Neue Rechte - Ja, wer sind sie denn?

Die „Netzwerke der Neuen Rechten“ aufzudecken, haben sich Christian Fuchs und Paul Middelhoff vorgenommen. Dafür müsste man aber erst einmal wissen, wer und was diese Rechte ist. Und damit ist auch das Problem ihres Buches beschrieben

Ablehnung des Islams als ein Kennzeichen der „Neuen Rechten?“ / picture alliance
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Frank Lübberding ist freier Journalist und Autor.

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Im Jahr 1983 erschien ein vom Frankfurter Politikwissenschaftler Iring Fetscher herausgegebener Sammelband mit dem Titel „Neokonservative und Neue Rechte“. Einer der Autoren war Fetschers Göttinger Kollege Richard Saage. Er beschrieb damals die grundlegende Differenz zwischen Rechtsextremismus und Neokonservativismus. Letzterer legitimierte sich entscheidend durch die „Anerkennung der klassischen Formel, dem Staat komme das Monopol physischer Gewaltsamkeit zu.“

Saage sah auch „keinen plausiblen Grund zu der Annahme, Konservativismus und Faschismus konvergierten 'gleichsam zwangsläufig'.“ Eine solche Annahme, so Saage weiter, sei „vielmehr das Resultat eines analogischen Denkens, das die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft in normativer Absicht auf ein Konglomerat von Beispielen reduziert, um daraus Handlungsanweisungen für die Bekämpfung eines antizipierten Faschismus abzuleiten".

„Das Netzwerk der Neuen Rechten“

Soweit Richard Saage vor 36 Jahren. Es war die Hochzeit einer nicht zuletzt von den Erklärungsmodellen des Marxismus-Leninismus geprägten Faschismus-Debatte. Dieser betrachtete den Antifaschismus schon immer aus der Perspektive einer die eigene Diktatur legitimierenden Rechtfertigungsideologie. Die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten sind zwar vor bald dreißig Jahren untergegangen, unzulängliche Analysen über die Neue Rechte aber leider nicht. Ein bemerkenswertes Beispiel kommt aus der Feder der beiden Zeit-Autoren Christian Fuchs und Paul Middelhoff. In ihrem Buch „Das Netzwerk der Neuen Rechten“ begeben sie sich auf die Spurensuche eines Phänomens, das die deutsche Politik der vergangenen Jahrzehnte gravierend verändert hat. Erstmals seit 1945 gelang einer Partei rechts von der Union der Sprung in den Bundestag und alle deutschen Landtage. Damit hat diese Seite des politischen Spektrums eine Entwicklung nachvollzogen, die auf der Linken schon in den frühen achtziger Jahren begonnen hatte. Eine klassische Volkspartei verlor ihre Integrationswirkung gegenüber den politischen Rändern.

Das kann man auf zwei Arten erklären: Entweder mit dem Integrationsversagen einer Volkspartei, die die Erwartungen eines Teils ihrer Wählerschaft in zentralen Politikfeldern nicht mehr erfüllen konnte. Oder mit der erfolgreichen Infiltration dieser Wählerschaft durch Netzwerke der Neuen Rechten. Die Autoren versuchen, letztere These zu begründen. Dafür müsste man aber wissen, was diese Neue Rechte überhaupt ist und worin sie sich etwa von einer demokratischen Rechten unterscheidet. Und hier fängt schon das Problem an. Beide Autoren müssen nämlich einräumen, dass es die „Neue Rechte“ eigentlich gar nicht gibt. Es sei „schwierig AfD-Abgeordnete, erzkonservative Christen, radikale Publizisten und gewaltbereite Identitäre unter einem einzigen Sammelbegriff zusammenzufassen.“ Sie machen das trotzdem mit der Begründung eines gemeinsamen Leitbilds: Hass auf den Islam, Kritik an Parteien und Eliten, Sehnsucht nach einem starken Staat und einer homogenen dezidiert-deutschen Kultur.

