Sachbücher über das Privatleben von Adolf Hitler - Der „Führer“ privat

Drei aktuelle Neuerscheinungen versuchen das Phänomen Hitler aus der Perspektive seines direkten Umfelds zu ergründen. Der Ansatz ist vielversprechend, birgt aber auch Risiken.

Lange von der Forschung unbeachtet: Die Privatperson Adolf Hitler / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ulrich Schlie ist Historiker und Henry-Kissinger-Professor für Sicherheits- und Strategieforschung an der Universität Bonn.

So erreichen Sie Ulrich Schlie:

Anzeige

Was sagt der Umstand, dass immer wieder entscheidende Anstöße zur Hitler-Forschung von Außenseitern ausgegangen sind, über den Zustand der Historikerzunft aus? Diese Frage drängt sich nach der Lektüre dreier in Volumen, Aussagekraft und wissenschaftlicher Methode sehr unterschiedlicher Hitler-Bücher auf, die im Jahr 2020 erschienen sind. Von ihnen ist der 500 Seiten starke Interviewband von Wieland Giebel der gewichtigste. 

Das Buch umfasst mehr als 30 Gespräche, die Karl Höffkes in den neunziger Jahren mit Zeitzeugen – vornehmlich, aber nicht nur aus Hitlers Entourage – führen konnte und die zum Zeitpunkt der Aufnahme oftmals die ersten öffentlichen Äußerungen dieser Weggefährten Hitlers überhaupt enthielten. 

Lässt man die hinlänglich bekannten Schilderungen über Essgewohnheiten des Diktators, seines nach hinten verschobenen Tagesrhythmus und das Leben auf dem Berghof beiseite, enthält der Band eine Reihe aufschlussreicher Quellenzeugnisse. Dies trifft etwa auf die erstmalige Schilderung des damaligen Reichsjugendführers Artur Axmann über seine Zeit im Bunker und ein Zwiegespräch mit Hitler in der Nacht vom 29. auf den 30. April 1945 zu. 

Auch das Gespräch mit Ernst Günther Schenck, dem Ernährungsinspekteur von Wehrmacht und SS und Arzt in der Reichskanzlei, sowie die Interviews mit Bernd Freytag von Loringhoven, dem Adjutanten des Chefs des Generalstabs des Heeres, mit Hitlers Sekretärin Traudl Junge oder dem Telefonisten im Führerhauptquartier, Rochus Misch, sind der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs gewidmet. 

Bislang unbekannte Originaltöne

Auch wenn von einzelnen Interview­partnern in der Zwischenzeit Memoiren vorliegen, so sind in ihrer Dichte die ursprünglichen Interviews vorzuziehen, weil es in ihnen gelingt, die Atmosphäre der Zeit prägnant zu erfassen und unbekannte Originaltöne Hitlers wiederzugeben. Aus dem Gespräch Höffkes etwa mit Elisabeth Grünbauer, der Tochter der Familie Popp, bei der Hitler vor dem Ersten Weltkrieg als Untermieter gewohnt hat, kommt der Historiker Thomas Weber in seinem ebenfalls in dem Band abgedruckten Aufsatz über „Hitlers Antisemitismus schon vor dem Krieg“ in einer Neubewertung zu dem bahnbrechenden Ergebnis, dass schon vor dem Ersten Weltkrieg bei Hitler antisemitische Tendenzen nachgewiesen werden können. 

Claus Hant schließlich hat auf über 500 Seiten einen Streifzug durch weniger bekannte Aspekte der Hitler-Forschung unternommen, die er unter Überschriften wie „Persönlichkeitsbild“, „Frauen“, „Glaube oder Maja“ komponiert hat. Hier werden immer wieder interessante Beobachtungen und weniger bekannte Ergebnisse der Forschung zusammengefügt, die sich für ein größeres Lesepublikum erschließen, aber es werden keine neuen Erkenntnisse formuliert. 

