulierten sogar, holten umgehend „TV Total“ aus der Mottenkiste, um sich – mit Erfolg – an einen vermeintlichen oder tatsächlichen Trend anzuhängen. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten stürzte der sensationelle Quotenerfolg von „Wetten, dass..?“ dagegen in eine mittlere Sinnkrise.

Es hätte eigentlich nicht passieren dürfen. Quasi ein Triumph aus Versehen. Die große Neuorientierung, Verjüngung, Digitalisierung, Diversifizierung, Nonlinearisierung – alles, wovon die gebührenfinanzierten Intendanten seit geraumer Zeit rund um die Uhr reden, ohne den Eindruck zu vermitteln, es wirklich verstanden zu haben – all das steht mit einem Mal in Frage. Die da lautet: Sind wir drauf und dran, in Zukunft erst recht an unserem Publikum vorbeizusenden? Acht, neun Millionen Zuschauer, im Idealfall sogar an die zehn – damit hatte man auf dem Mainzer Lerchenberg, wo das ZDF zuhause ist, gerechnet. Aber mehr als 14 Millionen – das war ein Schock am Sonntagmorgen. Denn es zwingt zu Entscheidungen und provoziert Konflikte in der Belegschaft, die man in den Chefetagen vermeiden wollte.

Ist nicht in Wirklichkeit das lineare, das gemeinsame Fernseherlebnis ein Ereignis, das unseren Laden, unsere Gesellschaft noch zusammenhält, ein Prinzip, das wir in diesen Zeiten erst recht pflegen sollen, anstatt es zehnmal täglich als aus der Zeit gefallen zu diskreditieren? Sind wir auf dem Holzweg, wenn wir dafür sorgen, dass zwar jeder jederzeit überall alles abrufen kann, es sich dann aber mutterseelenallein reinzieht und nur noch seinen Hund hat, mit dem er darüber reden kann? Ist lineares Fernsehen nicht das Problem, sondern im Gegenteil mindestens Teil der Lösung?

Ach du liebe Güte!

Im Bayerischen Rundfunk führte das TV-Ereignis zu beinahe pathologischen Reaktionen. Besäße Harald Schmidt neben einem Nazometer neuerdings auch ein Hassometer und hätte er mit diesem einen kleinen Spaziergang durch München gemacht – es wäre bereits bei Annäherung an den Sender ausgeflippt und hätte sich totgepiepst. Auf der Suche nach der Ursache steht man ratlos davor.

Thomas Gottschalk war an jenem Samstagabend weder besonders brillant noch besonders schlecht drauf – er war einfach wie immer, nur dass diesmal nicht er seiner Assistentin Michelle Hunziker ans Knie fasste, sondern sie an seines. Und Hunziker ist nicht nur gerne Frau, sondern zeigt es auch noch. Ach du liebe Güte! Schon diese Szene wurde in einschlägigen Kreisen der Erleuchteten und Erwachten als übelste Verhohnepiepelung der gesamten MeToo-Kampagne wahrgenommen. Ein schwerer Rückschlag für eine weltweite Bewegung.

Der Vorfall ließ einen BR-Kommentator namens Hardy Funk vor lauter Fremdscham unter die Bettdecke kriechen. Als er wieder hervorlugte, die Sendung war noch keine halbe Stunde alt, da witterte der Ärmste bereits einen „über Bande ausgetragenen Lagerkampf der zwei großen gesellschaftlichen Blöcke in diesem Land“. Eine Stunde später erschien Gottschalk ihm sogar als Antreiber einer Armee alter weißer Männer, „die auf ihren alten Privilegien beharren“ und nichts Besseres zu tun haben, als denen das Leben sauer zu machen, „die solch paternalistisches Verhalten als deplatziert empfinden“. Thomas Gottschalk – für Hardy Funk ein Alexander Gauland in bunt; halb so politisch, aber doppelt so gefährlich.

