Sabine Leutheusser-Schnarrenberger liest... - Das politische Buch

Michael Bröning leitet das New Yorker Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung. Nach der Bundestagswahl erschien sein Buch „Vom Ende der Freiheit. Wie ein gesellschaftliches Ideal aufs Spiel gesetzt wird“. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat es für uns gelesen und rezensiert.

Für Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist der Liberalismus ein elementarer Bestandteil der Demokratie / dpa
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Autoreninfo

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war zweimal Bundesjustizministerin. Die FPD-Politik­erin ist stellvertretende Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

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Vielleicht ist es ja ein gutes Zeichen, dass sich aktuell so viele Autoren Gedanken über „Freiheit“ machen. Von liberaler Seite aus tun wir das schon lange und begrüßen jeden, der sich in die Diskussionen um Freiheitsrechte, Bürgerrechte und Bürgerpflichten einbringt. Gerade in diesen Tagen, wo der Begriff „Freiheit“ im Zusammenhang mit der Corona-­Politik oft unzulänglich gebraucht, manchmal missbraucht wird, kann es nützen, sich der Notwendigkeiten einer freiheitlichen Gesellschaft zu vergewissern. 

„Während Rechte gegen den Liberalismus hetzen, aber das Hohelied auf die Freiheit intonieren“, beobachtet Michael Bröning, „beschwören Teile der Linken den kulturellen Liberalismus, aber wenden sich von der Freiheit ab.“ Dass sich zwischen diesen Polen womöglich noch ein Liberalismus der Mitte findet, wird allerdings weitgehend ausgeklammert. Der Essay ist daher vor allem ein „Versuch der Einflussnahme“ auf den Diskurs innerhalb des sogenannten „progressiven Lagers“. 

Liberalismus in der Moderne

Seine Diagnose macht Bröning, Mitglied der SPD-Grundwertekommission, etwa an der Pandemiebekämpfung, Identitätspolitik, Digitalisierung und Klimakrise fest, wo sich für ihn „spezifische politische Herausforderungen für das Ideal der Freiheit“ zeigen. Seine Urteile, wie „die Progressiven“ mit diesen Herausforderungen umgegangen sind, sind durchweg kritisch bis negativ: In all diesen Themen lauern Gefahren, aber „die Progressiven“ nehmen sie nicht ausreichend zur Kenntnis oder finden keine Gegenmaßnahmen.

Mit vielem hat Bröning recht, wenn ich auch als Liberale seine Analyse nicht umfassend teile. Seit geraumer Zeit müssen wir infolge der Pandemie bisher unvorstellbare Beschränkungen der Ausübung unserer Grund- und Menschenrechte feststellen. Eine „partikularistische Identitätspolitik“ (Bröning) ist wenig liberal. Rede-, Auftrittsverbote, Cancel Culture sind eine Gefährdung der Meinungsfreiheit. Die Digitalisierung birgt – bei allen positiven Effekten – die Gefahr von mehr Überwachung oder des Entstehens zu mächtiger Großkonzerne, aber auch der Verrohung der Sitten in der Kommunikation. Und bei der Bekämpfung des Klimawandels gilt es, die demokratischen Grundsätze einzuhalten, die Leistungsfähigkeit freiheitlicher und demokratischer Diskussions-, Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse zu wahren.

Freiheit ist kein Anhängsel

Daher bleibt unklar, wen Bröning mit „den Progressiven“ meint. Eine Stärke des Buches wird dabei teilweise zur Schwäche. Bröning bringt als Leiter des New Yorker Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung auch angelsächsische Perspektiven mit ein. Dass allein der Begriff „liberal“ nicht ohne Übersetzungsschwierigkeiten ist, geht im Eifer des Gefechts manchmal verloren. 

Ganz am Ende zitiert er aus Oliver Schmolkes „Zur Freiheit. Ein linksliberales Manifest“ dessen Satz zur „Wiedergewinnung der gesellschaftlichen Meinungsführerschaft und der politischen Mehrheitsfähigkeit sozialdemokratischer Parteien“, die nur dann gelinge, „wenn sie das liberale Erbe wiederentdecken“. 

Nun denn. Die Schrift von Schmolke ist im Frühjahr 2013 erschienen, das Buch von Bröning zwei Wochen nach der Bundestagswahl 2021. Vielleicht waren die danach eingetretenen Entwicklungen da noch nicht abzusehen. Der vermeintliche Erbfall „Liberalismus“ ist auf jeden Fall nicht eingetreten. Die Bundesregierung aus drei Parteien lässt das „Progressive“ wiederaufleben. Die Ampelkoalition hat sich der Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit verpflichtet. Die Freiheit ist kein Anhängsel, sondern sie muss für den Fortschritt viele Kräfte der Bürger freisetzen.

Michael Bröning: Vom Ende der Freiheit. Wie ein gesellschaftliches Ideal aufs Spiel gesetzt wird. Dietz, Bonn 2021. 148 Seiten, 18 €

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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