So zuverlässig Hant auch bislang kaum beachtete Aspekte von Hitlers Herrschaft und Weltanschauung zusammengetragen hat, so läuft doch der weniger kundige Leser Gefahr, im Labyrinth der Einzelaspekte verloren zu gehen. Auffällig ist dabei vor allem, wie spät sich die Hitler-Forschung dem „unbekannten Hitler“ in seinen ersten drei Lebensjahrzehnten zugewandt hat. 
Den prägenden Jahren des jungen Hitlers in Oberösterreich ist auch die Erkundung von Hannes Leidinger und Christian Rapp gewidmet, einem lange Zeit unterbelichteten Gegenstand der Forschung, über den nur spärliche Zeugnisse erhalten geblieben sind. Leidinger und Rapp weisen nach, dass die Erfahrungen in der späten Donaumonarchie – Deutschnationalismus und Antisemitismus – bereits in jenen Linzer Jahren geformt worden sind. 

Zentralfigur des Dritten Reichs

Mit Blick auf die Entwicklung Hitlers treten damit sehr früh jene Merkmale hervor, die in ihrer inneren Konsistenz und der scheinbar grenzenlosen Ich-Bezogenheit des deutschen Diktators charakteristisch für seine späteren Jahre werden sollten. Jene Selbstbezogenheit, die bald schon in ein Überlegenheitsgefühl umschlagen und sich immer wieder in veritablen Wutausbrüchen und Hasstiraden äußern sollte.

Zu Hitlers Persönlichkeitsbild zählt auch, und dies zieht sich wie ein roter Faden durch die Schilderungen, dieses Überlegenheitsgefühl. Dies ist insbesondere in der letzten Phase im Bunker erkennbar, wo die gespenstische Atmosphäre Hitlers Strategie und Welt­anschauung mit all ihren Abgründen noch einmal hervortreten lässt. Hitler war ohne Zweifel die Zentralfigur des Dritten Reiches. Aufstieg und Niedergang, militärischer Triumph und Niederlage sind untrennbar mit seiner Person verbunden. Dies mag auch den Bann erklären, der selbst noch vom körperlichen Wrack der Schlussphase ausgehen konnte und der dazu geführt hat, dass der einstige innere Kreis vom Berg­hof in der Nachkriegsgesellschaft noch lange Zeit durch enge persönliche Bande fortexistierte. 

Gefahr der Banalisierung des Bösen

Der Nationalsozialismus ist ohne Hitler nicht denkbar gewesen. Er gilt als Verkörperung des Bösen in der Geschichte schlechthin. Dies steht im scheinbaren Widerspruch zur Faszination, die auf Besucher und Weggefährten von Hitler ausgehen konnte. Gerade damit aber hat sich die Geschichtswissenschaft seit jeher schwergetan. Wie kann ungeachtet der ruinösen Lebensleistung das Phänomen Hitler, die Anziehungskraft auf die Zeitgenossen erklärt werden? 

Wenn die Geschichtswissenschaft die Beschäftigung mit der Person Hitler weiter aus dem Zentrum ihrer Aufgaben verdrängt und sich mit der Wiedergabe bestehender Deutungsmuster begnügt, schlägt die Stunde der Außenseiter. Es wächst damit aber zugleich die Gefahr, dass bei denjenigen, die heute über den Nationalsozialismus so wenig wissen wie keine Generation zuvor, die Anfälligkeit für die Banalisierung des Bösen wächst. Genau dies ist ein Nährboden für neue Legenden.

Claus Hant: Hitler. Die wenig bekannten Fakten. Bookmundo, Rotterdam 2020. 596 Seiten, 26,80 €.

Hannes Leidinger/ Christian Rapp: Hitler. Prägende Jahre. Kindheit und Jugend 1889–1914 Residenz, Wien 2020. 256 Seiten, 24 €.

Wieland Giebel (Hrsg.): Ich traf Hitler. Die Interviews von Karl Höffkes mit Zeitzeugen
Berlin Story, Berlin 2020. 570 Seiten, 39,95 €.

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige