Politisches Buch über Clan-Kriminalität - Der Staat ist nicht machtlos

Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer haben ein neues Buch über Clan-Kriminalität in Deutschland geschrieben. Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic bemängelt die starke Problemorientierung des Buchs. Wichtig seien aber Lösungen.

Polizei bei einer Großrazzia gegen Clan-Kriminalität / dpa
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Autoreninfo

Irene Mihalic ist innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Foto: Stefan Kaminski

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Wenige Themen alarmieren die Öffentlichkeit mehr als die sogenannte „Clankriminalität“. Kaum ein Gerichtsprozess, kaum eine größere Razzia ohne Blitzlichtgewitter. Die Journalisten Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer haben über die „Macht der Clans“ ein Buch geschrieben. Sie befassen sich seit Jahren bereits mit dem Thema, und ihr Buch kann durchaus als eine Art Guide durch die Unterwelt gesehen werden. Sie erläutern die Migrationsgeschichten und Widersprüche der Familien, erklären patriarchale Strukturen und berichten von gescheiterter Integrationspolitik sowie dem Entgleiten in kriminelle Milieus. Dabei konzentrieren sich die Autoren vor allem auf drei Gruppen in Berlin: Die Al Zein, Remmo und Abou Chaker. Sie erzählen Geschichten von brachialen Raubzügen und ebenso brachialer Gewalt. Geschichten, in denen die Polizei oftmals hilflos erscheint.

Und genau das ist die Schwachstelle des Buches. Ist die Polizei so machtlos? Die Justiz zu gutmütig? Gibt es „No-go-Areas“, wie die Autoren sie beschreiben? Ich denke nicht. Gerne würde man erwidern: „Beim nächsten Mal eine Nummer kleiner!“ Denn obwohl die Autoren durchaus anhand vieler Beispiele zeigen, wie der Staat entschlossen durchgreift, wird das Narrativ des machtlosen Staates, der zusieht, wie ganze Stadtviertel zerfallen und zur Beute von Kriminellen werden, bedient. Dieses Bild zu verbreiten, ist ebenso falsch wie gefährlich. Gerade das wäre eine Kapitulation der staatlichen Gewalt und führt das hohe Engagement der Ermittlerinnen und Ermittler ad absurdum. 

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Das Dilemma des Buches ist eng mit dem Dilemma des Phänomens verbunden und fängt bei dem Begriff der sogenannten „Clankriminalität“ an. Im kürzlich erschienenen Bundeslagebild zur Organisierten Kriminalität 2019 räumt das BKA ein, dass es bisher keine bundeseinheitliche Definition dieses Phänomens gibt. Das führt dazu, dass die Länder unterschiedlichste Daten erheben und Analysen erstellt werden, die nach Nachnamen sortiert Straftaten auflisten. Dadurch landen Ladendiebstahl und internationaler Rauschgifthandel in ein und derselben Statistik. Das wäre in etwa so, als würde man alle Straftaten von Menschen, die Müller heißen, in einer Statistik erfassen. 

Mehr Lösungsorientierung hätte gutgetan

Die Autoren beschreiben die sogenannte „Clankriminalität“ sehr detailreich. Doch ihre Analyse bleibt oft oberflächlich und lässt wichtige Fragen weitgehend unbeantwortet: Wie geht man damit um, wenn systematisch Straftaten im Kontext von Familien begangen werden? Wie schützt man Kinder, die in einem solchen Milieu aufwachsen, und wie kann man sich diesem Thema nähern, ohne zu stigmatisieren, was letztlich wie ein Brandbeschleuniger wirkt? Etwas weniger Problem- und etwas mehr Lösungs­orientierung hätten dem Buch gutgetan.

Ja, es braucht eine starke Polizei und Justiz. Es braucht aber auch eine starke Zivilgesellschaft, die sich diesen Problemen stellt. Sie darf nicht wegsehen. Sie darf aber auch nicht reflexhaft reagieren. Vielleicht bringen zwei Sätze am Ende des Buches den Anspruch auf den Punkt: „Der Staat muss einiges tun. Vor allem muss er diejenigen schützen, die sich gegen die Interessen der Clans positionieren.“ Hinzuzufügen ist: Er braucht Ausdauer und muss auch dort hinsehen, wo es scheinbar ruhiger ist und die Fäden zusammenlaufen.

Thomas Heise/Claas Meyer-Heuer: Die Macht der Clans. DVA, München 2020. 352 Seiten, 20 €.

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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