Juso gleich RAF-Sympathisant?

In Wirklichkeit ist dieses Leitbild das Ergebnis des von Saage erwähnten analogischen Denkens. Fuchs und Middelhoff operieren in Ermangelung eines theoretischen Begriffes vom „rechten Denken“ mit Beispielen für rechtes Denken. Kurioserweise gehört dazu neuerdings die Kritik an „Parteien und Eliten“, die bis vor wenigen Jahren noch als Monopol der Linken galt. Oder die nach einem „starken Staat“. Es gehört zu den Klassikern linken Denkens, den starken Staat gegen die Attacken des Neoliberalismus zu verteidigen. Ein schwacher Staat könnte wohl kaum Immobilienkonzerne enteignen. Religionskritik war dem Selbstverständnis der Linken bekanntlich ebenfalls nicht fremd. Bis vor wenigen Jahren geriet auch noch niemand in den Unionsparteien unter Rechtsextremismus-Verdacht, wenn er die Grundlagen des Multikulturalismus ablehnte.

Mit der gleichen Methode ließ sich schon die Linke als Neue Linke unter Generalverdacht stellen: Hass auf den Kapitalismus, Kritik an Parteien und Eliten, sozialistische Staatsvorstellungen und dezidierter Internationalismus. Auf dieser Basis konnten konservative Medien in den siebziger Jahren selbst den harmlosesten Juso mit RAF-Sympathisanten in einen Topf werfen. Konservative Scharfmacher sprachen damals gerne vom Sympathisantensumpf. Und wer weiß schon, wann etwas noch Kapitalismuskritik ist, oder nicht schon Hass auf den Kapitalismus? Heute drücken das die Autoren vornehmer aus: „Das Milieu reicht von ultrakonservativen Marktliberalen bis hin zu völkischen Antisemiten.“

„Salon-Nationalisten“

Die praktische Umsetzung dieses Ansatzes wird im Unterkapitel namens „Salon-Nationalisten“ deutlich. Deren Argumentation wird so zusammengefasst: Deutschland sei „ein Kulturnation mit einer reichen Tradition, die weiter zurückreicht als bis zu den zwölf Jahren der Barbarei im Dritten Reich. Alles, was nicht in dieses verklärte Bild deutscher Geschichte passt, wird ausgeblendet.“ Es gehörte allerdings immer zu den wichtigsten Anliegen des deutschen Widerstands, den Nazis nicht die Deutungshoheit über die Geschichte zu überlassen. So war die Idee einer Kontinuität von Friedrich II über Otto von Bismarck bis zu Adolf Hitler ursprünglich eine Konstruktion der NS-Propagandisten.

Ein Thomas Mann wehrte sich in jeder seiner „Reden an die deutsche Nation“ gegen die Verwechslung der deutschen Kultur mit der braunen Barbarei. Diese zitierte Aussage ist weder links, noch rechts, sondern richtig. Der berüchtigte „Vogelschiss“ des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland war vor allem aus einem Grund ein Skandal: er leugnete damit den zivilisatorischen Bruch, den die Nazis für die deutsche und europäische Geschichte waren. Sie hätten posthum gewonnen, wenn man ihnen mit der Kulturnation auch gleich noch die deutsche Geschichte überließe.

Baberowski ein Antidemokrat?

