Seyran Ates über „Sex, Revolution & Islam“ - „Meine Eltern hatten Angst, dass ich eine Hure werde“

Bisexuell, feministisch – und dann auch noch Imamin in Deutschlands erster liberaler Moschee. Seyran Ates rüttelt gleich an drei Tabus. Jetzt hat ein Kinofilm Premiere gefeiert, der ihr Leben dokumentiert. Wie wurde aus der Gastarbeiter-Tochter eine Frauenrechtlerin, die von der Polizei bewacht wird?

„Im Geiste bin ich frei“: Seyran Ates / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Sie kämpft für Frauenrechte und für einen modernen, liberalen Islam. Sie ist eine der ersten weiblichen Imaminnen in Europa. Die norwegische Regisseurin Nefise Ozkal Lorentzen hat Seyran Ates über einen Zeitraum von mehreren Jahren begleitet. Ihre Doku „Sex, Revolution & Islam ist eine sehr persönliche Annäherung an eine Frau, die ihr Engagement 1984 beinahe das Leben gekostet hätte. Die Doku hat gerade auf dem dänischen Filmfestival CPH:DOX Premiere gefeiert und wird in den nächsten Monaten auf Filmfestivals weltweit gezeigt. Eine gute Gelegenheit, mit der Hauptdarstellerin über die Schattenseite ihres Engagements zu sprechen. 

Frau Ates, Ihr Film „Sex, Revolution & Islam“ ist ein Plädoyer für die Befreiung vom Patriarchat. Sie leben seit 2006 unter Polizeischutz, weil Sie genau wegen solcher Forderungen Morddrohungen bekommen. Was macht Sie so zuversichtlich, dass Ihr Appell bei Ihren Kritikern trotzdem nicht ungehört verhallt?

Ich erlebe es ja täglich in unserer Moschee, dass es funktioniert. Klar, mit dem Personenschutz habe ich am Anfang sehr gehadert. Seit fünf Jahren spüre ich aber, wie frei ich bin – trotz der Schutzengel, die mich umgeben. Oder wegen ihnen. Ich sehe nur noch das Positive und schöpfe daraus auch Kraft. Beamte vom Landeskriminalamt (LKA) fahren mich zu all meinen Terminen. Ich bin ohne die nicht auf der Straße, weil es diese Gefahr eben gibt.

Macht das nicht unfrei?

Nein, im Geiste bin ich frei. Ich kann mich ja bewegen. Ich war sogar auf dem Jakobsweg. Beamte vom LKA haben mich begleitet. Ich bin auch auf dem Rennsteig in Thüringen gewesen. Ich mache Lesungen. Ich spreche mit Politikern. All das passiert, weil Schutzengel da sind. Als Menschenrechtlerin werde ich getragen von Biographien anderer Menschenrechtler und Menschenrechtlerinnen in der Geschichte. Sie haben alle „unfrei“ gelebt und für Freiheit gekämpft. Ich zehre von den Vorarbeiten, die Frauen in anderen Religionen erkämpft haben.

1984 sind Sie schon einmal einem Attentat durch einen Aktivisten der Grauen Wölfe zum Opfer gefallen. Eine Gewehrkugel zerfetzte eine Arterie im Hals und blieb im Halswirbel stecken. Hat Sie das nicht traumatisiert?

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Doch, aber zum Glück hatte ich tolle Psychotherapeuten, die mir geholfen haben, dieses Trauma zu verarbeiten. Es hat allerdings ein bisschen gedauert, bis ich erkannt habe, dass ich Hilfe brauche. Die ersten vier Jahre nach dem Attentat habe ich mich nur um meinen Arm gekümmert, der bis heute schmerzt. Dann erlitt ich einen Nervenzusammenbruch. Er hat mir gezeigt, dass ich meine Seele vernachlässigt hatte. Ich habe in der Therapie eine unglaubliche Stärke entwickelt. Die kriegen mich nicht – dann hätten sie ja gesiegt. 

Aber für einen Freigeist wie Sie muss es doch die Hölle sein, rund um die Uhr von der Polizei bewacht zu werden?

