Waldorfschule Berlin - Lasst unsere Kinder in Ruhe lernen!

An einer Berliner Waldorfschule wird ein Kind abgelehnt, weil dessen Vater AfD-Politiker ist. Das ist ein diskriminierender Skandal. Aber auch jene, die sich nun als Opfer wähnen, tragen die politische Spaltung in unsere Schulen

Schüler sollen sich frei entfalten können / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Nennen wir ihn Friedrich. Friedrich besucht den Waldorf-Kindergarten in Berlin-Südost. Friedrich fühlt sich in diesem Kindergarten wohl. Er ist gerne draußen in der Natur. Er schafft sich die Welt, widde widde wie sie ihm gefällt – aus Blättern, Stöcken und Naturmaterialien. Er weiß noch nichts von der Waldorf-Philosophie. Er lebt sie: „Unser Ziel ist es, aus allen Kindern der Gruppe mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen sowie soziokulturellen Hintergründen eine Gemeinschaft bilden.“

Friedrichs heile Welt hat jetzt einen Riss bekommen. Um Friedrich ist ein politischer Streit entbrannt, in dem alle die Gegensätze aufeinander prallen, die die Gesellschaft immer weiter zu spalten drohen. Rechts, links. Rational. Irrational. Friedrich kann nichts dafür. Es liegt an seinem Vater. Der ist Berliner AfD-Abgeordneter. Sein Parteibuch ist Schuld daran, dass Friedrich nicht die weiterführende Waldorf-Schule besuchen darf. Nein, man hat sich nicht verhört. Die Schule befürchtet, dass der Vater des Kindes mit seiner rechtsnationalen Gesinnung Einfluss nehmen könnte, nicht nur auf Friedrich, auch auf Schule und Schüler. In der Begründung für den Ausschluss heißt es: „Angesichts (des) Konfliktes sieht die Schule keine Möglichkeit, das Kind mit der nötigen Unvoreingenommenheit und Unbefangenheit aufzunehmen“. Beides seien jedoch „Grundvoraussetzungen, um die Entwicklung des Kindes angemessen zu fördern.“

Staatlich bezuschusste Privatschule

Nun steht es der Schule frei, aufzunehmen, wen sie will. Aber immerhin finanziert sie sich nur zu 30 Prozent durch Schulgebühren und zu 70 Prozent durch Steuern. Träger der Schule ist dennoch nicht der Staat, sondern ein Verein. Und der muss eine Auswahl treffen. Die Nachfrage ist größer als das Angebot. Auf 30 Plätze kommen 140 Bewerber. Die Kriterien für diese Auswahl waren schon immer subjektiv. So wie man an einer evangelischen Schule zwar kein Christ, aber bereit sein muss, am evangelischen Religionsunterricht teilzunehmen, so sollten Waldorf-Kinder zur Philosophie der Schule passen. Der Papa, der mit quietschenden Reifen im SUV auf dem Bürgersteig vor der Schule parkt, um seinen Nachwuchs zum Biologie-Unterricht im Wald zu chauffieren, passt vielleicht nicht so gut dazu wie der Liegerradfahrer, der der Klasse ein liebevoll selbstgetischlertes Insekten-Hotel für den Schulgarten spendiert.

Aber warum Kinder abgelehnt werden, das muss die Schule nicht begründen. Die Absage kommt Wochen später per Brief ins Haus. In der Regel. Aber der Fall Friedrich fällt aus dem Rahmen. Hier hat ein Vater das falsche Parteibuch. Hier, so heißt es, hätten andere Eltern deshalb gegen die Aufnahme des Kindes protestiert. Wochenlang. Nur deshalb sei der Fall öffentlich geworden. Die Schule habe sich dieser Auseinandersetzung gestellt. Es ist der verzweifelte Versuch, einen Skandal noch schönzureden. Man ist geneigt, von einem PR-Gau zu sprechen.  

Denn die Waldorf-Schule ist kein Staat im Staat. Auch hier gilt das Grundgesetz. Und wie heißt es in Artikel 3: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Vorbestrafter Neonazi oder AfD-Sticker?

Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheres (SPD) hat inzwischen die Privatschulaufsicht eingeschaltet. Die soll den Fall jetzt prüfen: Wird hier ein Kind unzulässig in Sippenhaft genommen? Oder ist es das gute Recht einer Privatschule, Eltern auch aufgrund ihrer politischen Einstellung abzulehnen. Und wenn ja, wo fängt die Auslese an? Muss der Papa ein stadtbekannter Neonazi sein, mehrfach vorbestraft wegen Körperverletzung? Oder reicht es schon, wenn er beim Elternabend mit AfD-Sticker auf dem Revers gesehen wurde?

Ein Riss geht durch die Gesellschaft. Und die Frage, wie wir damit umgehen, dass sich Menschen rechts oder links davon positionieren, hat jetzt auch die Schulen und Kindergärten erreicht. Schon seit einer Weile gibt es einen vom Bundesfamilienministerium geförderten Leitfaden von der Antonio-Amadeu-Stiftung, der besorgten Erziehern Tipps gibt, woran sie erkennen, ob Kinder zu Hause mit dem verbotenen Hitlergruß groß werden oder mit anderen völkischen Gedanken.

Die Broschüre ist gespickt mit Klischees wie dem, ein Faible für Handarbeiten oder Zöpfe bei Mädchen seien ein mögliches Alarmsignal. Die Autoren müssen sich zu Recht die Frage gefallen lassen, ob sie das Personal in Kitas zur Gesinnungsschnüffelei anstiften. Aber sie ziehen sich diesen Schuh nicht an. Sie sprechen von einer rechten Kampagne gegen sie. Es ist das alte Muster. Rechts, links. Rational, irrational.

Auch die AfD schnüffelt nach Gesinnung

Friedrich ist das jüngste Opfer, das zwischen die Fronten dieses ideologischen Stellungskriegs geraten ist. Ein Kind, das noch nicht lesen und schreiben kann, wird stigmatisiert. Es wird bereits in eine Schublade gesteckt, noch bevor es sich seine eigene Meinung bilden kann. Und wo sollte es das lernen, wenn nicht an der Schule?

Doch bevor die AfD jetzt mit dem Finger auf die Waldorf-Schule in Berlin zeigt und ihr Mantra wiederholt, man habe es ja schon immer gewusst, die Schulen seien fest in der Hand „links-grün-versiffter Lehrer“, ein Ort, an dem ihr Nachwuchs systematisch indoktriniert werde, sollte sie sich an die eigene Nase fassen.

Wer schüchtert Lehrer schon seit Monaten landauf, landab mit Dienstaufsichtsbeschwerden ein? Wer ruft Schüler und Eltern dazu auf, linke Lehrer an den Online-Pranger zu stellen? Wer schafft so in den Schulen ein Klima der Einschüchterung der Angst? Wer macht also genau das, wovor er angeblich warnen will?

Weltanschauliche Grabenkämpfe haben weder in Bildungsinstitutionen, noch im dortigen Unterricht etwas suchen. Das müssen sowohl die AfD und die Antonio-Amadeu-Stiftung als auch die Waldorf-Schule in Berlin respektieren. Nehmt unsere Kinder nicht als Geisel für Eure Ideologie! Lasst sie in Ruhe lernen!

Hören Sie dazu auch das Interview, das der Deutschlandfunk zu dem Thema mit Alexander Kissler geführt hat. 

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