Der Flaneur - Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung im Flugzeug

An Bord von Flugzeugen herrscht ein augenscheinlich lockerer Ton. Doch dieser zeugt tatsächlich von einem Mangel an Distanz und Respekt. Wenn es ernst wird, fallen die letzten Hemmungen

Erschienen in Ausgabe
Manche Witze widersprechen dem Wesen des Rechts
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Autoreninfo

Stefan aus dem Siepen ist Diplomat und Schriftsteller. Von ihm erschien zuletzt im Verlag zu Klampen „Wie man schlecht schreibt. Die Kunst des stilistischen Missgriffs“. (Foto: © Susanne Schleyer / autorenarchiv.de)

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Letztens im Flugzeug: Auf Bildschirmen über den Sitzen werden den Passagieren die „Sicherheitshinweise“ in Form einer Comedy-Show präsentiert. Man sieht trottelhafte Gestalten, die sich ungeschickt mit ihren Gurten abmühen, die Sauerstoffmasken verkehrt herum aufsetzen und ähnliche Slapsticks; dazu eingespielte Lacher. Ich senke gequält den Blick, um der Kinderstunde zu entrinnen, während sich mein Sitznachbar fast auf die Schenkel klopft. Ein anderes Mal, in einer belgischen Maschine: Eine Lautsprecherstimme erklärt fröhlich, wie die Schwimmwesten angelegt werden, und witzelt über deren Aussehen: „We Belgians are famous for our fashion style. Unfortunately our life vests are not made for the catwalk.“ Da möchte man lieber ohne Schwimmweste ins Wasser gehen.

Gerade weil der Ton an Bord so locker ist, kann er leicht ins Gegenteil umschlagen; dann haben die Fluggäste nichts mehr zu lachen. Ein Beispiel der irritierenden Art: In der Flugzeugtoilette scheint ein Passagier zu rauchen, jedenfalls schlägt der Rauchmelder an. Im Laufschritt eilt ein Steward herbei, hämmert mit der Faust gegen die Toilettentür und ruft: „Aufmachen!“ Der verdutzte Fluggast erscheint im Türspalt, der Steward herrscht ihn an, „Sie rauchen!“, streckt die Nase ins Innere und schnüffelt. Offenbar handelt es sich um einen Fehlalarm. Der Steward muss sich zurückziehen, doch im Weggehen kläfft er: „Rauchen ist absolut verboten – okay?!“ Der spaßhafte Ton zeugt von einem Mangel an Distanz und Respekt. Wenn es ernst wird, fallen die letzten Hemmungen.

Solche Witze widersprechen dem Wesen des Rechts

In der Berliner S-Bahn gelesen: „Schwarzfahren kostet 60 Euro. Ein Fahrschein ist günstiger.“ Die Obrigkeit gibt sich cool und locker, da sie fürchtet, anders nicht gehört zu werden. Der Ton erinnert an einen Vater, der seine Kinder nicht durch übertriebene Strenge zum Widerstand reizen will. Dass man einen Fahrschein löst, scheint nicht mehr Pflicht zu sein: Jeder darf wählen, ob er es tut oder lieber schwarzfährt. Entscheidet er sich für Letzteres, macht er allerdings ein schlechtes Geschäft.

Das saloppe Lavieren, die anheimstellende Geste deuten auf ein Verdampfen des Rechtsgefühls. Schon vor hundert Jahren schrieb der Jurist von Gierke: „Wenn, wie ich in der Schweiz bisweilen gesehen habe, eine Polizeiverordnung lautet: ‚Schritt fahren oder 20 Franken Buße zahlen‘, so widerspricht dies dem Wesen des Rechts. Das Recht stellt nicht zur Wahl, sondern heischt unbedingt.“ Ja, so war das früher.

Der Bürger am Schalter

Letztens im Potsdamer Rathaus, ich hole meinen neuen Personalausweis ab. Die freundliche Schalterbeamtin sagt: „Ich bekomme von Ihnen noch eine Unterschrift.“ Dann: „Sie gehen jetzt zum Automaten dort drüben und zahlen zwölf Euro fünfundsechzig ein.“ Hier ist alles Saloppe wie weggeblasen, stattdessen wählt die Obrigkeit einen anderen Trick, die Aufforderung im Gewande der Feststellung. Mit ruhiger Stimme beschreibt die Beamtin, was der Bürger als Nächstes tun wird – und dieser tut’s. So spricht auch ein Hypnotiseur: „Sie fühlen sich ganz leicht. Ihr Körper hat kein Gewicht mehr. Sie schweben.“

Der Bürger am Schalter ist kein Untertan mehr, sondern ein vernünftiger Partner, der zufrieden seinen Beitrag leistet. Widerstand, der durch Autorität überwunden werden müsste, ist nicht vorgesehen. So könnte noch eine rechtsstaatlich perfektionierte Hinrichtung ablaufen: „Sie steigen jetzt die Trittleiter hinauf, stellen sich auf die Luke, und ich lege Ihnen den Strick um den Hals.“

Dieser Text ist in der November-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

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