Urban Priol - „Saskia Esken zieht den Mundwinkel genauso hoch wie Herbert Wehner“

Schlechte Zeiten in der Politik sind gute Zeiten fürs Kabarett. Doch nach fast 40 Jahren auf der Bühne ertappt sich sogar Urban Priol dabei, dass ihm zur Weiter-So-Partei CDU kaum noch etwas Neues einfällt. Dabei, sagt er, sei Kritik an der Regierung so wichtig wie noch nie. Denn viele Journalisten biederten sich der Kanzlerin an

Wünscht sich bissigere Journalistenfrage,:
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Herr Priol, Sie sind „Randbayer“ mit fränkischem Migrationshintergrund. Bereiten Sie sich in Ihrer Heimat  schon auf den politischen Ernstfall in Gestalt eines neuen bayerischen Bundeskanzlers vor? 
Nein, den Ernstfall hatten wir schon mit Leuten wie Strauß, Streibl und Stoiber. Das waren wirklich finstere Zeiten. Momentan würde ich fast sagen, dass wir in Bayern eher in einer gemäßigten Zone leben. 

CSU-Chef Markus Söder sägt immer ungenierter an Merkels Thron. Beunruhigt Sie das nicht? 
Ach, da bin ich sehr gelassen. Wenn man die möglichen Konkurrenten Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Schwarzfeld-Merz sieht, ist Söder fast schon die glimmende Leuchte unter den Teelichtern. 

Söder hat eine 180-Grad-Wende vollzogen, vom rechten CSU-Hardliner, der den AfD Jargon strapaziert – zum frauenfreundlichen Vorzeige-Grünen. Was sagen Sie zu dieser Verwandlung? 
Na ja, zum Vorzeige-Grünen fehlt ihm doch noch einiges. Er klaut aber gern grüne Ideen – nur um sie dann in die Schublade zu legen, damit sie wieder in Vergessenheit geraten. Aber es stimmt schon. Er ist sehr, sehr sanft geworden. Ich weiß nicht, wo die ganzen Kreidevorräte herkommen. Vielleicht haben sie vor Dover von den Felsen was abgekratzt. 

 

Für die Fotografen hat er jetzt sogar einen Baum umarmt. 
Ganz, ganz toll. Aber nur, weil er jetzt jeden Baum umarmt, der sich ihm in den Weg stellt, und nur, weil er jetzt jede Biene aus dem Stock zerrt, um sie eigenhändig zu bestäuben, macht ihn das noch nicht zum Überzeugungsöko. Er weiß halt nur, dass er über kurz oder lang die Grünen braucht, um sich an der Macht zu halten. Also, ich sehe da nur ein paar grüne Strähnchen im pechschwarzen Haar. 

Aber Söder ist so beliebt wie noch nie. Nachdem er eine Verjüngung der Bundesregierung gefordert hatte, stiegen seine Umfragewerte auf 67 Prozent
Aber die Union ziert sich noch ein bisschen, weil sie schon zweimal mit Bayern auf die Schnauze gefallen sind, mit Strauß und mit Stoiber im Bund. Aber nun ist Markus Söder kein Bayer, sondern ein Franke

Der Unterschied müssen Sie einer Norddeutschen erklären. 
Die Franken sind ein Völkchen, das sich von Bayern immer abgrenzt. Die haben so einen fränkischen Stolz innerhalb Bayerns. Wenn der „Margus“ Kanzler werden würde, wird es der erste Kanzler sein, den man mit G schreiben muss. 

Politikern wird ja heute gerne vorgeworfen, sie hätten kein Profil mehr, weil sie sich dem Zeitgeist anbiederten. Welche anderen Politiker außer Söder fallen Ihnen noch ein?
Das ist ganz schwierig, weil der Zeitgeist bei vielen schon seit Jahren darin besteht, sich buckelnd der Großindustrie zu Füßen zu werfen und Stammtischparolen zu besorgten Stimmen der bürgerlichen Mitte zu verklären. Würde ich die alle aufzählen, wäre für den Rest des Interviews kein Platz mehr. 

