Renate Künasts „New Protein Deal“ - Gentechnik mit und ohne Gene

Ernährungspolitikerin Renate Künast fordert einen „New Protein Deal“, um die Herstellung der „Proteine der Zukunft“ zu beschleunigen. Was die Grüne nicht erwähnt: Das wird nur in Ausnahmefällen ohne Gentechnik möglich sein - und die lehnt sie ab.

Forschung zu künstlichem Fleisch an der Hochschule Reutlingen / dpa
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Autoreninfo

Ludger Weß schreibt seit den 1980er Jahren über Wissenschaft, vorwiegend Gen- und Biotechnologie. Davor forschte er als Molekularbiologe an der Universität Bremen. 2017 erschienen seine Wissenschaftsthriller „Oligo“ und „Vironymous“ und 2020 das Sachbuch „Winzig, zäh und zahlreich - ein Bakterienatlas“.

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Die Weltbevölkerung wird bis zum Jahr 2050 von derzeit 7,9 Milliarden voraussichtlich auf 9,7 Milliarden Menschen anwachsen – das bedeutet einen Zuwachs um fast ein Viertel. Genug Essen für diese Menschen zu produzieren, ist eine große Herausforderung, denn wir können Agrarflächen nicht beliebig ausdehnen – im Gegenteil, wir müssen Anbauflächen reduzieren, schon allein deswegen, weil wir mehr Kohlenstoffsenken – Moore, Sümpfe, Wälder – brauchen. Hinzu kommt, dass auch die Tierhaltung weltweit nicht ausgedehnt, sondern reduziert und die Überfischung der Meere gestoppt werden muss. 

Doch woher sollen die Proteine für die Ernährung von Mensch und Nutztier kommen? Europa ist schon heute extrem importabhängig: Etwa 70 Prozent der in Europa konsumierten pflanzlichen Proteine müssen importiert werden, was zu einer sogenannte „Protein-Lücke“ in der Versorgung führt und uns abhängig von instabilen Regionen der Welt macht. Wir werden also Nahrung produzieren müssen, ohne Ackerfläche zu beanspruchen. Die einzige Möglichkeit, das zu tun, besteht in der Verwendung von Mikroorganismen, die im Sinne einer Kreislaufwirtschaft Abfälle und Abgase verwerten und daraus proteinreiche Biomasse erzeugen. Nach der Domestizierung von Pflanzen und Nutztieren bricht jetzt die Ära der Domestizierung der Mikroorganismen an. 

„New Protein Deal“ ohne Gentechnik?

Dass diese alternativen Proteine wichtig werden, hat nun auch die grüne Ernährungswende-Politikerin Renate Künast erkannt, wie sie in dieser Woche in einem Gastkommentar im Handelsblatt verkündete. Darin forderte sie zusammen mit Godo Röben, dem ehemaligen Geschäftsführer des Lebensmittelherstellers Rügenwalder Mühle, einen „New Protein Deal“, um die Herstellung der „Proteine der Zukunft“ in Fermentern zu fördern und ihre Zulassung zu beschleunigen.
 

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Was Künast zu erwähnen vergaß: Fleisch und Fisch aus Zellkulturen, Milch und Käse ohne Kühe und Proteine aus Präzisionsfermentation wird es nur in Ausnahmefällen ohne Gentechnik geben. Die aber lehnt sie ebenso wie die Mehrheit der grünen Fraktion strikt ab – nur eine Woche vor dem Erscheinen ihres Gastkommentars bekräftigten Künast & Co. ihr Nein zu jeglichen Vorstößen, die inzwischen angestaubte Gentechnik-Richtlinie der EU zu novellieren. 

Pseudoexperten und logische Trugschlüsse

Gentechnik in der Nahrung gilt bei den Grünen als Bedrohung der Natur – schließlich kann niemand gentechnisch veränderte Organismen zurückholen, wenn sie einmal aus dem Gewächshaus oder dem Fermenter entkommen sind. In diesem Fall kann niemand den Super-GAU für die Natur ausschließen. Jahrelang spannen grüne Abgeordnete und Politiker auch die Mär von potenziellen Gesundheitsgefahren. Es sei nicht auszuschließen, dass Gentechniknahrung Krebs erzeugen könnte, hieß es unter Berufung auf die aufsehenerregende, aber äußerst dubiose und nicht reproduzierbare Studie eines Außenseiters. PLURV, d.h. Pseudoexperten, Logische Trugschlüsse, Unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei, Verschwörungsmythen lassen grüßen, sobald Grüne sich zu Gentechnik äußern.