Tatsächlich fühle ich mich manchmal eingeengt. Ich kann nicht einfach meine Jacke nehmen und sagen, ich gehe mal eine Stunde spazieren, einfach so alleine für mich, um Gedanken zu sammeln. Das geht leider nicht. Es gibt Momente, wo ich verzweifele. Ich würde so gerne mit meinen Freunden in die Kneipe, ins Café oder Kino gehen. Ich kann das aber nur verkleidet machen.

Wie muss ich mir das vorstellen?

Ich bin dann ganz stark verkleidet. Ich stehe dann da vor dem Spiegel und frage: Und, sehe ich aus wie ich? Ich hatte mal eine Perücke, die hatte ich über meinen kurzen Haaren getragen. Und dann sagte jemand aus der Familie: „Nee, Du siehst aus wie Du, bloß mit langen Haaren.“ Und da musste halt mehr gemacht werden. Gerade im Winter funktioniert das gut, und auch in der Corona-Zeit kann man sich gut verkleiden.

Sie sind bisexuell, feministisch und predigen als Imamin in Deutschlands erster liberaler Moschee. Welches dieser drei Attribute ist die größte Provokation für orthoxode Muslime?

Ich denke, am Ende ist es diese Bisexualität, mit der ich sehr offen umgehe. Unsere Moschee wird auch gerne als Homosexuellen-Moschee oder LGBT-Moschee verunglimpft. Imaminnen gibt es ja in der muslimischen Theologie schon seit Jahrhunderten. Das ist nicht so ungewöhnlich. Das kommt dann als Stufe zwei. Vor einer gemischten Gruppe aus Männern und Frauen zu predigen, das geht für meine Kritiker gar nicht.

Warum ist das so eine große Provokation?

Weil ich am Patriarchat rüttele. In meinem Buch „Die große Reise ins Feuer“ habe ich geschrieben: „Ich kämpfe nicht gegen den Islam, ich kämpfe gegen das Patriarchat.“ Und das sind die Strukturen, die ja auch Kirchenvertreter aufrechterhalten, indem sie Geschlechter-Apartheid praktizieren und bestimmte Rituale immer nur Männern überlassen. An diesen Machtverhältnissen ändert sich aber etwas. Frauen benutzen ihren Verstand und ihr Wissen, dadurch fühlen sich Männer auch in ihrer Männlichkeit angegriffen. Es gibt auch heute noch Männer, die der Ansicht sind, dass sie nur deshalb besser oder klüger sind, weil sie Männer sind.

Sie haben in dem Film aus den Hass-Mails vorgelesen, die Sie bekommen. Da werden Sie mitunter als „Dreckshure“ bezeichnet. Wie gehen Sie damit um? 

Inzwischen prallt es an mir ab. Ich habe es tatsächlich geschafft, den Umgang damit zu lernen. Ganz am Anfang hat es mich noch verletzt, ich habe auch geweint und war verzweifelt. Inzwischen weiß ich, dass man damit umgehen muss, wenn man sich in die Öffentlichkeit begibt.

Warum ist „Hure“ im Islam eigentlich so ein beliebtes Schimpfwort? 

Weil die muslimische Gemeinschaft im Vergleich zu anderen Weltreligionen extrem übersexualisiert ist. Warum bezeichnet man so eine Frau, die schreibt und liest und ihren Verstand benutzt? Ich sehe diese Hass-Mails inzwischen als Bestätigung, dass wir dringend über die Sexualität von Männern sprechen müssen. Es ist die Wunde, in die wir unseren Finger legen müssen. Und da sind wir wieder beim Patriarchat.

Bekommen Sie eigentlich auch Hass-Mails von Frauen?

Ja, aber die sind anders. Frauen sind sogar in ihrer Wut und ihrem Hass zurückhaltender.

Ihre Moschee in Berlin wird von Leuten besucht, die diesen Prozess der Befreiung schon längst hinter sich haben. Sie wird gerne von der LGBTQ-Gemeinde frequentiert, die ihre Rechte kennt und selbstbewusst artikuliert. Schreckt das Muslime nicht ab, die vielleicht noch in der Selbstfindungsphase sind?

Es ist gar nicht so, dass nur Menschen kommen, die diesen Selbstfindungsprozess schon abgeschlossen haben. Im Gegenteil: Die letzten vier Jahre zeigen, dass zwei Drittel der Menschen den Prozess erst in unserer Moschee vollzogen haben.  

Ihre Moschee ist die einzige in Deutschland, in der Frauen und Männer zusammen beten. Im Christentum ist das selbstverständlich. Im Islam ist es eine Revolution. Was sagen die Frauen, die deswegen zu Ihnen kommen? 

Es gibt einige Frauen, die sagen, sie seien zum Islam konvertiert, aber die Moscheen und die Muslime, die sie dann kennengelernt habe, hätten sie nicht angesprochen. Das heißt, sie haben sich zwar in der Religion wiedergefunden, aber nicht in der Institution. Bei uns haben sie endlich einen Raum gefunden, wo sie den Islam praktizieren können – und zwar ohne Geschlechter-Apartheid und ohne Kopftuchzwang.

Sogar in China, wohin Sie gereist sind, um Imaminnen der Uiguren zu treffen, waren Kolleginnen entsetzt darüber, dass Sie bei den Predigten in Ihrer Moschee kein Kopftuch tragen. Ist der Glaube an muslimische Tradition stärker als die Solidarität unter Frauen?

Diese Frauen sind Werkzeuge des Patriarchats. Sie kämpfen um ein Recht auf Verschleierung, das man obsessiv nennen muss. Sie bekämpfen die patriarchalen Strukturen nicht, sie akzeptieren sie. Gerade diese female imames, die seit 300 Jahren eigene Moscheen haben, sind sehr traditionell. Wir müssen das akzeptieren.

Die Imamimmen in China erzählten, dass sie vor allem von Frauen aufgesucht werden, die Opfer häuslicher Gewalt sind. Ihr Verständnis von Seelsorge ist ein umfassenderes. Sie wollen die Frauen ermutigen, sich aus ihrem Korsett von Traditionen zu befreien. Gibt es trotzdem einen kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Ihnen und den Uiguren am anderen Ende der Welt?

Der kleinste gemeinsame Nenner ist, dass sich Frauen vor die Gemeinde stellen und Rituale zelebrieren. In den Moscheen bestimmen aber die Männer, was gemacht wird. Frauen, die häusliche Gewalt erlebt haben, müssen am Ende mit dem Imam reden. Die Frauen bleiben nur Vermittlerinnen. Aus dieser Rolle bin ich schon lange ausgebüxt. Und ich bin nicht alleine. Wir wollen ein Vorbild für andere Frauen sein. 

Klingt, als hätten Sie noch ein dickes Brett zu bohren.

Ja, da liegen Welten dazwischen. Und am Ende muss man akzeptieren, dass wir nur Hilfe zur Selbsthilfe anbieten können. Wir können nur dafür kämpfen, dass jede Frau eine Chance bekommt, eine Entscheidung zu treffen, ob sie sich vom Patriarchat befreit. Am Ende müssen wir es aber auch akzeptieren, wenn sie es nicht wollen. Sie profitieren ja auch vom Patriarchat. Es lässt sich dort sehr bequem leben. Schon Kant hat vom faulen Geschlecht gesprochen.

Der Titel Ihres Films ist eine Anspielung an Woodstock und die 68er-Revolution. Sie waren fünf Jahre alt, als die Generation rebelliert hat. In dem Film sagen Sie, Sie seien „ein trauriges Mädchen“ gewesen. Wann ist Ihnen zum ersten Mal bewusst geworden, dass Sie der Islam einengt und Sie nicht dieselben Freiheiten hatten wie deutsche Kinder?

In meiner Kindheit und Jugend war es nicht die Religion, die im Vordergrund stand. Erst jetzt als Erwachsene merke ich, wie mich der politische Islam eingeengt hat. Ich habe das erst nach 9/11 realisiert. Vorher war es die Kultur, die mir meine Eltern vorgehalten haben. Die haben gesagt: „Bei uns Türken ist das nun mal so, Mädchen gehen nicht alleine raus.“

Was hat sich durch 9/11 geändert?

Wir wurden plötzlich alle als Muslime angesprochen. Die Ausländer sind ja nicht nur alle Migranten oder Türken, sie sind auch Muslime. Dass wir denselben Glauben haben, hat man in dieser Deutlichkeit erst nach 9/11 realisiert. So wurde ich zur Verteidigerin von Musliminnen.

Hat das dazu geführt, dass sich einige radikalisiert haben?

Exakt. Einige wie ich haben angefangen, sich mit der spirituellen Seite von Religion zu beschäftigen. Andere haben sich aus Frust und Unwissenheit radikalisiert.

Mit 18 hielten Sie es nicht mehr zu Hause aus und verließen Ihre Familie. In dem Dokumentarfilm kommt auch Ihre Mutter Hatun vor. Es sieht aus, als hätten Sie heute ein liebevolles Verhältnis. Wie schwer war es, sich mit ihr zu versöhnen?

Als ich von zu Hause abgehauen bin, habe ich geschrieben: Um diesen Schritt machen zu können, musst Du Deine Eltern hassen, obwohl Du sie liebst. Diese Grundliebe für meine Eltern war immer da. Und dann hat es zehn Jahre gedauert, bis wir miteinander Frieden schließen konnten. Ich konnte meinen Eltern zeigen, dass aus mir nicht eine „Hure“ geworden ist. Das war ja ihre Angst, dass ich eine Hure werde. Dabei wollte ich einfach nur frei und selbstbestimmt leben. Wahrscheinlich ist das auch ein Grund, warum ich mich heute mit dem Thema Sexarbeit beschäftige. Es birgt noch jede Menge Stoff für gesellschaftspolitische Debatten. 

Immerhin hatte Ihre Mutter keine Probleme damit, Ihnen Bekleidung für den Schwimmunterricht zu kaufen. Auf die Frage, ob Sie einen Bikini oder einen Badeanzug wollen, haben Sie gesagt: „Die Farbe ist wichtig.“

Ja, rosa musste es sein. Ich habe lange einen rosafarbenen Bikini gehabt. Auch als Teenager habe ich noch einen rosafarbenen Bikini getragen. In der Generation der Gastarbeitereltern war das gar keine Frage, ob die Kinder am Schwimmunterricht teilnehmen oder nicht. Die haben ihren Zettel mit den Dingen abgearbeitet, die man zur Schule mitbringen musste. Ich wurde gefragt, ob ich einen Bikini haben möchte oder einen Badeanzug – und nicht, ob Jungs und Mädchen getrennt in Sport unterrichtet werden oder wie viel Haut Mädchen zeigen dürfen. Das wäre meinen Eltern nie in den Sinn gekommen. Das tut mir so leid, dass heutzutage Kinder in diesem Alter über die Religion sexualisiert werden.

Das heißt, da hat ein Rückschritt stattgefunden?

Ja, und zwar ein extremer.

Aber daran ist doch nicht nur 9/11 schuld?

Nein, schuld daran ist der politische Islam, der sich so breitgemacht hat. Den inner-islamischen Diskurs führen die Verbände, die zwar nur 20 Prozent der Migranten vertreten, die aber den Anspruch erheben, für alle zu sprechen. Die deutsche Politik hat es seit den achtziger Jahren übersehen, dass Milli Görüs und die Wahabiten und Salafisten begonnen haben, ihren Einfluss auf Deutschland auszuweiten. Sie haben hier ideologische Schulen und Moscheen gebaut. Dort wird eine Linie vorgegeben, wie sich die Muslime in Europa entwickeln sollen. Sie sollen nicht zu europäischen Muslimen werden.

In Ihrer Moschee trauen Sie schwule und lesbische Paare. Ist das die sexuelle Revolution, die Sie fordern?

Unter anderem.

In Ihrem Film sagen Sie, Männer unterdrücken Frauen, um das Patriarchat zu festigen. Deswegen führen sie auch Kriege. Kann man Ihren Kampf um Befreiung tatsächlich mit einem Terroranschlag wie 9/11 vergleichen?

Ich empfinde mich zwar nicht als terroristischen Anschlag, aber tatsächlich ist es für viele Männer zerstörerisch, was von der Frauenbewegung auf sie zukommt. Auf meinem Tisch liegt das Buch „Die Grenzen des Geschlechts. Eine Anleitung zum Sturz des internationalen Patriarchats“ von Edit Schlaffer und Cheryl Bernard. Das ist meine feministische Bibel. Die sind durch die ganze Welt gereist, um über Frauen zu schreiben, die aufgrund ihres Geschlechts eingesperrt oder umgebracht werden. Daran kann nur ein Kampf etwas ändern.

