Sport und Politik - Ideologischer Bekenntnisdruck

Heutzutage werben Sportler für Diversity wie für Schokoriegel. Politische Haltung ist zum Lifestyle-Produkt geworden. Dass sich hierbei für Zivilcourage und Demokratie eingesetzt wird, ist Heuchelei. Der Fall Kimmich zeigt einmal mehr: Gewünscht ist der politisch opportunistische Sportprofi.

Ein Fußballspieler trägt einen regenbogenfarbene Mannschaftsbinde / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Sport ist niemals nur Sport. Das wussten auch schon die alten Griechen. Deshalb veranstalteten sie Olympiaden, die mehr waren als nur Wettkämpfe der besten Athleten Hellas, sondern zugleich Leistungsschauen der griechischen Poleis und religiöse Kulthandlung. So gesehen hat sich wenig geändert in den vergangenen 2.500 Jahren. Noch immer sind Olympische Spiele ein Politikum. Ebenso wie andere internationale Großveranstaltungen. Und um Geld ging es auch schon immer.

Eine Schlüsselrolle kam und kommt dabei den Athleten zu. Sie waren und sind die gefeierten Helden der Massen, Symbol eines Landes und millionenschwere Idole. Und als solche waren sie immer schon mehr als einfach nur Sportler, die eine besondere Leistung erbracht hatten. Sie waren stets auch Identifikationsfiguren einer Gemeinschaft, Werbeträger einer Kultur und Aushängeschild einer Ideologie: Sportler marschierten Fahnen hinterher und unter Spruchbannern. Sie präsentierten ihre Körper als Ausdruck einer überlegenen Gesellschaftsordnung und posierten tapfer als Maskottchen von Weltanschauungen. Das war bei Milon von Kroton so, einem der berühmtesten Ringkämpfer der Antike, das war bei Carl Lewis nicht anders.

Starkult Sport

Inzwischen jedoch ist der Sportler noch mehr. Der Starkult hat seit der Jahrtausendwende noch einmal eine ganz neue Dimension angenommen. Die Protagonisten der Unterhaltungsindustrie – und das sind Sportler – schaffen sich dank sozialer Medien eine ganz neue und aufdringliche Form von Öffentlichkeit. Vor allem aber hat der ideologische Bekenntnisdruck zugenommen. Schuld daran hat auch die Popkultur selbst. Spätestens seit den Anti-Vietnamkriegs-Demonstrationen der 60er-Jahre gefielen sich zunächst vor allem US-Popstars darin, politisch Stellung zu beziehen. Ein ganzes Genre von Singer-Songwritern bediente diesen Markt.

Konnten sich die Künstler der 60er- bis 80er-Jahre zumindest noch einbilden, sich mit ihren politischen Botschaften gegen das Establishment zu stellen, so hat sich diese Konstellation grundlegend geändert. Der Hauptgrund: Der Kapitalismus ist „woke“ geworden. Vorbei die Zeit, als der Kapitalismus schuld war an allen Übeln der Welt, an Ausbeutung und Unterdrückung. Der „Woke Capitalism“ hat die Nachhaltigkeit für sich entdeckt, die Diversität, die Buntheit und die Toleranz. Manch CEO redet von seiner Keynote-Bühne kaum anders als ein Politaktivist oder NGO-Vertreter.

„Corporate Morality“

Das gilt erst recht für die Unterhaltungsbranche, in der man linken Anliegen traditionell besonders offen gegenübersteht. Und da auch Sportstars Teil des globalen Entertainments sind, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch sie zu Politbotschaftern umfunktioniert wurden. Seitdem gehört die Marketingkampagne gegen Rassismus, Homophobie oder Sexismus genauso zum Portfolio eines Weltklasseathleten wie der millionenschwere Vertrag mit einem Softdrink-Produzenten oder einem Sportartikel-Hersteller. Und soziales Prestige für diese Portion Gratismut gibt es obendrauf.

Jeder Mensch weiß, dass die Werbung nicht zwangsläufig die tatsächliche Meinung des Sportlers über den Schokoriegel wiedergibt, für den er seinen Namen hergibt. Im Grunde ist das bei wokem Ideologie-Marketing nichts anders. Das Problem ist nur: Ist es dem Sportstar freigestellt, über Schokoriegel heimlich zu denken was er will, so sieht das bei „Corporate Morality“ natürlich anders aus. Wie alle anderen Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, unterliegt er dem Diktat des richtigen Meinens. Und wehe, er lässt sich mal zu einer flapsigen Bemerkung über Frauen oder Mitsportler anderer Kulturkreise hinreißen: das mediale Autodafé ist ihm gewiss.

Private Meinung? Nur in der Theorie

Wenn in der vorigen Woche Kommentatoren darauf hingewiesen haben, dass auch Joshua Kimmich ein Recht auf eine private Meinung und ebensolche Entscheidungen habe, so ist das naiv. Natürlich hat er das nur theoretisch. Weil ein Sportstar in unserer Gesellschaft niemals Privatperson ist, sondern Teil einer globalen Wertschöpfungskette, zu der auch die richtige Gesinnung gehört. Denn politische Überzeugungen sind heutzutage Teil des Lifestyles. Für Fridays for Future zu sein, für Diversity und Corona-Impfungen gehört dabei ebenso dazu wie der richtige Sneaker und der coolste Hoodie.

Das alles ist natürlich verlogen. Man predigt Haltung und Zivilcourage, doch versteht darunter nichts anderes als das opportunistische Tragen von LGBTQ-Binden am Ärmel. Wehe aber, jemand tritt für seine Haltung ein. Dann folgt die mediale Abwatsche auf den Fuß. So gesehen ist der Sport tatsächlich nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.

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