Spekulationen um Eva Wagner-Pasquier - Wahrscheinlichkeit und menschliches Ermessen

Kulturmanagerin Eva Wagner-Pasquier, Ur-Enkelin von Richard Wagner, ist am 29. August von der Münchner Feuerwehr aus der Isar gerettet worden. Die Identität wird von den Behörden nicht bestätigt, allerdings hat die Familie sie auch nicht dementiert. Die in die Klinik eingelieferte Person liegt vermutlich im Koma.

Eva Wagner-Pasquier, ehemalige Leiterin der Bayreuther Festspiele, bei der Verleihung des Bayerischen Verdienstordens 2016 / dpa
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Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Geht es nicht auch eine Nummer kleiner oder besser zwei? Nein, geht es nicht. Es braucht immer das ganze Drama, das ganze Schicksal, das ganze Hoffen, Bangen, Beten und Trauern, das ganze Geheimnis und Mysterium, sonst wäre es kein echter Richard Wagner.

So auch hier. Aber: Die folgenden Informationen sind bruchstückhaft. Vieles ist Vermutung, Spekulation, Hörensagen, mehr oder weniger logische Schlussfolgerung, Lebenserfahrung, Wahrscheinlichkeit und menschliches Ermessen.

Schlüsselfigur auf Grünem Hügel

Gegen diese Vorbehalte und Einwände steht: Eva Wagner-Pasquier ist eine der wichtigsten Kulturmanagerinnen des deutschsprachigen Raumes. Ur-Ur-Enkelin von Franz Liszt und Ur-Enkelin von Richard Wagner. Halbschwester von Katharina Wagner, der amtierenden Intendantin der Bayreuther Festspiele, und Schlüsselfigur, als es 2008 darum ging, eine seit mehr als sieben Jahren andauernde und als mehr und mehr existenziell gefährlich empfundene Situation auf dem Grünen Hügel in eine immerhin halbwegs friedliche Nachfolgelösung zu überführen, mit der auch ihr Vater, der alte Wolfgang Wagner, seinen Frieden machen und seinen Ruhestand antreten konnte.

Wagner-Freunde, Wagner-Vereine und Wagner-Enthusiasten in aller Welt nehmen Anteil an ihrem Schicksal und hoffen auf gute Nachrichten nach der schlimmen Meldung vom Anfang der vergangenen Woche: „Frau treibt bewusstlos in der Isar“ und „Schock für die Festspiel-Familie“. Doch offiziell erfährt man nichts. Keine Silbe, keine Information, kein Dreizeiler. Ihr Mann Yves Pasquier, Drehbuchautor und Produzent, und ihr 39 Jahre alter Sohn Antoine Wagner haben sich komplett abgeschottet und lassen die riesige Wagner-Gemeinde seit dem Sonntag vorvergangener Woche in jeder Hinsicht im Unklaren. Ein Hamburger Anwaltsbüro wurde eingeschaltet, damit das auch so bleibe.

Person der Zeitgeschichte

Deshalb heute, elf Tage nach dem Ereignis, dieser Text wider alle Vorbehalte und Unsicherheiten. Die Familie Wagner ist aus mehrerlei Gründen nie eine Privatangelegenheit gewesen, sondern eine öffentliche Institution, ein Kulturerbe. Und solange diese Familie Anspruch auf öffentliche Unterstützung erhebt und an herausragender Stelle in der Öffentlichkeit wirkt, hat diese einen Anspruch auf Unterrichtung zumindest in grundlegenden Angelegenheiten. Und um eine solche handelt es sich hier.

Eva Wagner-Pasquier ist eine Person der Zeitgeschichte. Das Interesse an ihr und ihrem Leben und Wirken ist nicht voyeuristischer Natur, sondern beruht auf einer oft jahrzehntelangen und sehr kennerhaften Befassung mit allem, was mit der Musik Richard Wagners und seinen Kindern, Enkeln und Ur-Enkeln zu tun hat.

Dies gilt umso mehr, als Eva Wagner-Pasquier nach reiflicher Überlegung 2008 aktiv in die Geschehnisse auf dem Bayreuther Hügel eingegriffen und zusammen mit Katharina Wagner eine krisenhafte Periode bewältigt hat, wobei sie in vielfacher Hinsicht die Unterstützung der Bundesregierung genoss, der Bayerischen Staatsregierung und der Stadt Bayreuth sowie unzähliger ehrenamtlich agierender Wagner-Gemeinden in aller Welt.

Was aber ist nun geschehen an jenem Sonntagvormittag am Münchner Ufer der Isar? Wie konnte die 76-Jährige in den Fluss geraten und kilometerweit abgetrieben werden, bis sie Wasserretter der Münchener Berufsfeuerwehr 100 Meter hinter der Herzog-Heinrich-Brücke bewusstlos aus dem Mittleren Isarkanal bargen?

