Als ich vor einigen Tagen einem Cicero-Redakteur erzählte, dass ich in meiner nächsten Kolumne über Schwarzwurzeln schreiben werde, konnte er ein gewissen Erstaunen nicht verbergen. Schwarzwurzeln? Nie gehört. Damit steht er ganz bestimmt nicht alleine da, denn die früher als „Arme-Leute-Spargel“ bespöttelte Gemüsepflanze aus der Familie der Korbblütler fristet eine karge Nischenexistenz. Der hier gerne zitierte Ernährungsoziologe Daniel Kofahl spricht auf Nachfrage von einem „typischen Kommunikationsproblem“.
Schwarzwurzel, eine „graue Maus“
Vor allem aufgrund des Hypes und der Ausbreitung des Spargels sei die Schwarzwurzel „am gesamtgesellschaftlichen Speisenbuffet in eine ungünstig einzusehende Ecke verschoben worden, wo sie wie eine graue Partymaus kaum beachtet wird, obwohl sie anwesend ist“. Denn Schwarzwurzeln würden – vor allem in Kantinen – durchaus als Beilage verzehrt, aber „allzu viele bemerken es gar nicht und reden dann auch nicht über sie“.
Daher werden sie auch daheim nicht nachgekocht, so Kofahl. Entsprechend bescheiden nimmt sich ihr Marktanteil in Deutschland aus. Während der Spargelabsatz in normalen Jahren – wozu 2020 aus bekannten Gründen nicht gehört – rund 120.000 Tonnen beträgt, dümpelt die Schwarzwurzel bei unter 1.000 Tonnen vor sich hin.
Beim Schälen Handschuhe nicht vergessen
Doch die Distanz zu Schwarzwurzeln dürfte noch einen anderen, sehr praktischen Grund haben. Ihre Verarbeitung ist schlicht und ergreifend eine ziemliche Sauerei, und die Verwendung von TK-Ware oder geschälten Schwarzwurzeln im Glas ist geschmackspolizeilich streng VERBOTEN! Die 20 bis 40 Zentimeter langen Stangen müssen zunächst von Sand- und Erdresten befreit werden, die unabdingbar für ihre Lagerfähigkeit sind.
Dann offenbart sich eine extrem klebrig-harzige Schale, die beim Schälen einiges Geschick erfordert. Verzichtet man dabei auf Küchenhandschuhe, hat man anschließend mehr mit der Reinigung seiner Hände, als mit der weiteren Zubereitung des Gemüses zu tun. Doch wenn man diese Klippen gemeistert hat, steht einem faszinierenden Geschmackserlebnis nur noch wenig im Wege. Und exotisch ist das keineswegs, denn Schwarzwurzeln werden nicht aus fernen Ländern um die halbe Welt geflogen, sondern gedeihen in Deutschland und anderen europäischen Ländern in der Spätherbst- und Wintersaison.
Mal eine Hauptrolle für die Schwarzwurzel
Wenn überhaupt, dann werden Schwarzwurzeln zumeist als Beilage verwendet, etwa zu Geflügel, Kalbfleisch oder Lachs. Dabei hat auch dieses feine Gemüse, mit seinem würzig-nussigen und ganz dezent süßlichen Geschmack, durchaus auch mal eine Hauptrolle auf dem Teller verdient. Und die gibt es hier und heute, in einem gratinierten Schwarzwurzel-Kartoffelauflauf. Los geht‘s.
Die gründlich geschälten und gesäuberten Stangen werden in 4-5 cm lange Stücke geschnitten, die man sofort in Essig- oder Zitronenwasser legt, sonst werden sie schnell unansehnlich braun. Die (festkochenden) Kartoffeln ebenfalls schälen. Schwarzwurzeln und Kartoffeln in Salzwasser bissfest kochen, ca 15-18 Minuten. Jetzt fabrizieren wir dazu eine Käsesoße, aus Gemüsebrühe, Sahne und Schafsfeta. Köcheln lassen, bis das sämig ist, und rühren nicht vergessen! Zum Würzen reicht schwarzer Pfeffer.
Sowas bekommt man auch ohne Lockdown kaum geboten
Ofen auf 200 Grad vorheizen. Eine Auflaufform gut fetten, Schwarzwurzeln und in Scheiben geschnittene Kartoffeln mit der Käsesoße darin vermengen und mit geriebenem Emmentaler und ein paar Semmelbröseln bestreuen. Nach 15 Minuten sollte alles gar sein und sich eine schöne braune Kruste gebildet haben. Spätestens wenn man seine Portion auf dem – möglichst vorgewärmten – Teller hat, weiß man, dass sich die Sauerei mit dem Schälen gelohnt hat. Und der Gastronomie-Lockdown braucht uns dann auch nicht zu kümmern, denn so ein Gericht bekommt man sowieso nirgends angeboten.
Schwarzwurzel-Kartoffel-Auflauf
Zutaten für 4 Personen
1 Kilo Schwarzwurzeln
700 g festkochende Kartoffeln
200 ml Gemüsebrühe
100 ml Sahne
150 g Schafsfeta (für die Käsesoße)
150 g geriebenen Emmentaler (für die Käsekruste)
50 g Semmelbrösel Butter oder Olivenöl für die Auflaufform
schwarzer Pfeffer (aus der Mühle)
Hier finden Sie weitere Rezepte von Rainer Balcerowiak.