Staatliche Parteienfinanzierung - Blaupause für die AfD?

Das Bundesverfassungsgericht hat „Die Heimat“ (früher NPD) von der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen. Führende Politiker sehen in diesem Urteil bereits eine „Blaupause für die AfD“. Doch die wehrhafte Demokratie ist nicht ungefährlich.

Sympathisanten der NPD, mittlerweile „Die Heimat“, während einer Demonstration im Mai 2021 / dpa
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Autoreninfo

Volker Boehme-Neßler ist Professor für Öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikations- recht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Davor war er Rechtsanwalt und Professor für Europarecht, öffentliches Wirtschaftsrecht und Medienrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Technik (HTW) in Berlin.

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Die wehrhafte Demokratie muss ihre Feinde nicht finanzieren. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem Präzedenzfall gegen die NPD, mittlerweile „Die Heimat“, entschieden. Das ist vernünftig, und es entspricht der Verfassung. Aber die wehrhafte Demokratie ist nicht ungefährlich. Denn sie greift zu undemokratischen Mitteln, um die Demokratie zu schützen. Die politischen Reaktionen auf das Urteil zeigen, wie heikel das sein kann.

Finanzierung der politischen Parteien

Der Kampf um die Macht kostet Geld. Deshalb haben politische Parteien einen enormen Finanzbedarf. Die Verfassung hat entschieden, dass die Demokratie in Deutschland eine Parteiendemokratie sein soll. Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, dass die politischen Parteien vom Staat finanziert werden. Wie die staatlichen Gelder verteilt werden, ist eine heikle Frage und naturgemäß immer umstritten. 

Grundsätzlich darf die politische Richtung einer Partei dabei keine Rolle spielen. Der demokratische Parteienwettbewerb funktioniert nur dann, wenn sich auch regierungskritische, verfassungskritische Parteien mit womöglich verfassungswidrigen Inhalten daran beteiligen. Demokratie heißt freier Wettbewerb der Ideen und Argumente, und am Ende entscheidet der Wähler. Alles andere ist keine echte Demokratie. Auch härteste Kritiker von Regierung, Establishment und herrschender Meinung haben Anspruch auf staatliche Finanzierung.

Die Grenzen der Finanzierung 

Eine Grenze allerdings gibt es. Der Verfassungsstaat muss zwar seine harten Kritiker, aber nicht seine echten Feinde finanzieren. Seit 2017 enthält das Grundgesetz ausdrücklich die Möglichkeit, Parteien von der staatlichen Finanzierung auszuschließen. Die Voraussetzung dafür: Die Partei will die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gefährden. 

Ob dieses Kriterium tatsächlich erfüllt ist, entscheidet im konkreten Einzelfall das Bundesverfassungsgericht. Das – im Idealfall – neutrale Gericht entscheidet nicht politisch, sondern verfassungsrechtlich auf der Grundlage handfester Tatsachen. Damit soll nach dem Willen der Verfassung sichergestellt werden, dass die Finanzierung nicht als Waffe im politischen Wettbewerb eingesetzt wird. Über den Ausschluss von den staatlichen Mitteln entscheidet nicht die politische Konkurrenz.

Die NPD als Präzedenzfall

Ende Januar hat das Verfassungsgericht in Karlsruhe die Partei „Die Heimat“ von der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen. Die frühere NPD vertritt nationalsozialistische Inhalte und arbeitet daran, den demokratischen Verfassungsstaat abzuschaffen. Parteiprogramm und politisches Handeln sind von der Vorstellung einer „deutschen Volksgemeinschaft“ geprägt. Die Richter sehen Beweise für eine rassistische, antimuslimische, antisemitische und antiziganistische Grundhaltung. Auch gesellschaftliche Minderheiten sind nach den Vorstellungen der Neonazi-Partei aus der „deutschen Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen. 

Das verstößt gegen den wichtigsten Wert der Verfassung, die Menschenwürde, und den grundlegenden Gedanken der Gleichheit aller Menschen. Die NPD fordert die „Einheit von Volk und Staat“ und propagiert einen autoritären Nationalstaat. Sie macht die Demokratie verächtlich und zielt auf ihre Abschaffung. Das ist krass verfassungsfeindlich, und die Verfassungsrichter schließen die Partei zu Recht von der staatlichen Finanzierung aus.

Blaupause für die AfD?

In ersten Reaktionen sehen führende Politiker in diesem Urteil eine „Blaupause für die AfD“. Vor allem der bayerische Ministerpräsident Söder kann der populistischen Versuchung nicht widerstehen. Auch er sieht das Urteil als eine „Blaupause für die AfD“ und will der Partei den staatlichen Geldhahn zudrehen. Ist das realistisch und seriös? Keinesfalls.

Nicht die politische Konkurrenz, sondern das Bundesverfassungsgericht entscheidet darüber, ob eine Partei von der Finanzierung ausgeschlossen wird. Es reicht nicht, wenn eine politische Gruppierung verfassungswidrige Inhalte vertritt. Das ist im Rahmen der politischen Meinungsfreiheit und des Parteienwettbewerbs selbstverständlich zulässig. Die freiheitliche Demokratie lässt auch ihren Kritikern und Gegnern viel Raum. Das ist es, was eine freiheitliche Demokratie erst ausmacht.

Ein Ende der staatlichen Finanzierung ist erst denkbar, wenn eine Partei in ihrer gesamten Breite verfassungsfeindlich ist und planvoll versucht, den innersten Kern der Verfassung abzuschaffen: die Menschenwürde, den Rechtsstaat und die Demokratie. Die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus sei ein starkes Indiz dafür, hat das Verfassungsgericht einmal gesagt. Das zeigt, wie hoch die verfassungsrechtliche Latte liegt.

Höcke, der Nazi?

Ist Björn Höcke wirklich ein Nazi? Das kann sein. Das Holocaust-Denkmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ zu bezeichnen, wie es Höcke getan hat, ist jedenfalls eine Schande. In manchen seiner Reden und in einem Buch von ihm finden sich tatsächlich Textstellen, die vom Inhalt und vom Duktus her Anklänge an nationalsozialistische Ideen zeigen. Höcke hat auch Anhänger in der Partei, die ähnlich denken. Respekt für die liberale Demokratie haben sie sicher nicht. 
 

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Aber für ein Ende der staatlichen Finanzierung würde das nicht ausreichen. Dafür ist die Ausrichtung der gesamten Partei entscheidend. Andere Spitzenpolitiker der AfD äußern sich dezidiert rechtsstaatlich-demokratisch. Man muss das Parteiprogramm der AfD politisch nicht mögen. Der Autor tut es sicher nicht. Aber es ist nicht verfassungswidrig. Ob das Urteil eine Blaupause für die AfD ist, lässt sich deshalb mit Fug und Recht bezweifeln. Im Ernstfall würde das vom Bundesverfassungsgericht geprüft und entschieden.

Hysterisierung der öffentlichen Debatte

Die politischen Debatten werden immer hysterischer. Die Reaktionen auf das Urteil des Verfassungsgerichts sind ein weiteres Beispiel dafür. Die politischen Akteure setzen – fast reflexhaft – auf Parteiverbote und Grundrechtsentziehungen, beides wenig demokratische Instrumente. Dem Rechtsstaat und der Demokratie angemessen wären stattdessen streitlustige Debatten und intensive Auseinandersetzungen mit sachlichen Argumenten. 

Ein wichtiges Mittel, um öffentliche Debatten emotional anzuheizen und die Gesellschaft in Hysterie zu versetzen, sind die unsäglichen Vergleiche mit Weimar und der Nazizeit. Das „Geheimtreffen von Potsdam“ war – bei Licht betrachtet – ein privates Treffen von politischen Wirrköpfen ohne Einfluss, die verfassungswidrige Ideen ventiliert haben. In einer freien Gesellschaft passiert das jeden Abend an unzähligen Stammtischen, und es ist erlaubt. 

Allen Ernstes wurden in der öffentlichen Debatte dabei Parallelen zur Wannseekonferenz vom Januar 1942 gezogen. Auf dieser Konferenz trafen sich hochrangige Mitglieder der nationalsozialistischen Machtelite und organisierten den Holocaust, die Vernichtung von sechs Millionen Juden in Europa. Der Vergleich ist entweder unfassbar dumm – oder skrupellos perfide. Nur dumm – ein anderes Beispiel – sind Demonstrationsteilnehmer, die bei den großen Demonstrationen der letzten Wochen weiße Rosen verteilten. Eine Anspielung auf die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ in der Nazizeit, deren Mitglieder ihre Aktivitäten mit dem Leben bezahlten. Höcke ist nicht Hitler, die AfD ist nicht die NSDAP – und Berlin ist nicht Weimar. Man muss kein Historiker sein, um das zu erkennen. Der ständige Vergleich mit der Nazizeit relativiert die NS-Herrschaft. Nichts, was heute passiert, ist nur annähernd vergleichbar mit dieser Zeit des schieren Terrors.

Es geht um die Freiheit

Solange die AfD nicht vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig verboten ist, ist sie eine reguläre Partei mit allen Rechten und Pflichten. Das ist jedenfalls die Sicht des Grundgesetzes. Eine Hysterisierung der Debatte und eine Dämonisierung dieser Partei beschädigen die demokratische Kultur. Das Grundgesetz stellt Grundregeln für den politischen Wettbewerb in der Demokratie auf. Werden sie missachtet, wird die Verfassung beschädigt. Sie verliert schleichend an Wirkung. Auf die Dauer geht damit alles verloren, wofür die Verfassung steht: Menschenwürde, Rechtsstaat, Demokratie. Es geht nicht nur um die AfD. In Wirklichkeit geht es um die Zukunft des Rechtsstaats und der Demokratie, wie wir sie kennen – und damit um die Freiheit.
 

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