Notrufe von Passanten

Das Wetter war schlecht an jenem 29. August, es regnete kräftig, aber die Isar führte nach den amtlichen Übersichten noch kein Hochwasser. Die erste Warnstufe nach weiterem Dauerregen wurde erst am Montagabend ausgelöst, 36 Stunden später. Eine Darstellung, nach der bereits am Sonntag Wanderwege zwischen Englischem Garten und Isar abgesperrt gewesen seien, ließ sich nicht bestätigen. Eine besondere Gefahrenlage für Spaziergänger scheint an jenem Vormittag noch nicht gegeben gewesen zu sein.

Eva Wagner-Pasquier wohnt im Altstadtbezirk Lehel, nur wenige Gehminuten von der Isar entfernt. Ob sie von dort direkt an den Fluss ging oder zunächst durch den Englischen Garten, ist ungewiss. Jedenfalls muss sie an irgendeiner Stelle unter bis jetzt unbekannten Umständen in die Isar geraten sein. Um 9.15 Uhr erhielt die Münchner Polizei mehrere Notrufe von Passanten, im Mittleren Isarkanal treibe in Höhe des Oberföhringer Stauwehrs eine leblose Person.

Einsatz mit Hubschrauber und Taucher

Die Polizei alarmierte ihrerseits die Berufsfeuerwehr, die eine große und eingespielte Maschinerie in Gang setzte. Die Besatzungen der Feuerwachen 4 und 5 sowie die ebenfalls alarmierte Freiwillige Feuerwehr Oberföhring rückten aus und besetzten in geübten Abständen flussabwärts das Kanalufer und alle in Frage kommenden Brücken. Gleichzeitig landete an der Feuerwache 5 an der Aschheimer Straße ein Hubschrauber und nahm zwei Feuerwehrtaucher auf für den Fall, dass dies die Bergung beschleunigen könnte.

Dies war aber hier, wie sich zeigen sollte, nicht der Fall. In Höhe der Herzog-Heinrich-Brücke sichtete die Besatzung eines Löschfahrzeugs die Person im Wasser. Es gelang, sie etwa 100 Meter weiter kanalabwärts zu bergen und an das Ufer zu bringen. Das war um 9.42 Uhr, 27 Minuten nach dem ersten Notruf bei der Polizei, es treibe eine Person in der Isar.

Nach Darstellung der Münchner Berufsfeuerwehr sind ausnahmslos alle Feuerwehrleute nicht nur als Rettungsschwimmer ausgebildet, sondern auch befähigt, in solchen Fällen unverzüglich und ausnahmslos mit Wiederbelebungsmaßnahmen zu beginnen, solange keine eindeutigen Todeszeichen vorliegen. Die Frau sei zwar bewusstlos gewesen, habe aber noch „Lebenszeichen“ gegeben.

Die Feuerwehrleute hätten die Elektroden eines Automatisierten Externen Defibrillators (AED) zur Messung und gegebenenfalls notwendigen Wiederingangsetzung des Herzschlags per Stromimpuls nicht mehr anbringen müssen, da kurz nach der Bergung und Erstversorgung bereits der Notarzt eingetroffen sei, der sich mit einem Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) in der Nähe bereitgehalten und es deshalb nicht mehr weit bis zur späteren Bergungs- und Einsatzstelle gehabt habe.

In den Schockraum gebracht

Die weitere Erstversorgung habe dann der Notarzt in einem nunmehr ebenfalls bereitstehenden Rettungswagen der Münchner Berufsfeuerwehr übernommen. Anschließend sei die Patientin, nunmehr in transportfähigem Zustand, in den Schockraum einer Klinik gebracht worden, deren Name nicht genannt wurde. Seither liege sie, so eine unbestätigte, aber auch unwidersprochene Information, auf einer Intensivstation im Koma.

Insgesamt seien an jenem Sonntagvormittag 40 Feuerwehrleute im Einsatz gewesen. Weder Polizei noch Feuerwehr möchten die Identität der Patientin bestätigen. Es gibt aus einer weiteren Behörde aber den Hinweis, dass man schon längst vernehmbar widersprochen hätte, sollte es sich nicht um Eva Wagner-Pasquier handeln. Auch die Familie selbst dementiert nicht.

Die Münchner Polizei erklärte auf Anfrage, sie habe ihre Ermittlungen abgeschlossen, weshalb der Fall für sie nicht mehr relevant sei, nachdem sich keinerlei Hinweise auf Fremdverschulden ergeben hätten. Von eben dieser Polizei stammt ursprünglich aber auch der Hinweis, man prüfe, ob hier ein Unfall geschehen sei oder ein Suizidversuch. Das Nachrichtenportal t-online machte aus dieser routinemäßigen Feststellung die Behauptung, „nach ersten Erkenntnissen“ der Münchner Polizei habe es sich „um einen versuchten Suizid gehandelt“. Dies dementiert die Polizeipressestelle ausdrücklich.