Stalingrad der Woken

Wie stets, geht es auch hier ums Geld. Selbst ARD und ZDF können jede Milliarde nur einmal ausgeben. Da käme nichts ungelegener als eine Diskussion, die die massenhafte Umschichtung von Etatmitteln weg vom linearen Fernsehen hin zu den Mediatheken – mit Produktionen, die teils nur noch für das Internet entstehen – auf den letzten Metern noch in Frage stellt. Gottschalks Erfolg droht den jungen, hippen Diversity- und Genderbeauftragt*innen in den Anstalten, die TikTok, YouTube und Instagram hundertmal besser kennen als die Tagesschau, in die Parade zu fahren und im Gewande eines Kulturkampfs eine Verteilungsdebatte neu zu eröffnen, die sie bereits gewonnen glaubten.

Der Kölner TV-Autor Andreas Hutzler erkannte in Gottschalks Quoten gar „das Stalingrad der Woken“. Oha, starker Tobak – aber der Aufschrei der Twitter-Dauerempörten sollte ihn in seiner Diagnose bestätigt haben. „Da kommt also ein blonder Senior und sagt in den ersten zehn Minuten seiner Show, dass ihm Shitstorms scheißegal sind, dass ihm das Gendern scheißegal ist, und dass es ihm scheißegal ist, wenn sich wer beschwert, dass er gern touchy ist. Und 13,8 Millionen Menschen gucken zu und freuen sich. Aus der Quotenmagie ins Deutsche übersetzt bedeutet das: jeder hat die Show gesehen. Einfach jeder.“

Kein N-Wort, kein Z-Schnitzel

Was Leute wie Hardy Funk vom Bayerischen Rundfunk noch mehr erschüttert haben dürfte: Die ubiquitäre Wir-sind-mehr-Behauptung, ins Feld geführt gegen alles und alle, die als strukturell weiß, hetero, privilegiert und stellenweise einwanderungskritisch verdächtigt werden; diese Erzählung also bekommt ein Problem, wenn sich Fernsehdeutschland an einem ursprünglich harmlosen Samstagabend zu einem Nostalgietreffen versammelt mit einem Vorturner, der alle diese Kategorien und Zwangsverortungen offenbar nicht so recht ernst nehmen will und das gleich zur Begrüßung sagt.

Dabei kann man die vier Stunden vor- und zurückspulen, so oft man will: Einen wirklich bösen, gar gehässigen, irgendwen diskriminierenden Satz des Moderators wird niemand entdecken. Kein N-Wort, kein Z-Schnitzel, keine M-Apotheke weit und breit. Wer anderes behauptet, beweist damit nur, wie heftig ihm in den vergangenen fünf Jahren die Maßstäbe verrutscht sind. Die „Diffamierungen“, von denen Funk faselte, existieren nur in seiner Fantasie. Hier scheint im Kleinhirn ein Normal-Skandal-Wandler zu arbeiten, der aus harmlosen Sprüchen angeblich sexistische und rassistische Attacken konstruiert.

Ein spätes Coming-Out

Gottschalk ist kein intellektuelles Highlight der deutschen Bühnenlandschaft, hat dies auch nie behauptet. Ihm „schmierige Onkeligkeit“ zu unterstellen, wie es der Bayerische Rundfunk tat, ist aber von genau jener Niedertracht, die der Kommentator dem 71-Jährigen unterstellt, ohne sie auch in einem einzigen Fall beweisen zu können.

Herr Funk sollte sich vielmehr mit dem Gedanken anfreunden, dass es sicherlich irgendwo „zwei große gesellschaftliche Blöcke“ geben mag – er aber zu keinem der beiden gehört. Anscheinend hat Thomas Gottschalk etwas intuitiv sehr richtig gemacht, wenn „Wetten, dass..?“ solche Selbstentlarvungen hervorbringt. Als Enthüllungsjournalist kannte man ihn bisher gar nicht. Ein spätes Coming-Out also, dafür umso beeindruckender. Zweimal im Jahr könnte man sich das sehr gut wieder vorstellen. Wer damit nicht klarkommt, muss das Problem bei sich selbst suchen. Denn dort liegt es – und nirgendwo sonst.

 

 

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