Ich hätte darauf getippt, dass Sie die Kanzlerin nennen. 
Ach, die Kanzlerin ist mittlerweile so abgehoben. Aber was die Wetterwendigkeit angeht, da ist sie natürlich ein leuchtendes Vorbild für alle.    

Mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hat die SPD zwei neue Vorsitzende gewählt, die diesen Trend gegen den Strich bürsten. Wie finden sie die beiden? 
Ich werde oft gefragt: Wie finden Sie denn die beiden? Also, ich finde Walter Borjans eher selten in der täglichen Berichterstattung, da hat ihm Saskia Esken doch einiges voraus. Und im übrigen halte ich mich auch bei SPD-Vorsitzenden an die 100-Tage-Regel. Erst nach Ablauf dieser Frist sollte man Kritik üben. 

Aber was ist, wenn die beiden gar nicht so lange im Amt bleiben?
Das ist in der Tat fraglich. Wenn es um die SPD geht, muss man pessimistisch sein. Das hat eine lange Tradition. 

Aber dass man Saskia Esken eher wahrnimmt als ihren männlichen Kollegen, zeugt doch immerhin von einem bemerkenswerten Kampfgeist. 
Ja, sie ist recht tough. Sie zieht den einen Mundwinkel schon genauso hoch, wie es Herbert Wehner immer getan hat, wenn er Pfeife geraucht hat.     

Können die beiden die SPD retten – oder sind sie ihr Untergang? 
Niemand kann die SPD retten, solange der Seeheimer Kreis als verlängerter Arm von Union und FDP herumscholzt. 

Steile These. Sie wollen damit sagen, der Seeheimer Kreis um Johannes Kahrs ist der Elefant im Porzellanladen der SPD?
Richtig, man könnte mal so Rochaden versuchen: Vielleicht könnte die Werte-Union geschlossen zur AfD übertreten, und dann wäre in der Union Platz für den Seeheimer Kreis. 

Schlechte Zeiten in der Politik sind gute Zeiten fürs Kabarett. Warum sieht man Sie kaum noch im Fernsehen?
Elf Jahre lang hab ich für das ZDF und 3sat Fernsehen gemacht, das hat auch viel Spaß gemacht, vor allem die Arbeit im ZDF mit Georg Schramm und Frank-Markus Barwasser. Aber wenn’s am schönsten ist, soll man gehen. Das haben wir dann ja auch gemacht. 

Freiwillig?
Ja, ich bin regelmäßig bei Kollegen zu Gast im Fernsehen und habe meinen Jahresrückblick auf 3sat, das reicht mir. Man muss nicht wöchentlich präsent sein. Ich klappere gerne als Senior Joke Assistant die Bühnen der Republik ab. Man sieht dann auch mehr vom Land. 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht seit dem Streit über die Umweltsau-Satire unter Beschuss von rechts. Färbt das Misstrauen der Zuschauer gegenüber dem „Staatsfunk“ auch auf Sie als ZDF- und 3sat-Dauergast ab?
Nö, ich habe nach wie vor Narrenfreiheit, ich kann machen, was ich will. 

In einem Interview haben Sie mal gesagt, Sie erledigten immer mehr die Arbeit der Journalisten, die sich kaum noch trauten, kritische Fragen zu stellen. War das versteckte Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Ich würde nicht sagen, dass ich der einzige Kabarettist bin, der kritische Fragen stellt. Ich würde mir von Ihren Kollegen nur wünschen, dass sie bissigere Fragen stellen. Es ist mir vieles zu zahm und zu lahm geworden in den letzten Jahren. 

Was meinen Sie damit genau?
In erster Linie natürlich den wachsweichen Umgang mit unserer Regierungschefin. Das hat schon Züge von Hofberichterstattung angenommen. Die Blätter, auf denen kritische Fragen stehen könnten, werden in erster Linie nur noch dafür verwendet, der Präsidialkanzlerin Luft zuzufächeln. 

Besonders ARD und ZDF werden dafür kritisiert
Nicht immer zu Recht. Dass das ZDF auch noch kraftvoll zubeißen kann, haben die Interviews mit Gauland, Höcke und „Umvolker“ Chrupalla gezeigt. Die waren doch sehr entlarvend. Davon wünsche ich mir mehr. 

Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird gerne unterstellt, er messe Kabarettisten mit zweierlei Maß. Er lasse Dieter Nuhr gegen Greta Thunberg oder Jan Böhmermann gegen Erdogan ätzen, setze aber Uwe Steimle wegen seiner rassistischen Ausfälle vor die Tür. Was sagen Sie zu dem Vorwurf?
Ach, wer darf was sagen? Wer schmeißt wen raus? Ich würde mir einfach mal  wünschen, dass sich Dieter Nuhr den Intendanten seines Haussenders WDR, Tom Buhrow, zur Brust nehmen würde wegen dieser feigen Rückgratlosigkeit in der „Umweltsau“-Affäre. Mein Gott, war das peinlich! 

Seine Entschuldigung am Krankenbett seines 92-jährigen Vaters und der Hinweis, sein Vater sei keine „Umweltsau“?
Genau, um die Generation geht es doch gar nicht. Die Großelterngeneration, die dieser fröhlich trällernde Kinderchor meinte, das sind wir. Das ist meine Generation. Und wenn sie gegen uns ansingen, haben sie verdammt Recht. 

Ihre Kritik richtet sich ausnahmslos gegen alle Parteien. Gibt es eine, die sie besonders gern haben?
Na ja, in erster Linie natürlich die Partei, die von kurzen Ausnahmen abgesehen immer die Regierung angeführt hat: Die CDU. Das ist eigentlich eine Partei ohne Inhalte, für die müssen immer die Koalitionspartner sorgen, damit sich die CDU aufs Kanzlerstellen konzentrieren kann. Seit ich auf der Bühne stehe, ist das die Partei des ewigen Weiter-so, die jahrzehntelanges Aussitzen als Bewegungstherapie verkauft. Wie sie das geschafft ist, ist schon erstaunlich. 

Hatten Sie nicht die Hoffnung, dass mit der neuen Parteivorsitzenden Schwung in die Regierung kommt?
Doch, ganz kurz, als sie die „Zukunftswerkstatt“ der Union angekündigt hat. Man merkte dann allerdings sehr schnell, dass in dieser Zukunftswerkstatt vor allem eins herrscht: Fachkräftemangel. 

Und wie steht es mit der Jungen Union?
Wenn ich mir die Hirngreise und die Wohlstandsplauzen anschaue, ist mir schleierhaft, wo da frischer Wind herkommen soll. Nein, die CDU wird in ihrem Biedermeier-Stil weitermachen. Wer eine Riesenspenden-Affäre  und einen Schwarzgeldsumpf überstanden hat, ist in sich schon sehr gefestigt. 

Kaum ein Tag vergeht, ohne das über das vorzeitige Ende der Groko spekuliert wird. Ihre Prognose?
Sie hält bis 2021.Alle gegenteiligen Spekulationen sind ein Sturm im Wasserglas. 

Was macht Sie da so zuversichtlich?
Die Chancen für ein vorzeitiges Ende waren ja schon mehrfach gegeben. Vor dem Ende hätte sie gar nicht den Anfang machen müssen. Ich hätte mir soooo eine Minderheitsregierung gewünscht. Dann hätten sich im Parlament alle gegenseitig mit Argumenten überzeugen müssen. Aber neeeeiiiin, Steinmeier hat der SPD gesagt: „Ihr müsst!“ Jetzt ketten sich alle aneinander, um bis zum bitteren Ende am Trog bleiben zu können. 

Wen wünschen Sie sich als nächsten Kanzler?
Was Frisches auf jeden Fall. 

Aber Sie meinen nicht Luisa Neubauer?
Die ist schon ganz gut. Aber den Job bei Siemens hat sie ja abgelehnt. Ich nehme an, dass sie den Kanzlerinnen-Posten auch erstmal ablehnen würde. Ich wünsche mir jemanden, der unerschrocken und unkonventionell und nicht in Legislaturperioden denkt. 

Gibt es so jemanden?
Wenn nicht, dann müssen wir ihn uns bauen. Ich wünsche mir eine  Mischung aus Bruce Willis, Scarlett Johannsson und dem frühen Jean-Paul Belmondo

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