Tatsächlich ergeben sich aus den vorliegenden Schilderungen der vorangegangenen Wochen keine Hinweise auf entsprechende Absichten der überaus erfahrenen und international erfolgreichen Opernexpertin. Zwei unabhängige Quellen berichten von Spaziergängen an der Seite ihres Sohnes Antoine und guter Laune. Als gesichert gelten allerdings Informationen, nach denen die 76-Jährige sich erst kürzlich einer schweren Augenoperation habe unterziehen müssen und sehr schlecht sehe.

Ob hierin eine Ursache für ihren Sturz in die Isar oder in den parallel verlaufenden Mittleren Isarkanal zu erkennen ist, muss aber einstweilen offenbleiben. Die 76-Jährige kannte sich in der fraglichen Gegend sehr gut aus, da sie oft am Fluss spazieren ging. Zudem war das Wetter zwar schlecht, aber nicht so schlecht, dass es die Sicht behindert hätte. Solange unbekannt ist, an welcher Stelle sie ins Wasser geriet, bleibt möglicherweise auch der Hergang ungeklärt.

Eine erste Darstellung, die von ihr gerettete Person sei höchstwahrscheinlich am Mittleren Isarkanal ins Wasser gefallen, revidierte die Berufsfeuerwehr bald. Es habe sich nämlich am Schicksal eines kürzlich tödlich verunglückten 14-jährigen Buben gezeigt, dass ein lebloser Körper auch von der „natürlichen“ Isar nach rechts durch einen sechs Meter breiten und in aller Regel geöffneten Durchlass im Stauwehr in den Isarkanal getrieben werden könne.

Schicksalhaftes Ereignis

Diese Beschreibung erweitert den mutmaßlichen potenziellen Abstand zwischen Sturzstelle und Bergungsort um fast fünf Kilometer – vorausgesetzt, Eva Wagner-Pasquier sei nahe ihres Wohnorts direkt an die Isar gelaufen und dann flussabwärts nach Norden. Sollte sie zunächst flussaufwärts nach Süden spaziert sein, kämen noch ganz andere Entfernungen in Frage. Die Distanz zwischen dem Stauwehr, also dem Ort der Erstsichtung, und dem Bergungsort Herzog-Heinrich-Brücke beträgt zwei Kilometer. Das ist das Minimum innerhalb der bekannten 27 Minuten in der Isar.

Eineinhalb Wochen nach diesem schicksalhaften Ereignis sind somit wesentliche Fragen offen. Es gibt keinerlei Information über ihren Zustand. Glaubwürdigen Informationen zufolge weiß nicht einmal Katharina Wagner Näheres über den Zustand ihrer Halbschwester. Das Festspielhaus in Bayreuth hat nach der Saison Urlaub; es geht niemand ans Telefon.

Die bekannten Sachverhalte sind widersprüchlich: Einerseits muss davon ausgegangen werden, dass sie mindestens 27 Minuten lang mindestens zwei, vielleicht aber auch sieben Kilometer weit in der Isar trieb, davon mindestens zuletzt ohne Bewusstsein. Andererseits habe sie, so die Schilderung der Feuerwehr, nach der Bergung noch Vitalfunktionen gezeigt und relativ schnell reanimiert werden können.

Sollte sie das ohne bleibenden Schaden überstehen, dann ist das aufmerksamen und reaktionsschnellen Passanten und jenen 40 Münchner Feuerwehrleuten zu verdanken, die innerhalb von Minuten im Einsatz waren mit Hubschrauber, Tauchern, Rettungsschwimmern, Notarzt und Rettungswagen, um sie im Kanal aufzuspüren, zu bergen, zu reanimieren, dem Notarzt zu übergeben und ins Krankenhaus zu bringen.

Daraus folgt: Bei Dunkelheit wäre jedes Unglücksopfer wohl chancenlos gewesen. Der Zeitpunkt am Sonntagvormittag spricht also nicht für eine suizidale Absicht.

Höhen und Tiefen

Dass man im Moment davon ausgehen kann, dass Eva Wagner-Pasquier noch am Leben ist, in welcher Verfassung auch immer, verdankt sich jener Hamburger Anwaltskanzlei, die von Sohn Antoine Wagner gegen Journalisten in Marsch gesetzt und mit dem Versuch beauftragt wurde, jegliche Berichterstattung zu unterbinden.

„Das kann nur bedeuten, dass Eva noch unter uns weilt“, sagt einer, der mit den Bayreuther Festspielen und der Familie seit Jahrzehnten und all ihren Höhen und Tiefen, Triumphen und Tragödien bestens vertraut ist. „Ein renommierter Anwalt, der einen solchen Brief mit diesem Wortlaut schreibt, obwohl die hier im Mittelpunkt stehende Person verstorben ist, entzieht sich meiner Vorstellungskraft.“

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