Damit wird das Problem des analogischen Denkens sichtbar. Wenn ein neuer oder alter Rechter das Wort Nation sagt, wird der Begriff nicht gleich zur rechten Kategorie. Kapitalismus ist auch erst einmal nur ein Begriff zur Beschreibung einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und impliziert nicht die Zustimmung zu stalinistischen Erschießungskommandos. Nach dieser Logik wird auch die „Gemeinsame Erklärung 2018“ zur Flüchtlingspolitik uminterpretiert. Die besteht aus lediglich zwei Sätzen: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“

Ob die damalige Entscheidung der Bundesregierung den Terminus „illegale Masseneinwanderung“ rechtfertigt, lässt sich mit guten Gründen bestreiten. Man kann auch im Rahmen geltender Gesetze desaströse politische Fehlentscheidungen treffen. Diese Debatte muss man hier nicht führen. Nur interpretieren die Autoren diese Erklärung als „Versuch, die öffentliche Debatte um Geflüchtete mit der neurechten Argumentation aufzuladen, die Bundesrepublik würde sich nicht an die eigenen Gesetze halten, und es brauche eine starke autoritäre Führung, die die Rechtmäßigkeit wiederherstelle“. Die Autoren bemühen sich eher um die Aufladung dieser Erklärung im gewünschten Sinn. Oder ist dort ein Wort über „eine starke autoritäre Führung“ zu finden?

In gleicher Weise wird über einen vom Berliner Historiker Jörg Baberowski initiierten Gesprächskreis berichtet. Dort wird etwa über die „Geschichte des Islam in Europa“ diskutiert, so ist zu lesen. Aber jenseits dessen, wer dort was diskutiert, erinnert das Fuchs und Middelhoff „an die Kreise und Salons der Vertreter der 'Konservativen Revolution' in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts.“ Nur diskutierten die vor allem über die Überwindung der als dekadent betrachteten parlamentarischen Demokratie. Dort trafen sich Feinde der Weimarer Republik. Die Autoren liefern keinen Hinweis auf ideologische oder politische Kontinuitäten. Nur einen: dort sei die Idee zur „Gemeinsamen Erklärung 2018“ entstanden. Womit sich der Kreis schließt. Wie ist aber ein Erinnerungsvermögen zu bewerten, das aus Demokraten wie Baberowski einen Antidemokraten macht?

Opfer der eigenen Ideologie

Dabei hat das Buch durchaus seine Stärken. Etwa wenn sich die Autoren bemühen, rechtsradikale Netzwerke auszuleuchten. Oder wenn sie die dubiosen Geldströme der AfD aufklären. Ihr Blick auf die Funktionsweise digitaler Öffentlichkeit ist ebenfalls lesenswert: Dort wird erkennbar, wie kleine Gruppen über soziale Netzwerke die Meinungsbildungsprozesse beeinflussen. Nur gehört das zum Standard politischer Kommunikation. Die Kampagne #fridaysforfuture ist nämlich auch so ein digitaler Scheinriese. Selbst in deren Hochburgen streikt lediglich ein winziger Teil der Schüler für den Klimaschutz. Trotzdem werden diese Schüler von ihnen nahestehenden Verbänden und Parteien als Repräsentanten ihrer Generation angesehen. Mit den Forderungen sympathisierende Medien setzen das schließlich auf die politische Agenda. Hier zeigt sich im Vergleich zu den rechten Netzwerken, was denen bis heute fehlt: die Multiplikatoren in der Gesellschaft. Sie sind weitgehend isoliert, obwohl Fuchs und Middelhoff das Gegenteil behaupten.

Was der Neuen Rechten aber gelungen ist, sind Anknüpfungspunkte an den politischen Diskurs. Das gelang vor allem über die Flüchtlingspolitik. Die Politik hatte die Kritik daran nicht nur den Rechten überlassen, sondern diese mit Hilfe des analogischen Denkens als rechts beschrieben. Christian Fuchs und Paul Middelhoff machen die Fallstricke dieser Logik noch einmal deutlich – und wie Theorielosigkeit zu intellektueller Hilflosigkeit führt. Denn eines hat sich seit dem Aufsatz von Richard Saage nicht geändert: Konservativismus und Faschismus konvergieren immer noch nicht zwangsläufig. Wer diese Unterschiede zu verwischen versucht, fällt seiner eigenen Ideologie zum Opfer. Insofern ist „Das Netzwerk der Neuen Rechten“ hilfreich zu nennen.

 

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