Geleakte Plakate für die SPD-Wahlkampagne - Reif fürs Museum

Wohin will die SPD? Schaut man sich die im Internet geleakten Entwürfe für die neuen Wahlplakate an, geht die Reise zurück in die Vergangenheit, als Klassenkampf noch keine hohle Phrase war. Für den Kunsthistoriker Beat Wyss ist diese „grafisch offenbarte Ratlosigkeit“ Ausdruck einer Identitätskrise.

Grafiisch offenbarte Ratlosigkeit: die neuen SPD-Plakate / Twitter
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Autoreninfo

Beat Wyss hat an zahlreichen internationalen Universitäten gelehrt. Er hat kontinuierlich Schriften zur Kulturkritik, Mediengeschichte und Kunst veröffentlicht. Beat Wyss ist Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.

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Man reibt sich die Augen. Hat es die älteste Volkspartei nötig, sich in die Ästhetik der Studentenbewegung zurück zu bomben? Roter Konstruktivismus als Bildgrund, davor die revolutionären Akteure, fotografisch schwarz-weiß hinein collagiert. Ja, so sahen sie aus, die Agitationsflugblätter der KPD-ML, oder waren es die von der Vierten Internationale? (Pass auf, wer die verwechselt, hat den Revisionismus-Verdacht an der Backe!) Das Willenskinn von Genossin Esken mag für ein Double von Clara Zetkin noch durchgehen. Doch Walter-Borjans wirkt selbst bei gestikulierender Rednerpose zu jovial. Brille ab, Schlips weg, trag‘ die Schirmmütze, Genosse, leicht in den Nacken zurückgeschoben. So gibst du, von fern betrachtet, einen feschen Thälmann ab.

Mit einem solchem Outfit erklärt sich die SPD zur Splitterpartei. Wo man hinschaut: leere, linke Pathosformeln. Es lässt tief blicken, dass die Genossen dem Grafikbüro zur Gestaltung noch keine konkreten Losungen vorlegen konnten. So bleibt es bei jenen pseudolateinischen Wortfolgen, wie sie das Layout bei Festlegung der Buchstabentype zu benutzen pflegt. Haben uns die Sozis denn gar nichts mehr zu sagen? Die grafisch offenbarte Ratlosigkeit bezeugt die Identitätskrise des Kleinen Bruders in der GroKo. Beim bloßen Ausscheren in rote Rhetorik verschwimmt das Profil gegenüber der Linkspartei.

Retro-Stil für Alt-68er 

Das Selbstbild dreht sich in der stilistischen Endlosschleife zwischen den politisierten Siebzigern, die ihrerseits die  russische Agitprop der 20er-Jahre zitierte. Die Plakate könnten höchstens noch nostalgische Alt-68er meiner Generation hinter dem Ofen hervorlocken. Bei der heutigen Jugend wird kein Staat zu machen sein mit abgetragenem Retro-Stil. Als ich meiner Tochter, Generation Z, Fridays for Future, kommentarlos das rot-weiß-schwarze Wimmelbild zeigte, meinte sie, ja, jener kleine, schwarze Mann, surfend auf blutroter Welle, erinnere sie an ein Plakat für einen alten James-Bond-Film.

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Deutschlands älteste Volkspartei, ist sie reif fürs kulturhistorische Museum? Diese Plakate dokumentieren Agitationsfolklore. Radikalisieren, das tun sich doch schon die Anderen. Dagegen kann bei zunehmender Polarisierung in der Politik ein Fels in der Brandung das Alleinstellungsmerkmal sein. Die Arbeiterbewegung hat Bismarcks Sozialistengesetze, die SPD das Kaiserreich, zwei Weltkriege und die Nazis überlebt.

Einstimmen ins Allgemeine Krakeelen 

Markenkern der deutschen Sozialdemokratie ist ein gesprächsbereiter, linker Pragmatismus. Rote Rhetorik stimmt bloß ein ins allgemeine Krakeelen unserer Tage. Im soliden Vertrauen auf ihre lange kämpferische Tradition könnte die SPD wieder mal zeigen, dass sie auch Oppositionspolitik kann. Befreit aus dem Schwitzkasten der Koalition, an der frischen Luft der politischen Arena, könnte der müffelnde Biederduft der Anpassung von selbst verdunsten.

Für einen solchen Start brauchte es allerdings Plakate mit programmatischem Inhalt zu alten, nach wie vor brennenden Themen sozialer Gerechtigkeit. Was deren Ansage betrifft, gelte der Spruch des Älteren Cato:

Halt‘ an der Sache fest. Die dazu passenden Worte mögen folgen.

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