Ihr Neffe Tugay ist schwul. Im Film erzählt er, wie er nach dem Tod des Vaters vorübergehend zum Islamismus abgedriftet ist, weil er dachte, er käme als Schwuler in die Hölle. Was verrät seine Geschichte über die Beziehung von Politik und Sexualität im Islam?

Sexualität und Macht sind eng miteinander verbunden. Wir sehen das auch in der Katholischen Kirche, wenn es um sexuellen Missbrauch geht, oder in anderen orthodoxen Gemeinschaften, die ein Zölibat propagieren. Dahinter werden versteckt perverseste Formen von Sexualität ausgelebt. Moralvorstellungen werden benutzt, um Menschen sexuell zu unterdrücken.

Welche Rolle spielt das Versprechen im Koran, dass auf gläubige Moslems 72 Jungfrauen im Himmel warten?  

Alle islamistischen Attentäter, die wir kennen, hatten die Illusion, als Märtyrer ins Paradies zu kommen und dort 72 Jungfrauen vorzufinden. Das zeigt, wie krank und pervers die Psychologie der Menschen im Hinblick auf ihre Sexualität ist. Diese 72 Jungfrauen sollen sich ja immer wieder „erneuern“. Auch nach dem Beischlaf mit dem Märtyrer bleiben sie Jungfrauen. Sie bluten nicht. Sie gebären nicht. Der Mann ist immer wieder der erste, der sie immer wieder entjungfert.

Von hier bis zur Versklavung der Frauen im IS ist es gar nicht so weit.

Genau das ist meine Kritik: Mit der Religion wird Politik gemacht. Interessanterweise findet man unter den IS-Frauen auch viele Konvertitinnen – also Frauen, die sich in diese Unterdrückung geflüchtet haben. Ich habe als Anwältin Eltern beraten, die ihre Töchter an Islamisten verloren haben. Das waren teilweise Alt-68er, deren Töchter unglaublich frei aufgewachsen sind. Und wissen Sie, was die mir erzählt haben? Dass die Töchter die Eifersucht des Mannes als etwas Positives empfunden haben.

Was schließen sie daraus?

Ihre Welt war ihnen zu frei. Sie hatten nichts, woran sie sich festhalten konnten.

Als Imamin gehen Sie auch dorthin, wo es wehtut – zum Beispiel ins Bordell. Dort haben Sie einen Arbeitskreis mit Prostituierten. Was haben sie von denen über die Sexualität muslimischer Männer in Deutschland gelernt?

Muslimische Männer haben zwar moralische Vorstellungen von ehelicher Treue, sie haben aber auch ein unheimliches Bedürfnis nach freier Liebe. 80 Prozent von ihnen haben keine perversen Vorstellungen, sie möchten Sexualität einfach ganz entspannt erleben. Und dafür bezahlen sie Geld.

Und warum geht das nicht mit der eigenen Frau?

Zum einen, weil sie sich selber Grenzen setzen. Mit der eigenen Frau macht man das nicht, das ist unanständig. Zum anderen darf das die eigene Frau auch nicht. Für mein Buch „Die sexuelle Revolution“ habe ich mit vielen Männern, Frauen und auch mit Prostituierten gesprochen. Wenn sich eine muslimische Frau freizügig im Bett verhält, muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen: Wo hast du das gelernt? Und da sind wir wieder bei der Hure. 

Stimmt es, dass muslimische Männer mit Prostituierten vor dem Sex symbolisch eine Ehe schließen?

Ja, aber nur für eine halbe Stunde. Selbstverständlich machen das nicht alle, aber eine nicht zu unterschätzende Zahl. Tendenz steigend. 

Warum das denn?

Der Sex muss legal vor Gott sein. Einer Frau würden sie das gleiche Recht natürlich nicht zugestehen. Und da sind wir wieder beim Patriarchat. Wissen Sie, welches Bild mich nicht loslässt?

Nein.

Als ich einmal ins Berliner Bordell Artemis gefahren bin, sehe ich, wie ein Mann am Eingang auf den Knien sitzt und betet.

In Richtung Mekka?

Ja, in Richtung des Bordells. Danach ist er aufgestanden und durch den Haupteingang hineingegangen. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt.

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