Skandal um Herold-Gemälde - Ich kann beim besten Willen keine Wilden erkennen 

Ein Instagram-Eintrag zu einem Gemälde von Georg Herold aus den Beständen des Frankfurter Städel Museums löst eine bizarre Rassismusdebatte aus. Der Fall zeigt einmal mehr, wie die Moralisierung von Kunstdebatten zu immer schnelleren unreflektierten Kettenreaktionen führt.

Das Bild „Ziegelneger“ von Georg Herold / © VG Bild-Kunst, Bonn 2020
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Das Gestern hat Schlagkraft. Für manch einen, der sich dieser Tage leicht gelangweilt durch die Bildlawinen und Datenberge seiner sozialen Netzwerkgruppen hindurchwischt, scheint es beileibe sogar mehr „Wumms“ zu haben als all die faden Debatten unserer postcoronalen Gegenwart. Erinnern Sie sich zum Beispiel noch an Martin Kippenberger (oder gilt da die längst kanonisch gewordene Weisheit, dass, wer sich an die 80er Jahre noch erinnert, diese nicht erlebt haben kann)?

Kippenberger jedenfalls hatte 1984 ein Bild gemalt, das bis heute für seinen sperrigen Titel berühmt ist: „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“ hatte der rheinische Querkopf damals ein unübersichtliches Geflecht aus roten, schwarzen und weißen Linien betitelt. Dieses erinnerte vielleicht eher an Kompositionen Kandinskys, denn an das einst vom NS-Chefideologen Alfred Rosenberg entwickelte Corporate Design der deutschen Hitlerei.

Fluch der späten Geburt

Und dennoch: Viele hatten sich nach der ersten Präsentation des Werkes auf die Suche gemacht; nicht wenige meinten es am Ende gar gefunden zu haben: Das Hakenkreuz im Kippenberg‘schen Kompositionswirrwarr, das sie zu kratzen schien, wie das berühmte Haar aus der Suppe. Der Maler selbst jedenfalls, und mit ihm nahezu die gesamte Kunst der „Neuen Wilden“ wurden hernach NS-freundliche Tendenzen angedichtet.

Tempi passati! Und vermutlich ist das auch besser so, für die Ahnen wie für die, die nach ihnen kamen. Denn seien wir ehrlich: Eigentlich litten schon damals junge Künstler wie Kippenberger unter dem Fluch der späten Geburt. Ihre Väter und manch ältere Geschwister hatten vor ihnen Großes geleistet: Über neue Kunstbegriffe hatten sie sinniert und die alten Zöpfe und Tafelbilder hatten sie in Frage gestellt.

Die totale Provokation

Das versetzte die Nachgeborenen natürlich unter Testosteron-, ja Rebellionsdruck. Für sie musste es um nicht weniger als alles gehen: die Revolte nach der Revolte; die Avantgarde am Ende aller Avantgarden. Eine verzwickte, ja eine geradezu aussichtslose Situation. Und so war die vielleicht einzige Lösung die Rolle rückwärts: Man begann erneut figurativ zu werden, man malte – unbeholfen, expressiv und gegenständlich. Man war gegen die Hippies und Weltverbesserer, für Punk und die totale Provokation. Das Alte war zu moralisch geworden, siehe, es war alles neu geworden!

Damals, da waren diese „Neuen Wilden“ – Salomé, Elvira Bach oder Walter Dahn – in ihrer blinden Rebellion oft nur schwer zu ertragen. Heute aber, wo der Alltag für manch einen nur noch Agonie parat zu halten scheint, ist jede Provokation, und sei es auch die abgeschmackteste, derart willkommen, dass sie unmittelbar zum Stein eines Debattenanstoßes werden kann.

Ein explosives altes Fass

So sollte es jetzt auch jenem gelben Ziegel ergehen, der sich seit fast vierzig Jahren im Mittelgrund eines alten Gemäldes des heute 72-jähirgen Kölner „Wilden“ Georg Herold befindet und der nun noch einmal für Furore sorgte. Herolds Bild nämlich, das seit geraumer Zeit im Untergeschoss im Frankfurter Museum Städel zu sehen ist, trägt den streitbaren Titel „Ziegelneger“ und zeigt einen wutentbrannten Mob, der mithilfe eines gezielten Steinwurfs einen schwarzen Mann in der Bildmitte zu Fall bringen will.

Eine Provokation. Eine Erregung. Das dachten sich wohl nicht nur die Kunstfreunde von ehedem, das dachte sich jetzt auch noch einmal die Instagram-Nutzerin @rantyluisa, als sie am vergangenen Montag das explosive alte Fass aus dem Städel-Keller aufmachen wollte.

Ihr Besuch im Museum und das Nachsinnen über das dort Gesehene nämlich hatte sie in Wallung versetzt: „Ich würde empfehlen, das Werk schleunigst abzuhängen und wenn das zu sehr wehtut, wenigstens zu thematisieren, dass es sich um offen rassistische Kunst handelt“, schrieb sie über Herolds „Ziegelneger“ an die kleine Gemeinschaft ihrer Instagram-Follower. Und die machten ihrem Namen schnell alle Ehre. Denn was @rantyluisas Nachfolger folgen lassen wollten, war der nächste Skandal in einer langen Reihe von oftmals nur unterstellten rassistischen Ressentiments und einer Moralisierung von Kunstdebatten.

Dass indes bereits Herold – ähnlich wie zwei Jahre später Kippenberger – das Ressentiment mit ironischem Augenzwinkern genutzt haben könnte und ein – wie nun das Städel Museum in einer Pressemeldung erklären ließ – „explizit antirassistisches Kunstwerk“ erschaffen wollte, das scheint einigen aus den Reihen der jungen Bilderstürmer, die in einer immer kürzer werdenden Reiz-Reaktions-Kette abhängen, verbieten oder gar stürzen wollen, nicht in den Sinn zu kommen.

Und auch, dass sie selbst längst wie jene moralinsaure Altherren-Avantgarde auftreten, gegen die die „Neuen Wilden“ sich einst mit Mitteln bewusster Aneignung und Zeichenumkehr zur Wehr setzten, das können viele nicht mehr verstehen. Die Geschichte – zumal die, die vergessen werden soll – ist am Ende aber wie ein Circulus vitiosus. Schwer zu ermessen, wer in diesem am Ende Avantgarde und wer Nachhut sein wird. 
 

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