Tod von Meat Loaf - Der größte Schauspieler unter den Rockmusikern

Meat Loaf war alles andere als cool, aber genau das war seine Stärke. Indem er sich eine Rolle als Darsteller in opernhaften Rockwelten schuf, gelang es ihm, mit seinen Defiziten umzugehen. Das hatte etwas Therapeutisches, auch für seine Fans.

Meat Loaf (Marvin Lee Aday) 2013 bei einem Konzert in den Niederlanden / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Ganz ehrlich: Meat Loaf war mir immer sehr fremd. Mit seiner Musik konnte ich nie etwas anfangen. Und seine äußere Erscheinung war weiß Gott nicht das, was ich mir als Jugendlicher Anfang/Mitte der 80er Jahre unter „cool“ vorstellte. Meat Loaf, das war für mich Musik für die Dorfjugend, die sich nachmittags an der einzigen Bushaltestelle weit und breit herumlangweilte. Musik für Jugendliche mit Vokuhila-Frisuren, ärmellosen T-Shirts und Mofas. Verschwitzter Kitsch für Fußballstadien: Music for the Masses. Da warf ich doch lieber S.P.K.s „Auto-Da-Fé“ auf den Plattenteller. Die zitierten Jean Baudrillard und veröffentlichten bei Walter-Ulbricht-Schallfolien in Hamburg. Distinktionsmerkmal für semiintellektuelle Schnösel inklusive.

Nein, mit Baudrillards Theorie des Simulakrums hatte Meat Loaf, geborener Marvin Lee Aday, nun wirklich nichts am Hut. Meat Loaf, das war schweißtriefende Authentizität, vollschlanke Körperlichkeit und röhrende Präsenz. Wenn Meat Loaf bei seinen Konzerten am Rande der physischen Erschöpfung und mit von Schweiß verklebtem schütterem Haar alles gab, dann waren das Momente von großer Unmittelbarkeit.

Meat Loaf war auf schockierende Weise ehrlich. Schon sein Künstlername war im Grunde von bedrückender Offenheit – Hackbraten. Seine Auftritte pendelten zwischen Selbstironie und Aufrichtigkeit. Die Schwäche zu einer Stärke machen, vorbehaltlos zu der eigenen, wenig vorteilhaften Physiognomie stehen, Inszenierungen, die das Unvollkommene eher betonen, als es zu verdecken – das alles war ein erheblicher Teil seines Erfolges.

Klassenclown und tragische Gestalt

Diese Strategie aber machte Meat Loaf hinter der Fassade des Entertainers zugleich zu einer tragischen Gestalt. Er erinnerte immer an das Klassendickerchen, das vor den Hänseleien der Mitschüler flieht, indem es sich zum Klassenclown macht. Seinen Auftritten gab diese Zwischenton, aller aufgesetzten Vitalität zum Trotz, auch immer etwas Melancholisches. Meat Loaf – der traurige Komödiant.

Wie dünn die Schale des nach außen so robusten Texaners war, wurde Ende der 70er-Jahre deutlich. Nach dem Erfolg seiner zweiten LP „Bat out of Hell“ und anschließender Welttournee brach der Sänger zusammen: Drogen, Alkohol, Depressionen. Er zerstritt sich mit seinen Managern und seinem Erfolgsproduzenten Jim Steinman. Platten floppten. Es folgte der Bankrott. Es dauerte ein Jahrzehnt, bis Meat Loaf wieder aus diesem Tal herausfand.

Anfang der 90er hatte Meat Loaf es jedoch geschafft. Er versöhnte sich mit Produzent Steinman. 1993 erschien das Album „Bat out of Hell II: Back into Hell“, darauf sein meistverkaufter Song „I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That)”. Es folgte der Ritterschlag der US-Unterhaltungsbranche. 1994 sang Meat Loaf beim MLB All-Star-Spiel die amerikanische Nationalhymne. Im Jahr darauf folgte ein Auftritt mit Luciano Pavarotti in Modena.

Baudrillard widerlegt

Meat Loafs Musik wurzelte im Progressive Rock der 70er-Jahre, als der Rock unter dem Einfluss psychedelischer Musik und der Verbreitung des Mellotrons zunehmend bombastischer und plüschiger wurde. Produzent Steinman lieferte zu Meat Loafs hochdramatischen Geschichten um Liebe, Tod und Erlösung den pompösen Sound, der sich im Grunde immer hart an der Grenze zum Trash bewegte. Und manchmal auch darüber hinaus.

Doch Meat Loaf war nicht einfach nur Sänger und Texter, sondern Performer von opernhaften Rockwelten. Bezeichnenderweise gab er einmal in einem Interview zu Protokoll, sich eher als Schauspieler zu sehen denn als Musiker. Und damit meinte er nicht nur, dass er in zahlreichen, teils überaus erfolgreichen Filmen mitgespielt hatte, in „The Rocky Horror Picture Show“, in „Wayne’s World“ oder „Fight Club“. Ein Schauspieler war er auch als Musiker. Er hat sich eine Rolle erfunden, die es ihm ermöglichte, mit seinen Defiziten umzugehen, indem er sie ausstellte und betonte. So gesehen hatten seine Konzerte auch immer etwas Therapeutisches – für ihn und seine Zuschauer zugleich. Man könnte auch sagen: Meat Loaf hat Baudrillard nicht nur zitiert, er hat ihn sogar widerlegt, indem er das Echte in die Welt der Simulation einbrechen ließ. Wie heute bekannt wurde, ist dieser größte Schauspieler unter den Rockmusikern gestern im Kreis seiner Familie verstorben.

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