Weihnachtspredigten - Predigt nicht!

Weihnachten ist ein schönes Fest, aber noch schöner ohne Weihnachtspredigten. Ein Appell wider die Politisierung der Freude in der Kirche

Das geheime Motiv hinter vielen Weihnachtspredigten: Kanzelstolz / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

So erreichen Sie Alexander Kissler:

Anzeige

Vor knapp 90 Jahren schrieb Gilbert Keith Chesterton einen seinen schönsten Essays unter dem Titel „Wenn ich nur eine einzige Predigt halten könnte.“ Diese Frage stellt sich den hauptamtlichen Predigern, Pfarrern und Priestern in der Vorweihnachtszeit nicht. Sie wissen, sie werden zwischen Heiligem Abend und Stefanstag mehr als eine Predigt halten und vor größerem Publikum als gewöhnlich. Weihnachten ist attraktiv geblieben für breite Schichten, konsensfähig und brauchtumstauglich auch in säkular geprägten Regionen. Weihnachten wäre eine Chance für ein Christentum in selbstverschuldeter Defensive. Doch es ist zur Belastung geworden. Denn an Weihnachten gibt es Weihnachtspredigten.

Plumpe Politisierung und moralische Schaumbläserei

Die Predigten zum Christfest 2018 sind noch nicht alle gehalten. Es wäre indes ein Weihnachtswunder, würden sie nicht wie in den Vorjahren an vielen Orten genutzt für sachferne Erwägungen, für plumpe Politisierung zu gegenwärtigen Zwecken. Auf desto höherer Stufe sich der Prediger auf der ekklesialen Karriereleiter befindet, desto gewaltiger ist die Gefahr, dass das große Publikum mit großen Phrasen kujoniert wird. Darauf deuteten alle Vorzeichen, etwa die Adventspredigt des Herrn Dr. Georg Bätzing, seines Zeichens katholischer Bischof in Limburg an der Lahn.

Georg Bätzing ist promovierter Theologe, was ihn nicht davon abhielt, am 2. Dezember eine Predigt aus kontrafaktischen Versatzstücken und moralischer Schaumbläserei zu halten. Bätzing verbog Jesus zum „Kronzeugen dieses göttlichen Idealismus“, dem „gesundes Leben, sauberes Wasser und saubere Luft“ ein Anliegen seien, verstieg sich zur abgestandenen Formulierung, „wir Christinnen und Christen leben echt alternativ“, und verkündete, von keines Gedankens Blässe angekränkelt: „Noch nie war die Welt so bedroht, so gefährlich und gewaltvoll wie heute.“ Der Dreißigjährige Krieg – ein Kindergeburtstag? Zwei Weltkriege – gemütliche Freiluftveranstaltungen? Maos Kulturrevolution – ein spannendes Experiment? Der Gulag – es gibt Schlimmeres? Die Roten Khmer – fehlgeleitete Reformer? Von den Seuchen, Verheerungen, Sterberaten des Mittelalters haben wir noch gar nicht gesprochen.

Themenauswahl zwecks Spendenakquise 

Georg Bätzing predigte wider besseres Wissen. Natürlich weiß der Bischof, dass die heutige Welt deutlich weniger bedroht, gefährlich und gewaltvoll ist als fast alle Welt zuvor. Warum sagt er es nicht? Weil seine Predigt der Spendenakquise diente. Er trommelte mit kontrafaktischen Phrasen für das bischöfliche Hilfswerk Adveniat. Und wenn das Geld im Beutel klingt, der Bischof vor Freude in die Höhe springt? So einfach ist das, so bitter. Wie aber soll man kirchliche Verkündigung ernst nehmen, wenn sie mit der Wirklichkeit verfährt, als wäre sie Wachs, das in jede Form gebracht werden kann?

Auf der anderen Seite des ökumenischen Korridors sieht es nicht besser aus. Zum Weihnachtsfest des Jahres 2015 steuerte Gerhard Ulrich, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, ein Muster an Geistvergessenheit bei. Ulrich, ehemals Direktor eines kirchlichen Prediger- und Studienseminars, erklärte, Christus sei „ans Kreuz genagelt worden, weil er für eine offene Gemeinschaft gelebt hat.“ Gott kenne „keine Obergrenzen, wenn es um die Elenden geht.“ Christus „lebt die Integration“. Christen müssten für „einen wirksamen Schutz des Klimas, für soziale Gerechtigkeit hier und weltweit eintreten.“

Wo soll man da anfangen, wo enden? Mit dem zarten Hinweis, dass Gott und Staat nicht dasselbe sind? Dass Jesus nach allgemein christlicher Lehre in die Welt kam, um die Menschen von ihren Sünden zu erlösen, nicht, um im antiken Vorderasien eine „offene Gemeinschaft“ zu begründen? Dass er nicht den Weg zur gelingenden Integration, sondern jenen in den Himmel zeigen wollte? Dass die Begriffe des 21. Jahrhunderts keine Wirklichkeit vor 2000 Jahren beschreiben können? Ach, es wird uferlos.

„Betet und schweigt, aber predigt nicht!“

Es gibt Ausnahmen. Hie und da, oft eher am unteren Ende der Karriereleiter gibt es die mitreißende, kluge, nachdenkliche Ausdeutung von Weihnachten, der vor Chestertons Mahnung nicht bange sein muss. Der nämlich schrieb anno 1929: „Wenn ich nur eine einzige Predigt halten könnte, müsste es eine Predigt gegen den Stolz sein. Je mehr ich das Leben kennenlerne und besonders das moderne praktische Dasein, desto mehr überzeugt mich die alte religiöse These, dass alles Böse mit dem Hochmut anfing. (…) Stolz besteht darin, dass der Mensch seine eigene Person und nicht die Wahrheit zum Maßstab aller Dinge macht.“ Womit vermutlich das geheime Motiv hinter vielen Weihnachtspredigten benannt ist: Zerknirschungsstolz, Moralstolz, Kanzelstolz.

Was also tun? Feiert Weihnachten, ihr Menschen, wo und mit wem ihr mögt. Es ist ein schönes Fest, eine große Erzählung, der Anfang einer Hoffnung, die nicht endet. Und ihr Prediger, wenn ihr wirklich einmal beweisen wollt, was ihr phrasenhaft beschwört landauf, landab, Land unter, dass ihr nämlich einen neuen Aufbruch wagen, Überkommenes überwinden wollt: Dann verzichtet auf die Predigt in euren Gottesdiensten. Lasst die Posaune erschallen und die Orgel brausen, schwenkt den Weihrauchkessel, singt, betet und schweigt, aber predigt nicht. Und wenn ihr doch predigen wollt: Dann predigt nicht. Frohe Weihnachten.

Anzeige