Zeitgeist - Trolley an Trolley

Er gehört zu jenen bezwingend praktischen Geräten, die, wenn sie einmal ersonnen sind, nie mehr von der Erde verschwinden können. Ein Versuch über den Trolley

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Autoreninfo

Stefan aus dem Siepen ist Diplomat und Schriftsteller. Von ihm erschien zuletzt im Verlag zu Klampen „Wie man schlecht schreibt. Die Kunst des stilistischen Missgriffs“. (Foto: © Susanne Schleyer / autorenarchiv.de)

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Der Trolley ist eine der erfolgreichsten Erfindungen unserer Zeit, er gehört zu jenen bezwingend praktischen, unwiderstehlich gelungenen Geräten, die, wenn sie einmal ersonnen sind, nie mehr von der Erde verschwinden können. Wer noch mit einem traditionellen Koffer auf einem Flughafen erscheint, sich mit schmerzenden Armen und Händen abschleppt, wirkt wie ein anachronistischer Trottel mit einem Stich ins Masochistische. Vergebens hält er nach einem Gepäckwagen Ausschau, denn diese sind für alle Zeit von der Erde verschwunden. Recht so: Wer sich selbst quält, dem wird nicht geholfen – niemand fällt so tief wie der, der aus der Zeit fällt.

Trolley, Smartphone, Anzug

Auf einer Dienstreise nach Algier erlebte ich Merkwürdiges. Während ich durch die Flughafenhalle zum Taxistand ging, drängte sich ein Mann diensteifrig an meine Seite und wollte den Koffer für mich tragen. Ich schüttelte den Kopf, denn ich hatte einen kleinen Trolley, und es schien mir sinnlos, snobistisch, ihn von einem anderen ziehen zu lassen. Der Helfer sah das anders und legte zudringlich die Hand auf den Griff. Entweder stand er unter der Vorstellung, für einen „reichen Mann“ sei selbst die geringste Mühe zu viel, oder er wollte sein Schicksal nicht wahrhaben, leugnete die Evidenz seiner Überflüssigkeit.

Auf allen internationalen Flughäfen ist eine emblematische Figur unserer Zeit zu besichtigen: der lässig-energische Geschäftsmann, der in der einen Hand sein Smartphone hält und mit der anderen seinen Trolley zieht. Er macht eine Blitzreise zu demjenigen Punkt der Erde, an dem seine Gegenwart den maximalen Grenznutzen erbringt, und kommuniziert zugleich mit anderen Punkten, an denen seine Gegenwart vorübergehend verzichtbar ist. So mühelos und gepflegt, wie er den Trolley zieht, ist für ihn die ganze Reise, alle Widerstände des Raumes sind aufgehoben, das Fliegen über Kontinente hat den Charakter einer Straßenbahnfahrt. Der schräg stehende Trolley bildet mit dem Körper eine natürliche Einheit, hat sein plumpes Gepäck-Sein abgestreift. Da fast alle Trolleys aus schwarzem Nylon bestehen, harmonieren sie mit dem dunklen Anzug und erhöhen den Eindruck der Uniformierung: Trolley, Smartphone, Anzug – alles ist bei allen gleich, selbst die Gesichter sind von störender Individualisierung verschont.

Ein Hauch von Anachronismus

Folgerichtig ist, dass die Trolleys mit an Bord genommen, in die Fächer über den Sitzen gezwängt werden; so muss der Reisende später nicht am Kofferfließband seine Zeit verschwenden – ein lästiger Schritt bleibt ihm erspart! Sobald der Flug zu Ende ist, die Maschine noch über das Rollfeld rumpelt, steht er auf, holt den Trolley herab und zieht den Griff heraus. Letzteres geschieht mit einem geschmeidigen, in einem satten Klick endenden Geräusch – so klingt es auch, wenn ein Soldat sein Gewehr entsichert. Zwischen den Sitzreihen stehend, Körper an Körper, Trolley an Trolley in ungeduldiger Gedrängtheit, so warten die Reisenden auf das Öffnen der Kabinentür. Kein Kubikzentimeter darf verschenkt werden – Raum ist Zeit! Und Zeit ist Geld!

Schwebt nicht über diesen Supereffizienten, dieser Speerspitze des Wirtschaftens, ein Hauch von Anachronismus? Ist nicht die Geschäftsreise überholt, lässt sich nicht per Videokonferenz das Nötige erledigen? Der ökonomische Zwang wird immer extremer, nur noch eine kleine Drehung der Schraube, und der reisende Manager wird überflüssig, so überflüssig wie der kleine Mann in Algier, der ihm den Trolley ziehen will.

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.

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