Psychoanalytiker Bernd Ahrbeck - Im Gegenwind

Ob Inklusion oder Transgenderdebatte: Der Psychoanalytiker Bernd Ahrbeck will Kinder vor einer falsch verstandenen Freiheit schützen und hinterfragt den immer größer werdenden moralischen Druck, der in diesen gesellschaftlichen Debatten aufgebaut wird. Dafür erntet er oftmals Kritik.

Der Psychoanalytiker Bernd Ahrbeck schreckt auch vor heiklen Debatten nicht zurück / Paula Markert
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Nathan Giwerzew ist Journalist in Berlin.

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Wer noch nie mit Bernd Ahrbeck gesprochen hat, erwartet möglicherweise, einen Intellektuellen zu treffen, der tagespolitische Fragen aus der Abgehobenheit des akademischen Elfenbeinturms kritisiert. Nichts könnte falscher sein. Denn der alte Herr kann beides: sowohl wissenschaftliche Abhandlungen schreiben als auch sich leidenschaftlich empören. Seine Augen, seine Mimik und Gestik verraten, wie emotional er sich am Zeitgeschehen beteiligt. Dass der Psychoanalytiker Ahrbeck auf einen reichen Erfahrungsschatz bei der Behandlung von Patienten zurückgreifen kann, davon zeugt seine souveräne und zugleich besonnene Stimme. 

In seinem Hauptwohnsitz in Hamburg empfängt Ahrbeck in hanseatisch-­bürgerlichem Ambiente. Die Wohnung ist lichtdurchflutet, das Mobiliar im Jugendstil gestaltet. Bernd Ahrbeck, das merkt man im Gespräch schnell, ist ein entschiedener Kritiker all jener Tendenzen, die im Namen einer diffusen Vorstellung von „Befreiung“ abschaffen wollen, was unsere Vorstellungen von einem bürgerlichen Leben ausmacht.

Irrweg Autoritätsverzicht

Ahrbeck entstammt einer Kaufmannsfamilie: Sowohl sein Großvater als auch sein Vater waren Händler. „Mein Vater war viel auf Reisen“, erzählt Ahrbeck. „Deshalb ahnte ich schon früh, wie wichtig die Rolle des Vaters in der Erziehung ist.“ 

Der Überflieger hatte schon mit 23 Jahren in Hamburg sein Psychologiestudium abgeschlossen. Sehr bald schloss er daran ein Studium der Pädagogik an. Seine ersten Patienten behandelte Ahrbeck, als er Assistent am Lehrstuhl für Sonderpädagogik an der Universität Hamburg war. Dieses Arbeitsumfeld war für ihn ideal, denn darin ergänzten sich psychoanalytische und erziehungswissenschaftliche Fragestellungen. Hier hatte er als behandelnder Psychoanalytiker vor allem mit verhaltensgestörten Kindern und psychisch kranken Erwachsenen zu tun. Mit den Erfahrungen, die er sammeln konnte, brachte es Ahrbeck bis zur Professur für Rehabilitationswissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität. Und auch heute noch ist er in der Lehranalyse für angehende Psychoanalytiker behandelnd tätig.

Ahrbeck war nie radikal. „Aber 68 – das war auch für mich das Gefühl eines neuen Aufbruchs“, sagt er. Auch wenn er mit vielen Anliegen der damaligen Studenten sympathisierte, das Konzept einer antiautoritären Erziehung ist ihm immer schon suspekt gewesen. Im Rückblick stellt er fest: „Damals sprachen immer alle von der ‚Befreiung der Kinder‘. In Wirklichkeit sollten die Kinder aber auf die antiautoritäre Ideologie ihrer Eltern eingeschworen werden.“ Zumal heute ohnehin nicht übermäßige Autorität das Problem sei, sondern viel eher der freiwillige „Autoritätsverzicht“ der Eltern. „Die Schule wird es schon richten“ oder „das Kind soll für sich selbst entscheiden“ – das sind nach Ahrbecks Ansicht die fatalen Grundirrtümer vieler Eltern.

Reichlich Gegenwind

„Es ist eher die Erfahrung durch die Praxis gewesen, die meine Arbeit befruchtet hat, weniger das bloße Bücherstudium“, betont er. Und so zieht sich von den damaligen Diskussionen über Sonderpädagogik bis hin zur Inklusions- und später der Transgenderdebatte ein roter Faden durch seine Publikationen. In allen diesen Fragen, sagt Ahrbeck, hat es ihn gestört, dass in den letzten Jahrzehnten die „Schutzfunktion der Erwachsenen gegenüber den Kindern sträflich vernachlässigt worden ist“. Etwa wenn förderbedürftige Kinder wegen eines falschen Verständnisses von Inklusion keine angemessene Förderung erhalten, um die „Vielfalt“ in der Klasse nicht zu gefährden. Oder wenn Kinder zunächst einmal nur das Gefühl haben, im falschen Körper geboren worden zu sein und ihnen eine ausführliche psychologische Beratung verwehrt wird – um bloß keine Zweifel an ihrem Transitionswunsch aufkommen zu lassen. In seiner jüngst erschienenen Monografie „Jahrmarkt der Befindlichkeiten“ hinterfragt er den immer größer werdenden moralischen Druck, der in diesen gesellschaftlichen Debatten aufgebaut wird.

Ahrbecks Plädoyer für feste Strukturen in der Erziehung stieß nicht bei allen Fachkollegen auf positive Resonanz. Und dass er in der Transgenderdebatte vor heiklen Themen nicht zurückschreckt, verschaffte ihm nicht nur Freunde. In einem zusammen mit der Erziehungswissenschaftlerin Marion Felder für die FAZ verfassten Gastbeitrag kritisierte Ahrbeck die immer beliebter werdende Idee, Kinder über ihre Geschlechts­identität selbst entscheiden zu lassen. Das führte nicht nur zu einigem Protest innerhalb der akademischen Welt, sondern auch zu einer Gegendarstellung im Spiegel. Der Psychoanalytiker gibt sich aber streitlustig. Denn wer zu kontroversen Themen publiziert, müsse immer mit Gegenwind rechnen.

 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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