Künast setzt sich mit ihrer Initiative deutlich von ihrer langjährigen Freundin Vandana Shiva, der internationalen Biobewegung und der Anti-Gentechnik-Bewegung ab. Shiva sprach erst kürzlich vom „mad rush to fake food“, also dem „verrückten Ansturm auf gefälschte Lebensmittel, wie z.B. gefälschtes Fleisch aus gentechnisch verändertem Soja … Es ist ein Rezept, das die Zerstörung des Planeten und unserer Gesundheit beschleunigt.“

Sekundiert wird Shiva von André Leu, dem langjährigen Präsidenten von IFOAM, der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen, und von Stacy Malkan, Anti-Gentechnik-Aktivistin bei US Right to Know, die diese Form der Nahrung als „ultra-ultra-prozessiertes Junk-Food“ bezeichnet. Es sei eine Verschwörung der Silicon-Valley-Industrie. Biotech- und Big-Data-Firmen, allen voran Bayer-Monsanto, versuchten, die hoch technisierten und verarbeiteten Fleischimitate mit zweifelhaften grünen Behauptungen zu vermarkten. Ziel sei es, die Welternährung vollends in ihre gierigen Kapitalistenhände zu bekommen. So ähnlich tönt es in grünen Kreisen bis heute, wenn es um „Genpflanzen“ geht.

Abschied von der ideologischen Verbohrtheit?

Natürlich ist es zu begrüßen, wenn Renate Künast zur Vernunft kommt, sich von dieser ideologischen Verbohrtheit verabschiedet und die Notwendigkeit sieht, angesichts der ökologischen Krise neue Nahrungsquellen zu erschließen – selbst wenn es sich dabei um gentechnisch veränderte Zelllinien oder Mikroorganismen handelt. Vielleicht geht ihr sogar allmählich ein Licht auf, wenn sie den Irrsinn begreift, der inzwischen Blasen schlägt.

Schon jetzt gilt Käse, der mit Enzymen aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen produziert wird, nicht als Gentechnik-Produkt. Aber wehe, die Mikroorganismen werden mit Zucker aus gentechnisch veränderten Zuckerrüben oder Stärke aus „Genmais“ ernährt. Denn dann, und erst dann, ist nach grüner Logik Gentechnik im Spiel und aus dem Käse wird verdammenswerter Gen-Käse – so wie Milch aus Kühen als Gen-Milch verunglimpft wird, sobald das Rinderfutter Sojabohnen aus Sorten enthält, die mit Gentechnik gezüchtet wurden. Ob irgendwelche Gene in der Milch nachweisbar sind, spielt dabei keine Rolle.

Mit anderen Worten: Im einen Fall handelt es sich um Gentechnik, wenn bei Vorprodukten Gentechnik im Spiel war – selbst wenn keine veränderten Gene im Produkt nachweisbar sind. Im anderen Fall ist es keine Gentechnik, selbst wenn gentechnisch veränderte Organismen beteiligt sind.

„Partei der Wissenschaft“ ohne Fakten

Viel Hoffnung auf ein Umdenken besteht jedoch trotz dieser hoffnungslos irrationalen Lage nicht. Schon seit 20 Jahren akzeptiert die grüne Partei Gentechnik in Medikamenten und Impfstoffen und toleriert Alltagsgegenstände wie Waschmittel, Textilien und Lebensmittel, die gentechnisch hergestellte Farbstoffe, Enzyme, Vitamine und andere Chemikalien enthalten. Das hat nichts daran geändert, dass die Partei selbst Pflanzen ablehnt, bei denen analytisch kein Unterschied zu natürlich erzeugten Sorten nachweisbar ist. Es geht, wie so oft in der selbsternannten „Partei der Wissenschaft“ nicht um Fakten, sondern um Befindlichkeiten und Glaubenssätze. Zukunftsfähig ist das nicht.

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